Archiv


"Terrorflugzeug kann abgeschossen werden"

Die von der Großen Koalition beschlossenen Gesetzesregelung zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren könne nur in "extremen Ausnahmefällen" Anwendung finden, so der Bundestagsabgeordnete Reinhard Grindel. Dabei gehe es um "Fallkonstellationen, in denen völlig klar ist, dass die polizeilichen Mittel nicht ausreichen".

Reinhard Grindel im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Die Bayern-Wahl ist vorbei. Ob damit die Große Koalition in Berlin in ruhigeres Fahrwasser gerät, das bleibt abzuwarten. Gestern haben sich zwar die drei Parteien CDU, CSU und SPD darauf geeinigt, dass die Beiträge der Krankenkassen auf 15,5 Prozent festgelegt werden. Aber Ärger droht bei der Erbschaftssteuer. Hier stellt sich die CSU in den Weg.

    Gestern ein Ergebnis: Artikel 35 des Grundgesetzes soll geändert werden, der die Aufgaben der Bundeswehr regelt. Am Telefon begrüße ich Reinhard Grindel, CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Innenausschuss des Bundestages. Guten Tag, Herr Grindel.

    Reinhard Grindel: Guten Tag, Herr Meurer!

    Meurer: Was genau hat man da gestern im Ausschuss beschlossen?

    Grindel: Die Koalition ist sich einig über die in Folge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz notwendige Änderung des Bereits von Ihnen angesprochenen Artikel 35 Grundgesetz. Dabei geht es in der Tat um eine Amtshilfe für die Polizei und es wird einen neuen Absatz 4 in diesem Artikel 35 geben. Danach wird es eine Regelung geben, wenn zur Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalles polizeiliche Maßnahmen und Mittel nicht ausreichen, dann kann die Bundesregierung den Einsatz der Streitkräfte mit militärischen Mitteln anordnen. Soweit es dabei zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, kann die Bundesregierung den Landesregierungen Weisungen erteilen.

    Das entspricht der Rechtslage bei überregionalen Katastrophenfällen, die wir jetzt schon haben. Nun haben wir eben den Begriff des schweren Unglücksfalls und nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst das auch Vorgänge, die den Eintritt einer Katastrophe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. Dazu zählen eben auch Terrorfälle.

    Meurer: Das klingt jetzt ein bisschen kompliziert. Ist mit schwerem Unglücksfall ein Terroranschlag gemeint?

    Grindel: Mit einem schweren Unglücksfall ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Eintreffen einer Katastrophe gemeint, und das ist natürlich nach einem Terrorakt mit einem hohen Gefährdungspotenzial der Fall. Es ist etwas umfassender, als Sie den SPD-Fraktionsvorsitzenden Struck zitiert haben.

    Die Sozialdemokraten wollten es auf Angriffsfälle aus der Luft und vom Wasser her beschränken. Wir haben jetzt mit dieser Formulierung, auf die wir uns verständigt haben, eine generelle Möglichkeit der Amtshilfe für die Polizei immer dann, wenn die normalen polizeilichen Mittel nicht ausreichen, also zum Beispiel auch der mit Sprengstoff gefüllte LKW, der sich etwa in Richtung auf ein Kernkraftwerk oder eine sonstige öffentliche Einrichtung - denken Sie auf einen Flughafen - zubewegt und nur mit gepanzerten Militärfahrzeugen zum Halten gebracht werden könnte. Auch das wird nach diesem Artikel 35 Absatz 4 in Zukunft möglich sein.

    In einem stimmen wir völlig überein. Es gibt keine generelle Ermächtigungsgrundlage für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren, aber sehr wohl für alle Fallgestaltungen, in denen schwere Unglücksfälle zu erwarten sind.

    Meurer: Wer entscheidet denn darüber, Herr Grindel, dass und ob polizeiliche Mittel im Fall, es gibt ein schweres Unglück, einen Terroranschlag, nicht ausreichen?

    Grindel: Das entscheidet die Bundesregierung. Es wird einen Artikel 35 Absatz 5 geben, dass bei Gefahr im Verzuge der jeweils zuständige Bundesminister entscheidet, also etwa der Bundesinnenminister, und dann diese Maßnahme im Nachhinein von der Bundesregierung abgesegnet wird. Aber bei Gefahr im Verzug - und das wird natürlich sicherlich nicht auszuschließen sein, dass eine solche Fallkonstellation auch einmal existiert - entscheidet dann der fachlich und sachlich zuständige Bundesminister.

    Meurer: Ist das, Herr Grindel, gestern der entscheidende Durchbruch gewesen, auf den die CDU so lange hingewirkt hat, dass die Bundeswehr auch im Inneren eingesetzt werden darf?

    Grindel: Herr Meurer, ich will noch mal betonen: Es geht nicht um einen generellen Einsatz der Bundeswehr im Inneren, sondern es geht darum, dass wir unsere Bevölkerung nach allem, was dem Staate an rechtsstaatlichen Mitteln zur Verfügung steht, schützen müssen vor Terroranschlägen mit einem erheblichen Katastrophenpotenzial. Dabei gibt es eben Fallkonstellationen, in denen völlig klar ist - und das sagen uns ja auch die Experten -, dass die polizeilichen Mittel nicht ausreichen. Nur in diesen extremen Ausnahmefällen können die Maßnahmen und Mittel der Bundeswehr im Rahmen einer Amtshilfe für die Polizei hinzukommen und wir halten das für notwendig.

    Meurer: Sie hätten sich da schon gerne mehr gewünscht?

    Grindel: Nein. Es ist so, dass wir ja in dieser Formulierung mit dem neuen Artikel 35 Absatz 4 die Fallkonstellation etwa treffen, dass ein mit Terroristen bemanntes Flugzeug abgeschossen werden kann. Die Frage ist: Ist der Staat handlungsfähig, wenn auch Unbeteiligte dabei sind? Und es wird in der Gesetzesbegründung zu diesem neuen Artikel 35 eine Passage geben - darauf hat sich die Koalition verständigt -, dass man bei Einsätzen, bei denen auch Dritte betroffen sind, vor der Rechtsordnung schon heute Bestand haben kann mit Handlungen, die im Notfall der Staat ergreifen kann.

    Dieses wird sozusagen nicht in einen Artikel des Grundgesetzes gegossen, aber wir werden in der Gesetzesbegründung verankern, dass sich die Koalition einig ist, dass bereits heute der Artikel 87a des Grundgesetzes, der den sogenannten Verteidigungsfall betrifft, eine Rechtsgrundlage schafft, um in Extremsituationen auch hier den Staat handlungsfähig zu machen.

    Meurer: Reinhard Grindel war das, Mitglied im Innenausschuss des Bundestages und Abgeordneter der CDU. Danke, Herr Grindel, und auf Wiederhören.

    Grindel: Bitte schön!