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Termin für EU-Beitritt der Türkei?

Meurer: Frau Roth, sollte man der Türkei im Dezember in Kopenhagen beim EU-Gipfel einen Termin nennen, zu dem dann über einen Beitritt verhandelt wird?

    Roth: Man sollte der Türkei alle Unterstützung geben, damit die politische Dynamik der Veränderung hin zu mehr Menschenrechten, hin zu einer Demokratisierung und einer Zivilisierung, hin zur europäischen Integration, hin zu einer Zypernlösung tatsächlich funktioniert, und ich glaube, es gibt keine Alternative zu der EU-Perspektive für die Türkei. Es hat sich in der letzten Zeit in der Türkei einiges verändert. Die Todesstrafe wurde abgeschafft. Es gibt die Anerkennung der kurdischen Realität, zumindest wird damit begonnen; sie muss jetzt umgesetzt werden. Und es gibt deutliche Signale vom Wahlsieger der AKP-Partei in Richtung europäische Priorität, in Richtung Reformwilligkeit. Es wäre aus meiner Sicht völlig falsch, der Türkei jetzt die rote Karte zu zeigen mit völlig an den Haaren herbeigezogenen Argumenten, die Türkei sei jetzt islamisiert, die Wahl hätte die Türkei von Europa entfernt. Nein, jetzt ist auch die Europäische Union dran, ihre Zusagen und Versprechen gegenüber der Türkei einzuhalten, immerhin das Land, das schon seit 1963 auf eine europäische Perspektive drängt.

    Meurer: Umso mehr erhofft sich die Türkei dieses Signal, oder mehr als ein Signal, einen klaren Termin. Trügt der Eindruck, dass die türkische Regierung diesen Termin in Kopenhagen noch nicht genannt bekommen wird?

    Roth: Also das muss natürlich die Kommission, Herr Verheugen, der Rat, das müssen sie sich sehr gut überlegen. Ich glaube, es wäre wichtig, einen Termin zu benennen, um sozusagen der neuen Regierung auch Rückenwind für Reformen zu geben. Das heißt ja nicht, dass die Türkei irgendeinen Rabatt beim Beitritt bekommen würde, wenn es um die Einhaltung der Kopenhagener Kriterien geht. Die Kopenhagener Kriterien gelten, und eine Mitgliedschaft kann nur auf die Erfüllung dieser Kriterien basieren. Das sind die Menschenrechte, die Rechte für die Minderheiten, für die religiösen, die ethnischen Minderheiten, das ist die Zivilisierung in der Türkei, das heißt deutlich weniger Macht für das Militär, das heißt die Bereitschaft, tatsächlich an einer Zypernlösung mitzuarbeiten, die über Jahrzehnte von den türkischen Regierungen ja auch mit blockiert wurde. Dafür braucht es eine Unterstützung, ein deutliches Signal. Ausgrenzung und rote Karte wäre das völlig Falsche, denn 80 Prozent der Menschen, der Bevölkerung in der Türkei wollen diese europäische Integration, und ich muss Ihnen sagen, manche tun da so, als wäre die Europäische Union ein Hort der Uraltdemokratien. So ist es nicht. Spanien, Portugal, Griechenland, hatten auch keine Demokratien und sind, nachdem es dort zu demokratischen Veränderungen kam, in der Europäischen Union mit ihrer Mitgliedschaft auch stabilisiert worden.

    Meurer: Und trotzdem gibt es, wie Sie wissen, auch gerade in Deutschland erhebliche Widerstände gegen einen Beitritt der Türkei in die Union. Was sagen Sie zum Beispiel zu dem Argument, 95 Prozent des Staatsgebietes der Türkei liegt in Asien, und die Türkei ist kein europäisches Land?

    Roth: Das ist wirklich absurd. Ich höre das im zunehmenden Maße aus dem Mund von namhaften Unionspolitikern, Frau Merkel, Herr Schäuble. Die FDP argumentiert so, vor allem aber der Hesse Koch, der sich wieder mal im Wahlkampf offensichtlich ein Thema vornimmt, was brandgefährlich ist. Erstens ist es falsch. Die Türkei gehört zu Europa. Zweitens ist es sehr gefährlich jetzt so zu tun, als hätte sich in der Türkei eine islamistische Revolution ereignet. Das Gegenteil ist der Fall. Die alte politische Klasse hat den Denkzettel bekommen, und jetzt hat eine rechtskonservative Partei gewonnen, die sich und ihre Wähler auf den Islam mitbezieht, etwa so wie sich die CSU in Bayern auf Christentum bezieht.

    Meurer: Aber gerade Roland Koch hat schon mal Erfolg gehabt mit einer Unterschriftenkampagne, damals gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, insbesondere von Türken in Deutschland.

    Roth: Ja, und ich sehe es als gefährlich, wenn man mit der möglichen Integration der Türkei solche Wahlkampfsspielchen betreibt, denn das fällt zurück auf Millionen von Menschen, die aus der Türkei zu uns gekommen sind. Wir sind das Land in der Europäischen Union, das eine Brücke zur Türkei hin bauen kann. Wir haben viele Migranten, die aus der Türkei zu uns gekommen sind. Wenn Koch solche Spiele spielt, solche Argumente jetzt populistisch in die Debatte reinbringt, dann ist das gefährlich, auch für unseren inneren Frieden und für das Klima in unserem Land, denn er zeigt letztendlich auch den Moslems in unserem Land die rote Karte und sagt, ihr gehört nicht zu uns, weil wir das christliche Abendland sind. Unsere Werte basieren aber nicht auf dem christlichen Abendland, sondern auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten.

    Meurer: Und was sagen Sie denjenigen, die sagen, die Türkei passt einfach nicht zu Europa, die Kultur, die Mentalität, das alles sei zu verschieden von unserer Kultur?

    Roth: Eine völlig kulturalistische Argumentation. Es kann doch nicht sein, dass die Religion darüber entscheidet, wer in der Europäischen Union Mitglied ist, sondern es müssen die Menschenrechte, die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit sein. Wir haben die einmalig große Chance, als Europa ein laizistisches Land mit als Mitglied aufnehmen zu können, das demokratisch ist, weil das gerade in Zeiten, wo man sehr viel über Islamismus und dessen Ansteigen redet und es auch solche Tendenzen gibt, ja ein positives Signal ist, dass man Laizismus, eine moderne Demokratie auch mit dem Islam beziehungsweise mit Menschen, die Moslems sind, verbinden kann.

    Meurer: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio