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Terror in Mexiko
Dem Grauen ein Gesicht geben

Die Aufsatz- und Reportagensammlung "TerrorZones" ist nichts für Zartbesaitete: Sie bildet die mexikanische Wirklichkeit in ihrer ganzen Brutalität und streckenweise auch Unappetitlichkeit ab. Das bis heute unaufgeklärte Verschwinden von 43 Studenten 2014 bildet dabei nur die Spitze des Eisberges.

Von Ina Rottscheidt |
    Die Eltern und Studienkollegen der 43 vermissten Studenten aus Mexiko halten Fotos von ihnen hoch.
    Die Eltern der seit einem Jahr vermissten Studenten wissen immer noch nicht, was aus ihnen geworden ist. (dpa/picture-alliance/Mario Guzman)
    Auch zum Jahrestag sind in Mexiko wieder Tausende auf die Straße gegangen, um für die Befreiung der 43 Studenten aus Mexiko zu demonstrieren. "Wir wollen sie lebend zurück!" – das ist ihre Losung, seit im September 2014 die Entführung der jungen Männer ein Schlaglicht auf die Lage Mexikos warf: das korrupte Geflecht von Politikern, Drogenkartellen, Auftragskillern, Bürgerwehren, Paramilitärs und Polizei:
    "Etwa 25.000 Menschen gelten selbst nach offiziellen Statistiken seit 2007 als 'verschwunden' – mehr als die registrierten Namen aller desaparecidos der südamerikanischen Militärdiktaturen. [ ... ] Es ist also keine grundlegend neue Qualität des Terrors, neu ist vielmehr, dass der Terror diesmal ins grelle Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit geriet. Und er hat erstmals ein Gesicht. Oder vielmehr 43 Gesichter."
    Schon lange geht es in Mexiko nicht mehr nur um den eifersüchtigen Kampf konkurrierender Kartelle um Einflusszonen und Schmuggelrouten. Die Realität ist weitaus komplexer, der Begriff Drogenkrieg wird ihr schon lange nicht mehr gerecht. Das macht das Buch "TerrorZones" deutlich:
    "Am meisten empört hatte die Öffentlichkeit die Tatsache, dass die normalistas von der Polizei verhaftet wurden, die sie dann den Drogenhändlern übergab, Gesetz und Verbrechen waren hier ein und dasselbe."
    Facetten der lateinamerikanischen Gegenwart
    Auf rund 230 Seiten haben in dem Buch deutsche und lateinamerikanische Autoren Reportagen, Interviews und Berichte zusammengetragen, die die Facetten dieser mexikanischen Gegenwart abbilden. Sie begleiten forensische Anthropologen, die mit minimalen finanziellen Ressourcen nach Verschwundenen suchen, sie ausgraben und identifizieren. Journalisten kommen zu Wort, deren Job in Mexiko mittlerweile lebensgefährlich ist.
    Die Autoren bilden ab, wie Künstler in den Territorien des Terrors versuchen, Raum für Gedenken zu schaffen. Und sie gehen dahin, wo sich der alltägliche Terror abspielt:
    "Anfang 2009 wurde in Tijuana ein Mann festgenommen, der sich als el pozolero, 'der Suppenkoch', ausgab. Er arbeitete für eine der kriminellen Organisationen, die in Tijuana ins Drogengeschäft verwickelt sind und sagte aus, mehr als 300 Menschen in Säure aufgelöst zu haben. Die Details, mit denen el pozolero die angewandten Vernichtungstechniken beschrieb, übersteigen jedes Maß an Grausamkeit."
    Das Buch "TerrorZones" ist nichts für Zartbesaitete: Es bildet die mexikanische Wirklichkeit in ihrer ganzen Brutalität und, ja, streckenweise auch Unappetitlichkeit, ab.
    Denn immer seltener begnügen sich die Täter damit, ihre Opfer auszulöschen, sondern sie führen sie regelrecht vor, oftmals furchtbar entstellt.
    Die Autorin und Mitherausgeberin des Buches Anne Huffschmid spricht von "Terrorkommunikation" und einer "Spektakularisierung" der Gewalt. Eine Entwicklung, die sie schon seit Längerem beobachtet:
    "Das war uns so wichtig, nun auch am Beispiel von Mexiko zu zeigen, dass diese extreme Gewalt nicht das Spiel irgendwelcher Perverser oder Sadisten ist, sondern dass der Terror eine eigene Logik hat, dass er Gründe hat, dass er dazu dient, Dinge zu kommunizieren, Grenzen zu markieren, Botschaften zu versenden."
    Mord als Botschaft
    Mord als Botschaft, die klarstellen soll, wer in Mexiko tatsächlich das Sagen hat: Die Regierung jedenfalls ist es nicht. Sie kann oder will ihre Bürger nicht schützen. Im Fall der 43 entführten Studenten war die Aufklärung schleppend, viele Fragen sind bis heute ungeklärt. Es gab Verhaftungen, doch Präsident Peña Nieto ist nach wie vor darum bemüht, den Fall als lokale Angelegenheit kleinzureden. Dabei haben die Kartelle längst systematisch Teile des Machtapparates übernommen.
    Willkür der Gewalt
    "Das Verschwinden der 43 Studenten von Ayotzinapa nach dem Angriff der Lokalpolizisten in der Nacht vom 26. auf den 27. September 2014 war in Wirklichkeit also keine Ausnahme, sondern eher die Bestätigung einer Regel, nämlich der institutionellen Krise, die das Ganze Land durchlebt.
    Die Losung der Straße – Todos somos Ayozinapa (Wir alle sind Ayotzinapa) –, die auf den Massendemonstrationen zu hören war, ist keine Übertreibung. Sie bringt ein Gefühl der Menschen zum Ausdruck: Die Gewissheit, dass es jeden treffen kann."
    Denn auch das ist eine neue Qualität: die Willkür der Gewalt. Demonstranten, Aktivisten, Migranten, Frauen oder Indigene. Sie alle können Opfer werden. Doch wie geht die Bevölkerung mit diesem allgegenwärtigen Terror um? Wie beeinflusst er den Alltag, und welchen Widerstand bringt er hervor? Auch diesen Fragen geht das Buch "Terror Zones" nach.
    Andere Kapitel wiederum ziehen Parallelen zum Fall Kolumbien, dessen Bürgerkrieg der längste der Welt ist. Droht Mexiko am Ende, ein zweites Kolumbien zu werden? Die Autorin Anne Huffschmid:
    "Die Querkopplung zu Kolumbien war uns wichtig, weil Kolumbien eben eines dieser Länder in dem, und zwar schon seit vielen Jahrzehnten, ein politisch-militärischer Konflikt besteht, der sich zugleich vermengt mit Drogengewalt und dem gewaltsamen Agieren der Drogenkartelle.
    Besonders hat uns interessiert mit Blick auf Mexiko, wo wir es zunehmend mit Bürgermilizen und Selbstbewaffnung zu tun haben, die Frage, was eigentlich die Rolle der Paramilitärs in dem Gewaltkonflikt von Kolumbien war. Also diese ungeheuer gefährliche Situation, dass Bürger, also nicht Sicherheitskräfte, sich bewaffnen und es da einen scheinbar dritten Akteur gibt, der in Kolumbien natürlich allzu oft die schmutzige Arbeit des normalen regulären Militärs gemacht hat."
    Eine lohnenswerte Lektüre
    Die Fülle der zusammengetragenen Fakten macht die Lektüre lohnenswert und zeigt die Vielschichtigkeit der mexikanischen Realität. Ein Buch, das vielleicht auch die deutschen Politiker zur Hand nehmen sollten, wenn sie künftig über die Lieferung deutscher Waffen nach Mexiko entscheiden.
    In Ayotzinapa waren auch deutsche Gewehre der Firma Heckler und Koch im Einsatz, obwohl sie in dieser Konfliktregion gar nicht hätten sein dürfen. Das Argument deutscher Behörden, vereinbart sei lediglich eine Lieferung an die mexikanische Bundespolizei gewesen und man habe sich auf eine Endverbleibskontrolle geeinigt, ist mindestens naiv. Denn in Mexiko – das zeigt das Buch "TerrorZones" ganz deutlich – funktioniert die Unterscheidung zwischen Gesetz und Verbrechen schon lange nicht mehr.
    Anne Huffschmid, Wolf-Dieter Vogel, Nana Heidhues, Michael Krämer (Hg.): "TerrorZones. Gewalt und Gegenwehr in Lateinamerika"
    Verlag Assoziation A, Hamburg 2015, 251 Seiten, 18,00 Euro.