Montag, 13. Mai 2024

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Teilabzug der USA aus Afghanistan
"Sicherheit unserer Soldaten auch vom US-Engagement abhängig"

SPD-Verteidigungspolitiker Fritz Felgentreu kritisiert den geplanten Teilabzug der USA aus Afghanistan. Durch den Rückzug verändere sich die Sicherheitslage im Land, sagte er im Dlf. Die Bundeswehr müsse daher prüfen, ob sie ihren Auftrag am Hindukusch unter diesen Bedingungen noch vernünftig ausführen könne.

Fritz Felgentreu im Gespräch mit Stephanie Rohde | 22.12.2018
    US-Soldaten in der Provinz Helmand
    Die USA wollen die Hälfte ihrer 14.000 Soldaten aus Afghanistan abziehen (dpa/AP/U.S. Marine Corps)
    Stephanie Rohde: Hauptsache raus! Das scheint gerade das Ziel von Donald Trump zu sein. Aus Syrien sollen sich die amerikanischen zurückziehen, außerdem will der Präsident offenbar rund die Hälfte der Truppen aus Afghanistan abziehen. Hauptsache raus hat sich offenbar auch James Mattis gedacht, der als Verteidigungsminister zurücktreten will, weil er diesen Kurs nicht mittragen will. Für die NATO und die Regierung in Kabul kommt der angekündigte Truppenabzug völlig überraschend, und die Bundesregierung wurde von dieser Strategie offenbar auch nicht vorab informiert. Sicherheitsexperten befürchten nun, dass das ohnehin fragile Afghanistan kollabieren könnte, wenn die Amerikaner sich teilweise zurückziehen. Muss die Bundeswehr nun mehr Soldaten schicken? Darüber will ich sprechen mit Fritz Felgentreu. Er ist Obmann der SPD im Verteidigungsausschuss und sicherheits- und verteidigungspolitischer Sprecher der Sozialdemokraten. Guten Morgen!
    Fritz Felgentreu: Guten Morgen, Frau Rohde!
    Rohde: Die USA wollen sich teilweise zurückziehen - ist Deutschlands Sicherheit am Hindukusch überhaupt noch zu verteidigen?
    Felgentreu: Das ist etwas, was wir jetzt prüfen müssen. Wenn die Amerikaner ihre Truppenpräsenz auf die Hälfte reduzieren, dann hat das natürlich Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Afghanistan. Ich darf daran erinnern, wir haben in Afghanistan keinen Kampfeinsatz mehr, sondern der NATO-Einsatz in Afghanistan hat den Auftrag, die afghanischen Truppen dabei zu beraten, wie die Sicherheitsverantwortung für das Land alleine tragen können. Das hat aber in den letzten Jahren nicht besonders gut geklappt, deswegen hat man vor einem Jahr entschieden, die Truppenpräsenz in Afghanistan sogar leicht zu erhöhen. Wenn die Amerikaner jetzt die Hälfte ihrer Truppen abziehen, dann verändert das die Sicherheitslage da sehr deutlich.
    "Können nicht sagen, wann der Einsatz beendet ist"
    Rohde: Es ist kein Kampfeinsatz, heißt das, dass die Bundeswehr sich jetzt mehr militärisch engagieren muss?
    Felgentreu: Nein. Eine Veränderung des Einsatzes steht nicht zur Debatte, sondern die Frage ist, ob die Bundeswehr unter diesen Bedingungen ihren Auftrag dort noch vernünftig ausführen kann. Das müssen wir sehr sorgfältig prüfen, denn die Sicherheit unserer Soldaten in Afghanistan ist auch von dem amerikanischen Engagement abhängig.
    Der Abgeordnete Fritz Felgentreu (SPD) spricht bei der Generaldebatte im Deutschen Bundestag. Hauptthema der 48. Sitzung der 19. Legislaturperiode ist der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf des Bundeshaushaltsplans 2019 und der Finanzplan des Bundes 2018 bis 2022 mit der Generaldebatte zum Etat des Bundeskanzleramts. Foto: Jörg Carstensen/dpa | Verwendung weltweit
    Der Abgeordnete Fritz Felgentreu (SPD) ist Sprecher der Arbeitsgruppe Sicherheits- und Verteidigungspolitik (dpa / Jörg Carstensen)
    Rohde: Das heißt, Sie wären für einen Rückzug der Bundeswehr?
    Felgentreu: Es ist zu früh, das heute zu sagen, aber wir müssen uns angucken, was bedeutet das ganz konkret für die deutschen Soldaten dort, was haben die Amerikaner bisher für uns geleistet, was einer der Grundbedingungen unseres Einsatzes dort gewesen ist. Wie weit haben wir bei der Sicherheit unserer Soldaten mit den Amerikanern zusammengearbeitet? Welche Informationen haben wir von ihnen bekommen, und, und, und. Und wie verändert sich das, wenn die Amerikaner nur noch zur Hälfte dort anwesend sind. Und dann müssen wir unsere Schlüsse daraus ziehen. Das ist ein Auftrag, den wir jetzt als Nächstes zu erfüllen haben.
    Rohde: Aber wäre das nicht ein fatales Signal an die Taliban und auch andere, wenn die Bundeswehr sich langsam da auch zurückzieht?
    Felgentreu: Absolut, aber wir können ja nicht verantworten, unsere Soldaten in einer gefährlichen Situation zurückzulassen, wenn wir gar nicht in der Lage wären, sie dort angemessen zu schützen. Das ist jetzt die nächste Aufgabe für die deutsche Politik, für die anderen Verbündeten, für das Verteidigungsministerium, genau zu sehen, was bedeutet das für uns und welche Schlüsse ziehen wir daraus.
    Rohde: Da liegen Sie ja mit dieser Linie jetzt quer mit ihrem Koalitionspartner: Die CDU, also vor allen Dingen der Außenpolitiker Jürgen Hardt sagt, wir dürfen die afghanische Regierung in dieser Situation nicht ihrem Schicksal überlassen, Sie wollen sie ihrem Schicksal überlassen.
    Felgentreu: Ich bin in dieser Frage vollkommen einig mit Jürgen Hardt, das ist der Grund, warum wir da sind. Wir haben in der Vergangenheit immer gesagt, die Situation in Afghanistan erfordert strategische Geduld. Wir können dazu beitragen, dass die Menschen in Afghanistan ihr Vertrauen in die Zukunft nicht verlieren, aber können heute nicht sagen, wann der Einsatz in Afghanistan beendet ist. Nur wir können es auch objektiv nicht alleine tun, dafür ist die Bundeswehr nicht aufgestellt und dafür sind auch die anderen Verbündeten nicht aufgestellt. Ohne die Amerikaner geht es schlicht und ergreifend nicht.
    "Das ist eine Verschärfung der Situation"
    Rohde: Muss die Bundesregierung nach all diesen Jahren in Afghanistan nicht im Endeffekt anerkennen, was Trump eigentlich schon anerkannt hat, nämlich dieser Einsatz ist gescheitert.
    Felgentreu: Nein, das hielte ich für falsch. Wenn Sie sich die konkreten Auswertungen über die Lage in Afghanistan angucken, dann sprechen wir aus guten Gründen von einem strategischen Patt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban. Beiden Seiten gelingt in diesem Bürgerkrieg mal ein Erfolg, mal ein Misserfolg, und insgesamt hat sich im Schatten dieses Prozesses eine neue Generation in Afghanistan entwickelt, die andere Erwartungen ans Leben, andere Erwartungen an die Politik hat als die Älteren.
    Rohde: Erwartungen ans Leben schön und gut, aber man muss sagen, 2018 war das tödlichste Jahr im Afghanistankonflikt, und die Taliban kontrollieren wieder mindestens 40 Prozent der Gebiete in Afghanistan. Das ist doch ein Scheitern.
    Felgentreu: Das ist eine Verschärfung der Situation, und das war der Grund dafür – die ursprüngliche Anlage der Mission Resolute Support war nicht stark genug –, warum man damals entschieden hat, dass sowohl die amerikanische als auch die deutsche Präsenz in Afghanistan leicht erhöht worden ist. Das Hin und Her im Konflikt in Afghanistan ist weder ein Sieg noch ein Scheitern, es ist eine Verschärfung der Situation, wie wir sie in der Vergangenheit auch schon erlebt haben, und es war immer mal wieder hinreichend, wenn darauf entsprechend reagiert worden ist, um die Situation wieder zu stabilisieren. Man muss, denke ich, in Afghanistan vor allen Dingen eines nicht tun: Man darf nicht den Leuten erzählen, wenn wir das und das jetzt machen, dann ist in drei Jahren die Situation bereinigt und der Krieg dort überstanden. Dafür ist Afghanistan zu kompliziert. Am Ende liegt die Lösung in einer Verständigung zwischen der Regierung und den Taliban.
    Rohde: Und wie soll das noch funktionieren? Die USA sind ja involviert in diesen Friedensprozess mit den Taliban, der wird jetzt abbrechen, oder?
    Felgentreu: Die Gefahr besteht, deswegen halte ich die Entscheidung der Amerikaner auch für falsch.
    Rohde: Muss die Bundesregierung mit den Taliban dann mitverhandeln?
    Felgentreu: Wir dürfen uns nicht selber überschätzen. Wir sind ein kleiner Partner in diesem Konflikt. Wir haben überhaupt nicht den Einfluss auf die Konfliktparteien dort, die die Amerikaner haben.
    "Für 2019 haben wir die Mittel für die Bundeswehr aufgestockt"
    Rohde: Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat gesagt, wir müssen viel mehr eigene Verantwortung übernehmen. Mehr Verantwortung könnte ja auch heißen, dass man die NATO in dieser Situation jetzt stärkt und tatsächlich die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anhebt. Warum wollen Sie das von der SPD nicht mitmachen?
    Felgentreu: Die SPD hat immer gesagt, was wir wollen, ist nicht irgendein abstraktes Zwei-Prozent-Ziel der NATO, was wir wollen, ist ein 100-Prozent-Ziel für die deutsche Bundeswehr. Wir wollen, dass die Bundeswehr alles hat, was sie braucht, um ihren Auftrag zu erfüllen und …
    Rohde: Und das klappt ja gerade offensichtlich gar nicht.
    Felgentreu: Da irren Sie sich. Wir haben da gerade große Fortschritte gemacht. In dem Haushalt für 2019 haben wir die Mittel für die Bundeswehr um über zehn Prozent aufgestockt, und wir bauen Schritt für Schritt bei Personal, Waffen und Gerät die Bundeswehr auf, mit dem Ziel, sie auf den Stand zu bringen, dass sie 100 Prozent von allem an, so wie sie geplant und angelegt ist. Wohin dieser Weg am Ende führt in Bezug auf die NATO-Quote, können wir heute nicht sagen. Ob das am Ende 1,8 oder zwei Prozent sind, es können sogar über zwei Prozent sein, aber unser Ziel ist, 100 Prozent für die Bundeswehr. Da sind wir uns in der Koalition einig und haben die entsprechenden Weichen gestellt.
    Rohde: Also fürs kommende Jahr sind 1,3 Prozent geplant, das ist sehr weit von den zwei Prozent, und für die Jahre danach wird eine Stagnation projiziert, also dieses Zwei-Prozent-Ziel, davon hat sich die SPD dann eigentlich verabschiedet.
    Felgentreu: Nein, überhaupt nicht. Wir haben in der Koalition verabredet, dass wir bis zum Jahr 2025 1,5 Prozent NATO-Ziel erreichen wollen, aber was wir brauchen, ist ein Aufbau der Bundeswehr, der sich Schritt für Schritt vollzieht. Und der vollzieht sich auf dem Wege, dass wir allmählich den Verteidigungsetat erhöhen, denn wenn wir mit einem großen Schritt auf einmal den Verteidigungsetat um ein Drittel oder so erhöhen würden, dann wäre weder das Bundesverteidigungsministerium noch das Beschaffungsamt der Bundeswehr überhaupt in der Lage, das Geld auszugeben. Man kann nicht nach 25 Jahren Sparpolitik durch einen Fingerstreich, durch einen Handstreich die gesamte Politik umkrempeln und erwarten, dass das positive Ergebnisse bringt.
    Rohde: Lassen Sie uns noch auf die Gesamtlage gucken. Verteidigungsminister Mattis in den USA will zurücktreten, der galt ja als letzter Garant dieser traditionellen amerikanischen Bündnispolitik, und Trump trifft offenbar völlig isoliert sehr weitreichende Entscheidungen über die Truppen. Sind die USA überhaupt noch ein verlässlicher Partner in der NATO?
    Felgentreu: Wenn wir die USA an dem messen, was sie konkret tun, also wie die konkrete Zusammenarbeit mit den USA innerhalb der NATO funktioniert, dann sie es bisher immer gewesen, und sie sind es auch in den Jahren der Trump-Regierung gewesen. Da waren die Amerikaner absolut absprachefähig, und sie haben sich an alles gehalten, was sie selber zugesagt haben. Insofern messen wir sie an ihren Taten, und da besteht kein Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit.
    "Wir lernen jetzt gerade auf die harte Tour"
    Rohde: Das heißt also, Sie würden sagen, Sie können ganz normal weiterarbeiten, auch wenn Trump mal über Nacht entscheidet, sich rauszuziehen aus Syrien oder aus Afghanistan.
    Felgentreu: Sie müssen sehen, was tut die NATO in Europa. Die NATO ist eigentlich zuallererst ein Verteidigungsbündnis. Die 29 Mitglieder der NATO haben sich gemeinsam dazu verpflichtet, einander beizustehen, wenn sie angegriffen werden, und darauf sind die NATO-Strukturen in Europa ausgerichtet. Diese Zusammenarbeit funktioniert weiterhin tadellos. Afghanistan als Auslandseinsatz der NATO ist für die eigentliche Anlage der NATO eher untypisch, und da müssen wir jetzt große Fragezeichen machen.
    Rohde: Aber sind Sie da nicht total sauer, dass die USA Sie da so hängen lassen bei einem NATO-Einsatz, da muss man doch Konsequenzen draus ziehen.
    Felgentreu: Glücklich bin ich darüber nicht. Und wie ich am Anfang gesagt habe, müssen wir uns jetzt angucken, was das für uns bedeutet.
    Rohde: Was wäre, eine europäische Armee zu stärken, also aufzubauen und zu stärken?
    Felgentreu: Das ist ja etwas, was die Amerikaner selber von uns gefordert haben, dass Europa in die Lage versetzt werden muss, mehr als in der Vergangenheit auch Verantwortung für die Sicherheit im eigenen Umfeld zu übernehmen. Ich glaube, wir lernen jetzt gerade auf die harte Tour, dass das in der Tat für die Europäer unverzichtbar ist. Wenn wir uns die Situation beispielsweise in Syrien angucken, wo die Amerikaner jetzt ohne Absprache einseitig entscheiden, wir ziehen uns zurück, dann wissen wir, dass das die Lage in Syrien verschlechtert und gefährlicher macht. Europa ist noch nicht einmal in der Situation, auch nur prüfen zu können, ob wir eine Möglichkeit hätten, auch mit militärischen Mitteln etwas zur Stabilisierung beizutragen, weil wir diese Mittel einfach nicht haben. Das ist eine Situation, die meines Erachtens so nicht bleiben kann, deswegen war es gut und richtig, dass die EU vor anderthalb Jahren beschlossen hat, die militärische Zusammenarbeit zu verstärken, und das ist ein Kurs, den wir fortsetzen müssen.
    Rohde: Was bedeutet das eigentlich in Syrien, diese Entscheidung der Amerikaner, für die Tornado-Aufklärungsflüge, die werden ja gemacht für die Amerikaner? Wenn die weg sind, braucht man die auch nicht mehr von der Bundeswehr.
    Felgentreu: Die Tornado-Aufklärungsflüge werden gemacht für die Anti-IS-Koalition und beziehen sich nicht nur auf Syrien, sondern vor allen Dingen schwerpunktmäßig auf den Irak. Trotzdem wirft es die Frage auf, wenn die Amerikaner einseitig entscheiden. Aus ihrer Sicht ist der Kampf gegen den IS beendet, sie halten den IS für besiegt – im Unterschied übrigens zu allem, was sie an Erkenntnissen vor Ort haben –, dann wirft das natürlich die Frage auf, was bedeutet das für uns und können wir das in dieser Form weitermachen.
    Rohde: Das sagt Fritz Felgentreu, sicherheits- und verteidigungspolitischer Sprecher der SPD. Vielen Dank für dieses Gespräch heute Morgen!
    Felgentreu: Ja, danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.