Donnerstag, 18. April 2024

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Terror in Sankt Petersburg
"Der globale Dschihadismus hat sich nach Zentralasien erstreckt"

Nach Angaben der kirgisischen Behörden soll der Attentäter von St. Petersburg aus Kirgisistan stammen. Der Osteuropa-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Uwe Halbach, schließt eine Verbindung des Täters zur IS-Terrormiliz nicht aus. Russland befinde sich im Kampf gegen die Terrormiliz, sagte er im DLF.

Uwe Halbach im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 04.04.2017
    Die russische Flagge ist in St. Petersburg auf Halbmast gesetzt.
    Die russische Flagge ist in St. Petersburg auf Halbmast gesetzt. (AFP/ Olga Maltseva)
    Dirk-Oliver Heckmann: Wir legen gleich los und blicken zum Terroranschlag auf die U-Bahn in St. Petersburg gestern. Wir haben im Laufe der Sendung bereits mehrfach über den aktuellen Stand der Ermittlungen berichtet. Jetzt gibt es aktuelle Meldungen: Die Behörden in Kirgistan melden, dass der Täter aus Kirgisien stammen dürfte. Wir können jetzt darüber sprechen mit Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Experte für Russland, den Nordkaukasus und Islamismus. Schönen guten Morgen, Herr Halbach.
    Uwe Halbach: Guten Morgen.
    "Es ist nicht auszuschließen, dass der Islamische Staat dahinter steckt"
    Heckmann: Der Täter soll jetzt angeblich identifiziert sein, aus Kirgisien kommen. Ist das eine Variante, die realistisch sein könnte aus Ihrer Sicht?
    Halbach: Sicherlich könnte das eine realistische Variante sein, die gewissermaßen in zweierlei Richtungen weist. Einmal ist ja bislang nicht auszuschließen, auch wenn es noch nicht bestätigt ist, aber es ist nicht auszuschließen, dass der Islamische Staat dahinter steckt. Und es hat auch aus Zentralasien eine Hinwendung zum Islamischen Staat gegeben. Es sind auch Kämpfer aus Zentralasien in hoher Zahl nach Syrien gegangen. Und man fragt sich, was passiert, wenn die ihre Heimatregionen zurückkehren. Zum anderen gibt es einen zweiten Hintergrund. Es gibt eine sehr große Migrantengemeinde in Russland selber, die aus Zentralasien stammt, Arbeitsmigranten, die aus diesen Ländern kommen, und viele Auswanderer nach Daesch, also viele Auswanderer nach Syrien und Irak kommen auch aus dieser Diaspora, aus dieser zentralasiatischen Diaspora in Russland. Was wir eben noch nicht wissen ist, ob es sich um einen Einzeltäter handelt, der sich ideologisch dem globalen Dschihadismus oder dem Islamischen Staat zuordnet, oder ob ein stärkerer organisatorischer Hintergrund dahinter steckt. Das ist alles noch offen.
    Heckmann: Es sind in der Tat noch sehr viele Fragen offen. Das ist selbstverständlich. Aber wenn wir jetzt mal bei der Spur Kirgisien bleiben, da verdichten sich ja offenbar die Hinweise darauf, wenn schon die kirgisischen Behörden selbst darauf hinweisen, dass der mutmaßliche Täter identifiziert worden sein soll. Wenn wir mal blicken auf Kirgisien: Was ist das für ein Land? Welche Rolle spielt dort islamistischer Terror?
    Halbach: Insgesamt kann man sagen, dass Zentralasien in der Terrorismus-Statistik, in der globalen Terrorismus-Statistik weit natürlich zurücksteht hinter den Nachbarregionen, hinter Afghanistan und Pakistan, und auch weit hinter Russland zurücksteht. Es hat in Russland in den letzten 15 Jahren weitaus mehr Terroranschläge gegeben als in Zentralasien selber. Aber wie gesagt, es gibt auch in Zentralasien islamistische Zellen. Es gibt aus Zentralasien auch eine Auswanderung nach Syrien. Die Zahlen schwanken erheblich, gewaltig. Mal ist von 4000 Auswanderern aus der Gesamtregion die Rede. Die einzelnen Länder geben unterschiedliche Zahlen an. Aber es gibt diesen Hintergrund. Der globale Dschihadismus hat sich auch nach Zentralasien erstreckt, auch wenn in Zentralasien selber bislang die Zahl der Terroranschläge weit hinter denen in Russland zurücksteht und weit hinter denen im Nordkaukasus zurücksteht.
    "Russland befindet sich schon im Kampf mit dem Islamischen Staat"
    Heckmann: Herr Halbach, inwieweit befindet sich Russland denn speziell im Fadenkreuz von Terroristen?
    Halbach: Einmal durch seinen Militäreinsatz in Syrien. Kurz nach dem Beginn dieses Militäreinsatzes hat ja der IS Russland gewissermaßen den Krieg erklärt, hat den Dschihad erklärt, und da kam es dann auch schon zu einem Terrorakt, für den angeblich der IS sich verantwortlich erklärt hat, nämlich der Abschuss eines Passagierflugzeuges über Sinai, eines russischen Passagierflugzeuges über Sinai mit 224 Toten. Und zuletzt gab es Anschläge in Tschetschenien auf die russische Nationalgarde, auf einen Posten der russischen Nationalgarde in Tschetschenien, für den auch wieder angeblich der IS die Verantwortung übernommen hat. Also Russland befindet sich schon im Kampf mit dem Islamischen Staat, auch wenn sein Militäreinsatz in Syrien zunächst einmal in der ersten Phase gar nicht so sehr vom Kampf gegen den IS bestimmt war, sondern vom Kampf gegen die Opposition, gegen die Rebellen und zur Unterstützung von Baschar al-Assad. Aber nach diesem Abschuss der Passagiermaschine ist der Kampf gegen den IS zu einer doch ganz wichtigen Parole russischer Sicherheits- und Außenpolitik geworden.
    Heckmann: Herr Halbach, zuletzt sind ja tausende Russen auf die Straße gegangen aus Protest gegen Ministerpräsident Medwedew, gegen die Korruption, aber auch gegen Putins System der gelenkten Demokratie. Welchen Einfluss dürfte dieser Anschlag haben auf das innenpolitische Klima in Russland und auch auf die Stellung von Präsident Putin? Da finden ja im kommenden Jahr Wahlen statt.
    Halbach: Ich würde keine Verbindung jetzt zwischen dem Anschlag, zwischen diesem Terroranschlag und den Protestaktionen herstellen. Aber zusammen genommen sind es beides Faktoren, die im Moment die Machtelite in Russland natürlich verunsichert, möglicherweise die Protestbewegungen, die sich über 80 Städte Russlands erstreckt haben, noch weitaus mehr als jetzt dieser Terroranschlag. Wie die Reaktion darauf sein wird, ist jetzt noch nicht abzusehen, aber man kann schon mit Verhärtung rechnen, zum Beispiel mit einer noch deutlicheren Kontrolle über das Internet.
    Heckmann: Die Reaktion auf die Proteste war ja recht harsch und darauf zielte meine Frage eigentlich auch ab, dass ziemlich stark und heftig gegen die Demonstranten vorgegangen worden ist. Muss man damit rechnen, dass jetzt im Zeichen des Terrors der Druck auf Oppositionelle stärker noch erhöht wird?
    Halbach: Ich vermute nicht, dass der Terrorismus jetzt in Verbindung gebracht wird zu der Opposition, obwohl das ein Mechanismus ist, den es in einigen postsowjetischen Ländern gibt. Etwa in Ländern wie Aserbaidschan oder auch in zentralasiatischen Staaten wird sehr leichtfertig jede Form von Opposition und Kritik am Regime mit Extremismus gleichgesetzt und dann ist man schon ganz nahe auch beim Terrorismus. Ich sehe noch nicht, dass in Russland diese Verbindung jetzt geschlagen wird, aber wie gesagt, beide Faktoren, sowohl der Terroranschlag in Petersburg als auch diese Protestwelle, die vor allem von jungen Leuten getragen wird, verunsichert die Machtelite und daraus kann auch schon die harte Hand sich erheben, aus dieser Verunsicherung.
    Heckmann: Uwe Halbach war das von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Herr Halbach, danke Ihnen für Ihre Einschätzungen.
    Halbach: Ja, gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.