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Teleskop für den Augenarzt

Medizin. - Astronomen und Augenärzte verbindet, dass beide auf hochpräzise optische Geräte angewiesen sind. Dass aber Astrophysiker vom Pariser Observatorium ein Instrument entwickelt haben, das nun als Prototyp in der Pariser Augenklinik Quinze-Vingt getestet wird, ist wohl nicht alltäglich. Diese so genannte optische Bank ermöglicht einen ungestörten Blick auf kleinste Details des Augenhintergrunds.

01.06.2005
    Die optische Bank erlaubt zwar einen Blick in das tiefste Augeninnere, aber dafür muss die Untersuchungsperson absolut stillsitzen. Montiert ist die Bank daher auf einem großen Stahltisch, zwei Meter lang, anderthalb Meter breit, und der Patient sitzt an der Längsfront. Sein Kinn liegt in einer starren Stütze, die Stirn ist mittels einer Halterung fixiert wie bei einer herkömmlichen Augenspiegelung. Doch um die zahlreichen natürlichen Fehler der Augenhornhaut und Linse auszublenden, reicht das allein noch nicht aus. Denn aufgrund der permanenten Augenbewegungen verändert sich ständig der Blick und macht es normalerweise unmöglich, die Netzhaut im Detailbild deutlich abzubilden.

    Der Astrophysiker Francois Lacombe erklärt, wie man trotzdem an ein genaues Bild kommt: "Zur optischen Bank gehört ein sehr spezieller Spiegel, der sich verformen lässt. Er lässt sich in Echtzeit per Computer steuern. Das Auge wird mit Lichtblitzen beschossen. Der Computer misst sehr schnell die Hornhautdefekte, indem er ermittelt, mit welchen Abweichungen die von der Netzhaut reflektierten Lichtstrahlen aus dem Auge wieder austreten." Der verformbare Spiegel korrigiert dann diese Abweichungen, bevor die Lichtstrahlen in der Kamera für die Augenspiegelung ankommen. "So können wir in Echtzeit das Bild der optischen Defekte eines Auges korrigieren", sagt Lacombe. "Defekte, die einen Patienten daran hindern, normal seine Umwelt sehen zu können. Defekte, die es aber auch gleichzeitig dem Augenarzt unmöglich machen, den Augenhintergrund seines Patienten in den kleinsten Details erkennen zu können."

    Ein solcher verformbarer Spiegel, ein so genanntes adaptives optisches System, wurde erstmals vor 16 Jahren im Observatorium in der Provence installiert. In der Astronomie ermöglicht er einen von atmosphärischen Einflüssen ungestörten Blick ins All. Die optische Bank wurde mit einem speziellen Spiegel an die Bedürfnisse der Augenheilkunde angepasst. Statt riesiger Sterne lassen sich nun winzige Details bis hin zu zwei oder drei Mikrometern Größe erkennen. Selbst einzelne Nervenzellen können die Ärzte nun zählen und beobachten, wie rote Blutkörperchen durch die Blutbahnen wandern.

    Augenärztin Caren Bellmann arbeitet begeistert in der Entwicklungsgruppe des Pariser Observatoriums mit. Sie wird das neue Instrument auch an ihrem Arbeitsplatz in der Augenklinik Quinze-Vingt nutzen: "Man kann Untersuchungsergebnisse erreichen, die vorher nur mit histologischer Untersuchung möglich waren. Man kann Photorezeptoren darstellen. Bei einigen Netzhauterkrankungen kommt es zum Verlust von Photorezeptoren, zum Verlust von Sehschärfe. Gegebenenfalls könnte dieses Instrument auch darstellen, wo und welche oder wie viele Photorezeptoren bei bestimmten Erkrankungen verloren gegangen sind." Auch Durchblutungsstörungen im Auge, die bislang nur mittels eines invasiven Eingriffs, dem Spritzen von Farbstoffen, entdeckt werden konnten, lassen sich mit der optischen Bank aufspüren.

    Bis zum Jahr 2006 wollen die Forscher einen neuen Prototyp entwickeln, bei dem das adaptative optische System mit einem Tomographen gekoppelt ist, um ein dreidimensionales Bild der Netzhaut zu gewinnen. Schon jetzt ist zudem an der Pariser Augenklinik Quinze-Vingts eine klinische Studie angelaufen mit dem Ziel, die Funktion der optischen Bank an 200 Patienten zu testen.

    [Quelle: Suzanne Krause]