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Terror in Nigeria
"Die Leute sind nicht dialogbereit"

Im Kampf gegen die Terrororganisation Boko Haram in Nigeria hält der CDU-Politiker Charles M. Huber ein militärisches Vorgehen für die einzige Möglichkeit. In Deutschland gebe es aber in der Bevölkerung keine Mehrheit für eine Unterstützung des Militärs vor Ort.

Charles M. Huber im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 15.05.2014
    Charles M. Huber, CDU, Mitglied im Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
    Charles M. Huber (picture alliance / dpa / Bernd Von Jutrczenka)
    Es gebe diverse Gruppen, die das Ziel verfolgten, in Afrika Länder zu destabilisieren, sagte Huber im DLF. Das Phänomen der Islamisierung Nigerias müsse man im Kontext eines afrikaweiten Netzwerks von Terrorgruppen sehen. Die Religion diene hier nur als Vorwand, um Menschen zu mobilisieren. Darüber werde ein "Wir-Gefühl" hergestellt, dass viele frustrierte Jugendliche anspreche, weshalb Boko Haram regen Zulauf habe. Er gehe aber davon aus, dass Aktionen wie die Entführung der Schülerinnen in Nigeria nicht von kriegsunerfahrenen Jugendlichen ausgeführt werden, sondern von Söldnergruppen, die schon in anderen afrikanischen Bürgerkriegsländern Erfahrungen gesammelt hätten, so Huber.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Seit etwa einem Monat halten Mitglieder der Terrorgruppe Boko Haram rund 200 nigerianische Mädchen in ihrer Gewalt. In dieser Woche haben sie in Nigeria ein Video veröffentlicht, das diese völlig verängstigten Schülerinnen zeigt. Die Täter sagen, sie wollen die Mädchen als Sklavinnen verkaufen. Dieses Entführungsdrama, das wird überall auf der Welt mit Entsetzen und mit Bestürzung verfolgt. Die USA haben bereits Spezialkräfte nach Nigeria geschickt, um das Versteck der Kidnapper zu finden. Frankreich will an diesem Wochenende eine internationale Konferenz einberufen, um über die Lage zu beraten. Und alle fragen sich jetzt natürlich auch, was läuft falsch in Nigeria, in diesem Land, dass dort so etwas passieren kann. – Am Telefon ist jetzt der Bundestagsabgeordnete Charles M. Huber, früher war er Schauspieler, seit der letzten Wahl sitzt er für die CDU im Bundestag, er ist Mitglied im Entwicklungsausschuss und er hat sich in den letzten Jahren in zahlreichen Entwicklungshilfeprojekten in Afrika engagiert und war auch auf dem Kontinent viel unterwegs. Schönen guten Morgen, Herr Huber.
    Charles M. Huber: Einen schönen guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Huber, die USA sind mit dabei, Frankreich hat sich eingeschaltet. Was tut eigentlich Deutschland, um diesen verschleppten 200 Mädchen zu helfen?
    Huber: Na ja, wir müssen da ehrlich sein. Was kann man tun bei so einer Geschichte? Es sind ja Gruppen, die hier agieren, im Norden Nigerias, wo wir jetzt hier auch keine Erfahrung haben, uns gegebenenfalls auch militärisch mit solchen Konflikten auseinanderzusetzen. Das zum einen.
    Zum anderen ist eine militärische Intervention – und etwas anderes geht ja nicht. Die Leute sind nicht dialogbereit. Die sind zum einen ideologisiert, auf der anderen Seite haben sie offensichtlich auch einen klaren Auftrag, egal von woher. Es ist so, dass man hier in der breiten Bevölkerung ein Problem hat, siehe Mali, auch Unterstützung vom dortigen Militär oder Ausbildung zu rechtfertigen. Wir haben da konkret bis jetzt noch keinen Plan.
    Im Ort Konduga liegen mehrere Leichensäcke aus. Menschen sitzen in der Nähe.
    Im Dorf Konduga trauerten vergangene Woche viele Menschen um die Opfer eines ähnlichen Angriffs, der der Sekte Boko Haram zugeschrieben wird (afp)
    Boko Haram als Phänomen der Islamisierung
    Armbrüster: Dann lassen Sie uns über diese Terroristen sprechen, über Boko Haram. Ist das eine Gruppe, die sich vorwiegend auf Nigeria konzentriert, oder sind die auch in anderen Staaten aktiv?
    Huber: Nein. Boko Haram, man muss es so sehen: Es gibt diverse Gruppen, die in Afrika Länder destabilisieren. Das ist ja das Ziel. Vordergründig ist natürlich die Plattform, die Religion, weil mit Religion – das hat emotionalisierenden Charakter -, da können Sie Leute hinter sich bringen. Wenn Sie sagen, ich habe dieses oder jenes vor, was mehr in die Ökonomie geht, dann haben Sie das Problem, dass Sie natürlich niemanden mobilisieren können zum einen.
    Es gibt diesen Arc of Instability, sagt man. Der geht aus von der El Kaida Homebase Afghanistan/Pakistan, geht über Jemen, geht dann über Somalia und über diesen ganzen Sahel-Gürtel über Guinea-Bissau dann runter bis nach Nigeria. Dieses Phänomen der Islamisierung von Nigeria und von diesen radikalen Gruppen muss man im Kontext zu einem Netzwerk sehen und nicht als singuläre Aktion, die sich auf Nigeria konzentriert.
    Armbrüster: Wie groß ist denn die Akzeptanz dort für Boko Haram?
    Huber: Die Akzeptanz – man muss es so verstehen: Es gibt unter Jugendlichen in Afrika aufgrund der ökonomischen Situation, auch aufgrund der demographischen Entwicklung – wenn Sie sich überlegen, Lagos alleine wird 2050, also in 35 Jahren, circa in etwa die Hälfte von der Einwohnerzahl, halb so viele Einwohner haben wie die gesamte Bundesrepublik Deutschland. Wenn Sie da keine Arbeit haben, haben sie Menschen, die Sie verführen, die die Jugendlichen verführen, die auch aktiv sich einschleusen in Netzwerke von Jugendlichen, in Sportgruppen etc. und so für ihre "Sache" werben, auch Jugendliche für Krisengebiete, für solche Aktionen quasi akquirieren, und das hat regen Zulauf, eben aufgrund der ökonomischen Situation.
    "Schreckliche Zukunftsaussichten"
    Armbrüster: Was kann eine Organisation wie Boko Haram denn einem Jugendlichen in Nigeria bieten?
    Huber: Na ja, es ist so: Zum einen gibt es Befindlichkeiten natürlich aus der Kolonialzeit. Man sagt, der böse Europäer hat dieses oder jenes verursacht, was nicht stimmt. Zum anderen natürlich ist es so ein Wir-Gefühl, das dann über die Religion hergestellt wird. Und wenn es nicht viele Optionen gibt? Sie müssen sich überlegen, ein Jugendlicher, der tritt in solchen Ländern früh in dieses Erwachsenenstadium ein, auch bewusstseinsmäßig. Der kann sein Potenzial nicht ausschöpfen und dadurch, dass er das nicht ausschöpfen kann, entsteht ein Frustrationspotenzial, das er natürlich hier in solchen Aktionen kanalisieren kann. Ich gehe aber davon aus, so wie diese Aktionen durchgeführt werden, dass das jetzt nicht von Neuzugängen oder von kriegsunerfahrenen Jugendlichen inszeniert wird, sondern von Söldnergruppierungen, die bereits in anderen Bürgerkriegsgebieten innerhalb Afrikas, sei es Libyen, Sierra Leone oder sonst wo, schon ihre Erfahrungen gesammelt haben. Das Ganze ist zu organisiert, zu strukturiert. Aber solche Organisationen haben einen großen Zulauf.
    Was die Versorgung mit Waffen anbelangt – es gibt da natürlich auch Beziehungen. Es gibt diese Allianz, Cocaine for Arms. Das Ganze reicht bis nach Südamerika, wo über den Atlantik dann Waffen beziehungsweise Kokain und das gegen Waffen getauscht wird. Das sind ganz schreckliche Zukunftsszenarien, wo wir unbedingt etwas unternehmen müssen.
    Armbrüster: Herr Huber, ganz kurz noch. Uns läuft etwas die Zeit davon und ich höre auch, dass bei Ihnen im Hintergrund das Telefon klingelt. Aber eine Frage habe ich noch. Wenn wir uns diesen Fall angucken, ist das möglicherweise ein weiterer Fall, der bei vielen Menschen auch hier bei uns in Deutschland den Eindruck vermittelt, Afrika, dieser Kontinent, ist eigentlich ein hoffnungsloser Fall?
    Afrika ist kein hoffnungsloser Fall
    Huber: Es ist garantiert kein hoffnungsloser Fall. Ganz im Gegenteil! Afrika hat Hoffnung und es gibt Gruppierungen, die wirtschaftliche Interessen haben, die man aber nicht genau lokalisieren kann, die damit rechnen beziehungsweise deren Ziel es ist, den Kontinent zu destabilisieren und ihm somit einer Perspektive der wirtschaftlichen Entwicklung zu berauben. Das ist das Ziel! Das Ziel ist nicht die Religion, das Ziel ist rein ökonomischer Natur, und zwar im Sinne, aus diesem Chaos dann in der informellen Zone eines nicht mehr funktionierenden Staates, in diesen Strukturen seinen Vorteil zu schöpfen.
    Armbrüster: Charles M. Huber, der Entwicklungshilfepolitiker der CDU. Er sitzt für die CDU im Deutschen Bundestag und ist außerdem Afrika-Kenner. Früher war er Schauspieler. Vielen Dank, Herr Huber, für das Gespräch heute Morgen.