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Teil 3: Keine Lust auf Deutschland?

Viele Deutschtürken fühlen sich, auch wenn sie in diesem Land aufgewachsen sind, wie Fremde. Dies liegt zu einem großen Teil an fehlenden Integrationsmaßnahmen, aber auch an fehlender Offenheit den Migranten gegenüber bis hin zu Diskriminierung. Doch auch die türkischen Gemeinschaften in Deutschland grenzen sich nicht selten von der restlichen Gesellschaft ab.

Von Reiner Scholz | 01.11.2008
    Doch nicht allein der Eintritt in den Arbeitsmarkt erweist sich als schwierig. Spricht man mit erwachsenen Deutschtürken, so berichten fast alle von Erlebnissen der Zurückweisung und Gefühlen der Fremdheit bereits in früher Kindheit. Wie Aydan Özoguz. Sie ist seit vielen Jahren wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der "Körber-Stiftung" in Hamburg und betreut dort diverse Migrations-Projekte. Aydan Özoguz spricht neben Deutsch und Türkisch fließend Englisch und Spanisch. Ihr Werdegang klingt nach einer türkisch-deutschen Traumkarriere. Er verlief dennoch nicht so gradlinig, wie man denken sollte:

    "Ich bin zweite Generation beispielsweise in Deutschland und wer hier groß wird, der hat gerade zu unserer Zeit erlebt, dass er von Anfang an Ausländer oder Ausländerin war. Also in meiner Schulzeit war ich die Ausländerin. Ich war in Hamburg geboren und war die Ausländerin in der Klasse, wenn wir eine Klassenfahrt gemacht haben, was weiß ich, nach Dänemark, brauchte ich ein Visum. Als ich 16 wurde, brauchte ich eine Arbeitserlaubnis, die noch mal gesondert ausgestellt wird, also: Man war immer anders."

    Ihre Stelle in der Körber-Stiftung verdankt sie einer Situation, die nicht untypisch ist. Sie war lediglich auf Platz Zwei unter den Bewerbern. Doch die erste, eine deutsch-türkische Wissenschaftlerin mit exzellenten Voraussetzungen, sagte ab, als sie erfuhr, dass sie nur mit Deutschen zusammen arbeiten würde. Das traute sie sich nicht zu. Aydan Özoguz hatte mehr Selbstbewusstsein. Das verdankt sie nicht zuletzt einem glücklichen Zusammentreffen:

    "Ich kam beispielsweise mit meiner Grundschullehrerin überhaupt nicht zurecht, die wollte auch gar nicht, dass ich auf das Gymnasium gehe. Aber als ich dann auf dem Gymnasium war, hatte ich eine Klassenlehrerin, die selber mit einem Engländer verheiratet war und mich einfach ganz anders gefördert hat. Plötzlich wurde man eine der Besten. Mir lagen ja Dinge, die anderen vielleicht nicht so lagen. Also die Mehrsprachigkeit, mit vier Sprachen, dass man sich im internationalen Kontext auch frei und gut bewegen kann, bringt man häufig mit, wenn man mehrsprachig ist und mehrkulturell aufwächst. Aber es sind alles so Dinge, wo man Menschen braucht, die einen auch ein bisschen mal anpieksen oder auch fördern."

    Eine Rückkehr in die Türkei kommt für die Sozialwissenschaftlerin nicht infrage. Sie hat ihren Platz in der deutsch-multikulturellen Gesellschaft gefunden - auch durch Hilfe und Anregungen zur richtigen Zeit. So ist sie beispielsweise im Landesvorstand der Hamburger SPD. In die Politik kam sie, weil sie von einem einflussreichen Politiker gefragt wurde, ob sie nicht kandidieren wolle - sie wollte und wurde für acht Jahre Bürgerschaftsabgeordnete in Hamburg.

    Dass derartige Lebenswege keineswegs selbstverständlich sind, weiß sie selbst:

    "Ich weiß von früher, dass junge Männer gerade sagten, sie würden doch sehr diskriminiert, sie fühlten sich einfach unwohl. Mit ihrem Namen: Sie müssten immer erklären, woher sie nun kommen, obwohl sie in Deutschland geboren waren. Und ich glaube, dass diese Erfahrungen schon auch den Blick weiten über die deutschen Ländergrenzen hinweg. Kommilitonen von mir sind in die USA gegangen, haben dort tolle Jobs bekommen, das hat mich ja schon immer nachdenklich gemacht, warum wir in Deutschland Leute vergrätzen, die gut sind sogar. Wenn Leute schon gute Ausbildungen haben und die haben wir ja hier bezahlt, dass wir die nicht hier halten, sondern dass die denn sagen, irgendwie mag mich dieses Land nicht."

    Doch misslingt die berufliche und gesellschaftliche Integration nicht nur, weil man sich von diesem Land nicht gewollt fühlt. Auch in der türkischen Community gibt es erhebliche Defizite. So waren die türkischen Zuwanderer in ihrer übergroßen Mehrheit in keiner Weise auf das vorbereitet, was sie in Deutschland erwartete. Die Gastarbeiter der ersten Stunde kamen überwiegend aus einfachen sozialen Verhältnissen. Erhan Sengül, Politologiestudent aus Hannover, ist kein Einzelfall. Er sagt über sein Elternhaus:

    "Der Hauptgrund ist, dass mit dem Anwerbeabkommen eigentlich nur sehr niedrig gebildete Menschen hier her gekommen sind. Mein Opa hat die Schule nach der sechsten Klasse verlassen, ist dann Ende der sechziger Jahre gekommen, um zu arbeiten. Und wir sind die dritte Generation und wir haben den sozialen Aufstieg geschafft, wir haben das Abitur geschafft. Aber wir hatten keine richtigen Vorbilder gehabt, die uns gesagt hätten, du hast die Möglichkeit, wenn du das studierst, du hast aber auch andere Möglichkeiten, so war es nicht."

    Und es war nicht nur der Mangel an Vorbildern, der jungen Migranten die selbstverständliche Integration in die deutsche Gesellschaft erschwerte. Es war auch ein unterschiedliches Verständnis von Schule in den verschiedenen Kulturen. Viele der Zuwanderer gingen und gehen bis heute davon aus, dass sie ihren Kindern vor allem ein materielles Wohlergehen zu ermöglichen haben - für die Bildung aber seien andere zuständig, nämlich die Schule, erklärt Güven Polat, Unternehmensberater und engagierter Sprecher der türkischen Gemeinde in Hamburg. Die Türken hätten es gemacht wie sie es aus der Türkei kannten:

    "Dass man halt nach der Revolution durch Atatürk, alles, was mit Bildung zu hatte, den Lehrern überlassen habe. Das heißt, sie haben die Kinder in der Schule abgegeben und den Lehrern gesagt, mach was Schönes draus. Das funktionierte hier in Deutschland natürlich nicht."

    In einer solchen Situation hätte es zahlreicher Hilfen aus der deutschen, der aufnehmenden Gesellschaft bedurft. Die aber kamen nicht. Deutschland habe sich um die Zuwanderer viel zu wenig bemüht, resümiert die Sozialwissenschaftlerin Tanja El-Cherkey vom "Hamburger Weltwirtschaftsinstitut" nach der Lektüre vieler Migrationsberichte:

    "Was einen schon betroffen macht, das wissen wir alle, dass es an Integrationspolitik lange Jahre gemangelt hat und sich die Betroffenen - und gerade die zweite Generation - sich doch wirklich allein gelassen gefühlt haben, in jeder Hinsicht und dort die Unterstützung nicht hatten."