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Terrorismus
"Der Zugriff war wahrscheinlich jetzt erforderlich"

Der Anschlag von Paris sei das auslösende Signal für die Festnahmen von mutmaßlichen Islamisten in Deutschland gewesen, sagte Rolf Tophoven, Leiter des Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik in Essen, im DLF. Denn er habe gezeigt, dass die militant-islamistische Szene in Bewegung geraten sei.

Rolf Tophoven im Gespräch mit Reinhard Bieck |
    Sondereinsatzkommando bei einer Durchsuchung in Berlin
    Sicherheitsbehörden gehen derzeit mit Razzien und Festnahmen gegen mutmaßliche Islamisten vor. (Paul Zinken/dpa)
    Reinhard Bieck: Rolf Tophoven, Leiter des Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik in Essen, Stichwort Vorratsdatenspeicherung. Justizminister Heiko Maas - wir haben es gerade gehört - ist dagegen und er hat ja unmittelbar nach den Anschlägen von Paris argumentiert, Frankreich hat die Vorratsdatenspeicherung, aber verhindert hat das nichts. Da ist doch was dran, oder?
    Rolf Tophoven: Ich glaube, der Justizminister ist hier zu kurz gesprungen. Es wird immer wieder erklärt, man müsse die Vorratsdatenspeicherung einsetzen, um terroristische Anschläge zu verhindern. Das ist sehr undifferenziert. Vorratsdatenspeicherung, die im Übrigen vom BKA schon seit Jahren gefordert wird, dient ja auch dazu, nach einem Anschlag die Kommunikationswege, die Kommunikationsstränge der Terroristen aufzudecken, aufzuspüren. Es wird immer wieder der Mythos hier hochgebracht, es ist eine Art Überwachung, wir sind doch kein Orwellscher Überwachungsstaat. Es geht doch darum, nicht hier 80 Millionen Deutsche zu überwachen. Wie Otto Schily schon gesagt hat, lässt es die Gesetzgebung durchaus zu, durch strikte Überwachung und Einhaltung der Gesetze, der Rechtsprechung durchaus die Vorratsdatenspeicherung zu praktizieren. Grundsätzlich will ich den Terrorismus bekämpfen oder nicht, und wenn ich ihn bekämpfen will, auch als Rechtsstaat, muss ich souverän sein, notfalls auch ein Gesetz zu machen, was in diesem ganzen Puzzle der Anti-Terror-Maßnahmen hineinpasst.
    Bieck: Seit den Anschlägen von Paris gibt es überall Razzien und Festnahmen. Das ist doch ein bisschen seltsam. Waren die heute Verdächtigen denn vorher nicht verdächtig, oder gibt es neue Hinweise und wenn ja woher?
    Tophoven: Ich glaube, der Anschlag in Paris war das auslösende Signal. Das war sozusagen der Impuls, dass jetzt alle Sicherheitsbehörden in Europa noch genauer hingeschaut haben auf ihre Daten. Man kennt ja auch in Deutschland Hotspots des militanten islamistischen Terrorismus. Aber der Zugriff war wahrscheinlich jetzt erforderlich, weil Paris, der Anschlag gegen „Charlie Hebdo" signalisiert hat und demonstriert hat, die militant-islamistische Szene, befeuert durch den Syrien-Irak-Konflikt, durch IS, ist in Bewegung geraten. Und bevor man sich seitens der Sicherheitsbehörden irgendwann vorwerfen lassen muss, ihr habt ja einiges gewusst, ihr habt die Leute observiert, ist man jetzt so weit, dass man zugeschlagen hat. Es ist auch eine durchaus praktikable operative Anti-Terror-Taktik, die gewaltbereite Szene unter einen permanenten Fahndungsdruck, unter einen permanenten Überwachungsdruck zu setzen, denn dann begeht auch der ausgebuffteste Terrorist Fehler.
    "Nur die wenigste Rückkehrer kampferprobt"
    Bieck: Die große Gefahr soll ja von den sogenannten Rückkehrern ausgehen. Aber ist es nicht so, dass der Islamische Staat Freiwillige, die sich einmal zu ihm bekannt haben und sich ihm angeschlossen haben, gar nicht mehr aus den Fängen lässt?
    Tophoven: Es ist schwierig, da auszusteigen. Zum Beispiel werden die Kämpfer, wenn sie in die Kriegsgebiete Syrien, Irak reisen, in der Regel erst noch mal durchleuchtet auf ihre Glaubwürdigkeit, man wird noch mal gecheckt und man nimmt ihnen sehr häufig die Identity Card, also die Personalausweise oder den Reisepass ab. Damit sind sie einmal schon in der Infrastruktur des Terrornetzwerkes des IS-Staates verhaftet und nur mit größten Schwierigkeiten gelingt es ihnen dann auch auszusteigen. Nur die Härtesten überleben sozusagen den Check. Wenn wir von 180 Rückkehrern nach Deutschland aus den Quellen der Sicherheitsbehörden hören. 30 von denen sind kampferprobt. Der Rest der in Syrien aufgelaufenen Deutschen, also 550 hier aktuell, ist wohl nicht in den harten Kampfszenen geschult. Es sind nur wenige und manche kommen ja auch völlig psychisch kaputt, zerschlagen, sehr frustriert in die Heimat zurück.
    Bieck: Innenminister de Maizière, Verfassungsschutz und Kriminalpolizei sagen ja immer wieder, unsere Sicherheit ist bedroht, aber es besteht kein Anlass zur Panik. Was soll man davon halten, was halten Sie davon?
    Tophoven: Es sind ja manchmal sehr interessante Wortkonstruktionen, die von den Sicherheitsbehörden kommen. Da heißt es, wir haben eine hohe abstrakte Gefährdungslage. Nun bin ich davon überzeugt, dass der Normalbürger in unserem Land von dieser hohen abstrakten Gefährdungslage, dass er sich darunter wenig vorstellen kann. Daher sage ich, konkret heißt das, ein terroristischer Anschlag in Deutschland ist nicht auszuschließen. Wir müssen von einem Anschlag ausgehen. Gleichwohl haben wir noch keinen konkreten Hinweis, dass morgen oder übermorgen es zu einem Anschlag kommt.
    Bieck: Das war über die Sicherheitslage in Deutschland nach den Anschlägen von Paris Rolf Tophoven, Leiter des Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik. Danke nach Essen.
    Tophoven: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.