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Terrorismus-Experte vermutet El Kaida hinter Madrider Anschlägen

Dirk Müller: Herr!Schmidt-Eenboom, Otto Schilly sagt, trotz der Anschläge in Madrid, die Sicherheitslage in Deutschland ist unverändert. Hat er recht?

Moderator: Dirk Müller |
    Erich Schmidt-Eenboom: Damit hat er sicherlich recht. Ich gehe davon aus, dass El Kaida hinter den Madrider Anschlägen steckt. Und aus der Sicht von El Kaida sind die engsten Verbündeten der Vereinigten Staaten, als auch die Staaten selbst und Israel vorrangige Ziele. Ich habe immer eine erhöhte Bedrohung gesehen für Großbritannien, Spanien, Polen oder auch Japan. Da ist Spanien natürlich das prioritäre Ziel, weil arabisch aussehende Menschen in Staaten wie Japan oder Polen auffallen. In Spanien können sie sich auf vorhandene Strukturen stützen und sich vielfältiger bewegen.

    Müller: Vielleicht klingt es etwas zynisch, aber Sie argumentieren so, als könne man auch sagen, El Kaida sucht sehr rational diese Ziele aus - das kann jeder nachvollziehen - aber im Grunde ist sie bei der Auswahl der Ziele auch noch gerecht.

    Schmidt-Eenboom: Nein. Sie hat bestimmte politische Prioritäten und da versucht sie natürlich das Besatzungsregime im Irak zu instrumentalisieren, um bei allen arabischen Bevölkerungsteilen, allen islamistischen Bevölkerungsteilen auf der Erde, politischen Honig zu saugen. Insofern ist natürlich ein Land wie Spanien, engster Verbündeter der USA im Irak ein prioritätes Ziel. Die spanische Regierung versucht natürlich so lange wie möglich an der ETA-These festzuhalten, einmal, weil die Wahl vor der Tür steht, weil man deutlich machen will, dass es eine starke konservative Regierung braucht, die die ETA bekämpft und zum Anderen natürlich, weil man unbedingt den Eindruck vermeiden will, dass Aznar eine Quittung für seine Irakpolitik bekommen hat.

    Müller: Die französische Regierung, die nicht am Krieg beteiligt war, hat heute eine höhere Sicherheitsstufe auf den Weg gebracht. Ist das Aktionismus?

    Schmidt-Eenboom: Ich denke, dass ist Aktionismus. Ich würde für die Bundesrepublik wirklich keine größere Bedrohung sehen, muss aber auf der anderen Seite sagen, was konservative Sicherheitspolitiker vorschlagen, das ist Feldgeschrei. Man kann die vielen weichen Ziele in einer modernen Industriegesellschaft nicht schützen. Es ist undenkbar, dass Bundeswehr, BGS und Polizei, alle Bahnhöfe dieser Bundesrepublik, alle empfindlichen Ziele so schützen, wie wir derzeit die Flughäfen schützen. Das würde nur bedeuten, dass "kluge" Terroristen auf noch weichere Ziele ausweichen, wie wir das zum Beispiel in Moskau erlebt haben, mit Anschlägen auf Musical-Theater Veranstaltungen und dergleichen.

    Müller: Sie sagen, im Sinne der tatsächlich objektiven Sicherheit, hat das keinen Zweck? Wie steht es mit der subjektiven Sicherheit der Bevölkerung?

    Schmidt-Eenboom: Natürlich gibt es ein subjektives Sicherheitsempfinden der Bevölkerung. Konservative Politiker versuchen ja gerade das anzustacheln, Ängste zu erzeugen, dass es eine Bedrohungslage dieser Art in der Bundesrepublik gibt, um ein lang gehegtes Ziel, nämlich den Bundeswehreinsatz im Innern politisch durchzusetzen. Aber ich denke, diese Strategie wird scheitern, weil sie Sicherheit suggeriert, die kurz- und mittelfristig so nicht zu erzielen ist.

    Müller: Kommen wir noch einmal zu den Ereignissen in Madrid zurück. Sie haben eben schon argumentiert, El Kaida als Urheber der Anschläge bezeichnet, aber welche Handschrift tragen die Anschläge?

    Schmidt-Eenboom: Wir müssen generell unterscheiden zwischen einem apokalyptischen Terror, wie bei den Twin-Towers, der darauf zielt, möglichst viele Menschen umzubringen und kalkuliert politischen Terror, mit dem Separatisten, Rebellen und dergleichen versuchen, ein konkretes politisches Ziel zu erreichen. Die ETA ist gesellschaftlich isoliert, aber dass sie einen solchen Anschlag vollbringen würde, mit 200 Toten, über 1000 Verwundeten, der Ihnen den letzten politischen Rückhalt in der Bevölkerung raubt, halte ich für eher ausgeschlossen.

    Müller: Wie stehen Sie zu dem Argument, der Zeitpunkt deutet auf ETA hin?

    Schmidt-Eenboom: Ich denke, dass auch El Kaida, nachrichtendienstlich gut durchorganisiert, die spanischen Wahlen für einen Zeitpunkt hält, um Aznar wirklich eine Quittung für den Irak-Einsatz zu präsentieren. Das frühe Bekennen, dass für El Kaida eigentlich untypisch ist, deutet auch eher darauf hin, dass man doch vor dem Wahltermin in Spanien versucht, politische Wellenbewegungen auszulösen.

    Müller: Der Sprengstoff, der entdeckt wurde, der üblicherweise auch von der ETA benutzt werden soll, das spielt keine Rolle?

    Schmidt-Eenboom: Ich denke, dass ist kein hinreichendes Indiz. Die ETA benutzt sicherlich immer den selben Sprengstoff, aber es ist ja auch nicht ausgeschlossen, dass aus ähnlichen Quellen Sprengstoff für El Kaida Operationen in Spanien besorgt worden ist.

    Müller: Wenn ich Sie während unseres Gespräches richtig verstanden habe, sind Sie ohnehin davon ausgegangen, dass El Kaida auch in Europa aktiv wird. Für Sie war es nur eine Frage des Zeitpunktes?

    Schmidt-Eenboom: Das habe ich seit Jahr und Tag gesagt, dass insbesondere die Verbündeten der USA in Europa, weniger Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland, aber Spanien, Polen und Großbritannien mit Priorität, sowie amerikanische und israelische Einrichtungen, auch auf deutschem Boden, Terrorziele sein können und bleiben.

    Müller: Was kann man aus europäischer Sicht denn jetzt für Europa tun?

    Schmidt-Eenboom: Die Terrorbekämpfung braucht langfristige, politische Konzeptionen, die die Terrorursachen in der arabischen Welt austrocknen, dass heißt, insbesondere, Friedensregelungen für den Nahen Osten als eine vernünftige, UNO-geführte Struktur im Irak. Aber auch unter diesen Bedingungen wird man immer damit leben müssen, dass es ein Restterrorismus gibt. Absolute Sicherheit vor solchen Anschlägen hat man in keinem Land.

    Müller: Das heißt in der Praxis, der Terror geht weiter?

    Schmidt-Eenboom: Der Terror geht weiter. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass El Kaida und verwandte Organisationen mehrfach in den nächsten Monaten, Jahren ähnliche weiche Ziele mit solchen furchtbaren Anschlägen bekämpfen.

    Müller: Heißt das, von Ihnen aus gesehen, dass die bisherigen Antiterrormaßnahmen im internationalen Kontext eindeutig nichts gebracht haben?

    Schmidt-Eenboom: Sie haben zu wenig gebracht, weil es natürlich auch eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber diesen Strukturen gibt. Alle klassischen Sicherheitsverfahren, die Sie haben: bessere Einreisekontrollen, Überwachung von Strukturen und dergleichen helfen gegen organisierte Kriminalität. Man kann Menschen an einer Einreise hindern, die versuchen häufig einzureisen, die unerkannt bleiben wollen, aber all das hilft wenig gegenüber Strukturen, die mit Selbstmordattentaten arbeiten, die wenig Rücksicht auf das eigene Lager nehmen. Überall da versagen biometrisch und andere angedachte Verfahren zur Verschärfung der Sicherheitsgesetzgebung in Europa.