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Temporäre Arbeitszonen

Das Betahaus in Berlin bietet Arbeit – zumindest den Platz dafür. Für 129 Euro im Monat können sich Freiberufler und Selbstständige jeglicher Profession dort Schreibtisch und Internet mieten. Geschäftliche Kontakte sind in diesem bunten Umfeld schnell geknüpft.

Von Claudia van Laak | 26.02.2010
    Eine weiß getünchte, karg eingerichtete Fabriketage in Berlin-Kreuzberg. In einer Ecke des Raumes eine Teeküche, Post- und Schließfächer, Kopierer und Faxgeräte, in der Mitte eine Couchgarnitur. An den Schreibtischen sitzen Männer um die 30 vor ihren Laptops, einige unterhalten sich leise, andere wippen zum Takt ihrer Musik aus den Kopfhörern. So wie Aimone Bonucci, Grafikdesigner aus Pisa. Seine Werbeagentur hat ihn nach Berlin geschickt - hier soll er sich inspirieren lassen. Für die nächsten sieben Monate hat er einen Schreibtisch im Betahaus gemietet.

    "In Italien ist das Umfeld für meinen Beruf sehr langweilig, für Werbung und Grafikdesign. Das wird von den Institutionen, von der Regierung nicht sehr unterstützt. In Italien kann man keine Freiheit atmen wie hier in Berlin. Ich wünschte, ich könnte länger hierbleiben, es gefällt mir wirklich sehr gut."

    Am Schreibtisch nebenan sitzt Robert Rudnik. Er hat sich von seinem Arbeitgeber, der Unternehmensberatung Roland Berger verabschiedet, gründet jetzt gemeinsam mit zwei anderen ehemaligen Kollegen ein neues Unternehmen. Sie wollen äthiopische Kleinbauern unterstützen, indem sie deren ökologisch angebauten Kaffee über das Internet in Deutschland vertreiben. Firmengründer Rudnik schreibt gerade an einem Businessplan. Für sein Start-up braucht er Hilfe in puncto Internetauftritt und Marketing.

    "Wir werden am Anfang sehr viel im Kreativbereich brauchen. Corporate Identity, alles, was mit Name, Logo und Design zu tun hat. Aber auch Programmierung, Online-Marketing, PR, all diese Leute sitzen hier."

    Mit dem Lastenaufzug geht es hinunter ins Café. Wo früher Putzlappen produziert wurden, zischt jetzt die Espressomaschine. Jeden Donnerstag lädt das Betahaus seine Mieter zum Frühstück ein.

    Betahaus-Mitgründer Gregor Scheppahn beißt in sein Lachsbrötchen, plaudert mit zwei möglichen Nutzern, die heute im Betahaus probearbeiten. Wer einen Schreibtisch nur für ein paar Tage mietet, muss sich an die Öffnungszeiten 9:00 bis 18.00 Uhr halten. Nutzer, die länger bleiben, erhalten einen persönlichen Schlüssel und einen eigenen Arbeitsplatz. 129 Euro kostet das einfache Monatsticket - ein attraktiver Preis selbst für Berlin. Enthalten sind die Internetnutzung und täglich zwei Latte macchiato. Mit dem Betahaus reagieren wir auf eine flexibel gewordene Arbeitswelt, sagt Gregor Scheppahn:

    "Dass die zu uns kommen können, es einfach haben, und jederzeit flexibel auf ihr Umfeld reagieren können. Das heißt, wenn sie morgen keinen Auftrag mehr haben, dann können sie bei uns kündigen und sagen, okay, ich muss meinen Vertrag beenden. Einfach um die Menschen nicht mehr in Korsette zu stecken, denen sie nicht gerecht werden können."

    Im April letzten Jahres öffnete das Betahaus. Es kamen so viele Nutzer, dass Gregor Scheppahn und seine Kollegen bereits eine weitere Etage in der Kreuzberger Fabrik dazu gemietet haben, 150 Arbeitsplätze bieten sie mittlerweile an. Im Betahaus arbeiten Werber, Grafikdesigner, Journalisten, Fotografen, Übersetzer, Programmierer, Konzertveranstalter.

    "Es ist ganz, ganz wichtig, dass sich Menschen unterschiedlicher Professionen im Betahaus treffen und sich gegenseitig befruchten in ihrer Arbeit. Weil, wenn ich jetzt nur Programmierer auf einem Fleck habe, dann entwickeln die eine ganz andere Dynamik, als wenn ich eine Mischung von vielen verschiedenen Professionen auf einem Fleck habe."

    Mit 100.000 Euro privatem Kapital sind die sechs Betahaus-Gründer gestartet, drei von ihnen finanzieren ihren Lebensunterhalt mittlerweile durch die Mieteinnahmen. Sie sorgen für eine angenehme Arbeitsatmosphäre, organisieren Abendveranstaltungen im Café, machen die Nutzer miteinander bekannt, weisen auf mögliche Synergieeffekte hin.

    "Es werden sehr viele Jobs hin und hergeschoben, intern, die sind dann innerhalb von zehn Minuten vergeben, wenn sie einmal über den Verteiler geschickt werden. Und es sind auch kleine Gruppen entstanden, die dann gemeinsam an einem Start-up arbeiten", "

    sagt Madeleine von Mohl, ebenfalls Betahaus-Mitgründerin. Es ist die Mischung aus Professionalität, Flexibilität und Spontaneität, die das Betahaus für Freiberufler, die eigentlich von zuhause aus arbeiten könnten, attraktiv macht.

    " "Das ist ja das Problem unserer Generation, dass man nicht so schnell in eine feste Stelle rutscht, dass man dann ganz stark von persönlichen Netzwerken profitieren kann, und wo kriegt man so etwas besser als an einem Ort, wo hundert verschiedene Menschen im kreativen freiberuflich Bereich ihre Sachen machen."

    "Man braucht zwischenmenschlichen Kontakt, man vereinsamt, wenn man zuhause sitzt. Das sind die Menschen, die zu uns kommen, die eigentlich von zuhause aus arbeiten könnten oder im Café, aber die eine soziale Einbindung wollen. Und das ist das, was wir hier bieten."

    Das Betahaus schreibt nach einem knappen Jahr schwarze Zahlen. Die Gewinne werden in die Expansion gesteckt. Erste Betahaus-Ableger sind in Hamburg und Zürich geplant.