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Terrorismus
"Jeder Flüchtling muss in einer Datenbank stehen"

Das Vorgehen der Sicherheitsbehörden im Fall Anis Amri wirft bei der CSU-Europaabgeordneten Monika Hohlmeier viele Fragen auf. Es seien Fehler gemacht worden, die vielleicht verhinderten, dass Amri vor dem Anschlag verhaftet wurde, sagte sie im Deutschlandfunk. Sie forderte, die Identität jedes Flüchtlings müsse geklart werden.

Monika Hohlmeier im Gespräch mit Stephanie Rohde |
    Monika Hohlmeier, CSU, Mitglied des Europäischen Parlaments und innenpolitische Sprecherin der EVP-Fraktion, zu Gast bei Anne Will im Ersten Deutschen Fernsehen.
    Die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier. (imago - Jürgen Heinrich)
    Stephanie Rohde: Bei einer Kontrolle der Polizei in Mailand wurde Anis Amri gestern erschossen, nachdem er aus Deutschland über Frankreich nach Italien geflohen war. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière spricht von einem Fahndungserfolg, andere von Behördenversagen. Während das noch aufgearbeitet wird, ist die Debatte darüber, welche politischen Konsequenzen der Fall jetzt haben muss, voll entbrannt. Am Telefon begrüße ich jetzt die Europaparlamentarierin Monika Hohlmeier von der CSU, sie ist unter anderem Mitglied im Justiz- und Innenausschuss des Europaparlaments. Guten Morgen!
    Monika Hohlmeier: Guten Morgen!
    Rohde: War das gestern ein Fahndungserfolg?
    Hohlmeier: Ja, natürlich war das ein Fahndungserfolg, das ist völlig klar. Weil, wenn ein Terrorist, der ein Attentat begangen hat, sich frei in Europa bewegt oder in der Europäischen Union und auch in Deutschland bewegt und noch nicht sozusagen festgenommen werden konnte, dann ist das zunächst einmal ein Erfolg. Und da muss man sich bei allen Polizeibeamten und allen Sicherheitsdiensten, die dazu beigetragen haben, ihn dingfest zu machen – weil, das ist ja nicht ganz so einfach, eine Person in einem großen Raum, in dem er sich bewegen kann, wenn man allein Deutschland nimmt, wie groß Deutschland ist –, dann ist das eindeutig ein Erfolg, dass er festgenommen wurde.
    "Wir brauchen mehr Kontrollen"
    Rohde: Aber wie können Sie von Erfolg sprechen, wenn dieser Mann sich trotz der Überwachung frei bewegen kann in Frankreich, in Italien, und dann in einer Zufallskontrolle gestellt wird?
    Hohlmeier: Also, zunächst einmal, es sind alles keine Zufallskontrollen mehr. Wir machen keine Zufallskontrollen mehr innerhalb der Europäischen Union, sondern es finden seit den Anschlägen und seitdem man weiß, dass der Terrorismus deutlich mehr Probleme hervorruft, werden deutlich mehr Kontrollen durchgeführt. Es sind also letztendlich, wenn Sie so wollen, immer Zufallskontrollen, aber das ist es, was es auch tatsächlich braucht.
    Wir brauchen mehr Kontrollen sowohl in den ganz normalen Räumen, in denen wir uns bewegen, als auch im Grenzraum, weil es notwendig ist, wenn man zum Beispiel einen Fahndungsaufruf hat oder auch wenn man Gefährder festnehmen will oder Personen, die gesucht werden, dann muss es Kontrollen geben. Und in einem Raum der Freiheit, wie wir uns ja nennen, Raum der Freiheit und Raum der Sicherheit, gibt es aber Gott sei Dank keine Kontrollen, wie es sie in einem totalitären Staat gibt, da wird nicht überall, an jeder Ecke kontrolliert, sondern dort, wo es die Polizeibeamten für richtig und für notwendig halten.
    "Hätte man es vorher verhindern können?"
    Rohde: Wie läuft das denn mit dem Datenaustausch? Die deutschen Behörden sind ja nicht wirklich austauschfreudig, so wie sie sein sollten. Scheitert es nicht auch manchmal daran?
    Hohlmeier: Es gibt in der Tat Lücken. Und die Lücken haben sich in dem Fall ja ebenfalls sehr deutlich aufgetan. Die erste Lücke ist, dass man in Bezug auf Flüchtlinge ziemlich unfreudig ist, wirklich tatsächlich Daten konsequent auszutauschen. Es muss jeder Flüchtling, der da ist, muss tatsächlich in einer Datenbank stehen. Und es müssen die Daten auch abgeglichen werden mit den Daten zum Beispiel der europäischen Straftäterdatenbank. Also, die Datenbank nennt sich SIS, Schengener Informationssystem. Sie müssen abgeglichen werden, denn dann stellt man fest: Ist jemand tatsächlich ein Flüchtling oder nutzt er die Möglichkeit, hier Asyl zu suchen, nur aus, missbraucht also einen Flüchtlingsstrom?
    Als Zweites gibt es tatsächlich auch Lücken darin, und Deutschland ist noch eines der Länder, die am meisten Daten abgeben, aber wir hatten bis vor eineinhalb Jahren nur vier Länder, die sich an SIS wirklich intensiv beteiligt haben. Mittlerweile schaut es deutlich besser aus. Aber als Drittes gibt es hier zum Beispiel das Problem, der Mann hat schon im Gefängnis gesessen, er war schon in Abschiebehaft, man hätte sich etwas intensiver um Tunesien bemühen müssen, weil Tunesien nämlich tatsächlich normalerweise auch diejenigen, die missbräuchlich Antrag gestellt haben, auch wieder zurücknimmt. Das heißt, da traten schon Fehler auf, auch wenn das jetzt ein Fahndungserfolg ist, aber es traten Fehler auf, die vielleicht hätten verhindern können, dass derjenige, der als Gefährder auch schon erkannt worden ist, vorher hätte schon verhaftet werden müssen. Beziehungsweise mit der jetzigen Terrorismusrichtlinie, die es gibt, hätte eigentlich er auch wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder wegen Vorbereitung eines entsprechenden Attentats, er war wohl auf entsprechenden Websites unterwegs gewesen.
    Wenn man wirklich ihn so intensiv begleitet hätte, dann muss man sich ehrlich die Frage stellen: Hätte man es vorher verhindern können oder muss man da tatsächlich in Deutschland noch was ändern? Also, für mich stellen sich da mehrere Fragen. Auch wie kann der Mann von Italien nach Deutschland kommen? Da gibt es eine ganze Latte an Fragen. Wenn man ganz offen ist und ehrlich mit sich, muss man sich die Fragen stellen, auch wenn ich mich jetzt herzlich bei den Sicherheitsbehörden bedanke, dass sie ihn tatsächlich haben zwar nicht verhaften, aber zumindest … Er ist erschossen worden und er kann keinen weiteren Menschen schaden.
    "Für 100 Prozent können Sie keine Garantie schaffen"
    Rohde: Sie arbeiten ja im Innenausschuss des EU-Parlaments mit an der Antiterrorstrategie und man fragt sich … Sie haben jetzt auch gerade die Frage gestellt: Wie kann der sich so frei bewegen? Warum funktioniert diese Antiterrorstrategie nach so vielen Anschlägen immer noch nicht reibungslos?
    Hohlmeier: Für 100 Prozent können Sie keine Garantie schaffen. Der Grund liegt auch darin, dass es schwierig ist, eine Person über 24 Stunden lückenlos zu verfolgen, wenn Sie der Ansicht sind, dass es ein Gefährder ist. Ähnliche Probleme haben wir in Frankreich schon gesehen. Sie stoßen auf Personalprobleme, das ist ein Problem, das wir in Deutschland dringendst lösen müssen, es tauchen immer wieder auch Länder auf mit demselben Namen, das ist Nordrhein-Westfalen und Berlin, wo wir die sogenannten No-go-Areas in verstärkter Form haben, wo Leute auch untertauchen können, leichter untertauchen können, als es vielleicht an manchen anderen Plätzen der Fall ist. Die Polizei ist in Nordrhein-Westfalen als auch in Berlin, es gibt aber auch andere Bereiche in Deutschland, die bei Gott nicht optimal ausgestattet sind.
    Rohde: Das heißt, Sie würden da auch von Versagen sprechen?
    Hohlmeier: Ich spreche nicht von Versagen, aber ich spreche wirklich von einer Lehrstunde. Ich spreche auch von einer Lehrstunde, dass wir jetzt sicherlich richtig erkannt haben, dass dringend zusätzlich Bundespolizisten gebraucht werden, dass wir in Nordrhein-Westfalen eine deutlich besser ausgestattete Polizei brauchen, dass es in Berlin keine No-go-Areas geben darf, aber auch nicht in Duisburg oder in Marxloh, weil dort eben das … oder in Köln, weil es so leicht ist, dort unterzutauchen. Dass wir aber auch, wenn wir jemanden 24 Stunden überwachen müssen … Sie müssen sich vorstellen, da brauchen Sie bis zu 40 Leute im Monat, die eine solche Person überwachen! Das ist personell für die Polizei gar nicht zu schaffen. Also, man redet ziemlich schnell immer von Versagen, sondern ich glaube, dass man wirklich die Lehrstunden daraus ziehen muss, und man muss sich trotzdem bewusst sein: 100 Prozent Sicherheit können wir nicht bekommen, denn wir wollen kein totalitärer Staat werden, wir wollen unsere Weihnachtsmärkte nicht in einem Ausmaß schützen, dass de facto jede Form von Angriff unmöglich ist. Dann müssen Sie letztendlich einen Weihnachtsmarkt wirklich mit Polizei oder mit Soldaten umringen und dann gäbe es noch keine 100-prozentige Garantie.
    Rohde: Bleiben wir noch mal bei dem Stichwort Lehrstunde. Ihr Parteifreund Horst Seehofer fordert ja auch, die Flüchtlingspolitik jetzt zu überdenken, nicht nur die Sicherheitspolitik. Und man fragt sich: Was hilft eine andere Flüchtlingspolitik, wenn wir schon diese islamistischen Netzwerke im Land haben?
    Hohlmeier: Also, zunächst einmal ist es Tatsache, dass der Flüchtlingsstrom unkontrollierter Art – und das ist es, was der Ministerpräsident auch sehr klar meint –, …
    Rohde: Die Zahlen sind deutlich zurückgegangen in diesem Jahr.
    Hohlmeier: … nie wieder passieren darf. Das bedeutet, trotzdem kommen Menschen rein, wo noch nicht geklärt ist, welche Identität sie haben. Das heißt, wir müssen tatsächlich Identität von Menschen klären, denn das ist es, was die Verbrecher missbrauchen. Sie missbrauchen den guten Willen, sie missbrauchen den Raum, den wir ihnen an Freiheit geben, das Vertrauen, das wir Menschen schenken, und sagen: Wenn sich jemand meldet, der um Asyl bittet, dann hat er den Anspruch darauf, und stellen dann im Nachhinein fest, ob jemand tatsächlich Asylbewerber ist. Und da gilt es tatsächlich, an den Grenzen deutlichere Kontrollen, und zwar an den Außengrenzen zu machen.
    "Kein Generalverdacht gegen Flüchtlinge"
    Rohde: Aber stellt man damit nicht, was Sie jetzt machen, stellt man damit nicht direkt alle Asylbewerber unter Generalverdacht?
    Hohlmeier: Wenn Sie eine Steuerkontrolle machen, wofür alle Medien ständig plädieren, ich auch, dass man Steuerkontrollen macht, Steuerprüfung, ist das nicht ein Generalverdacht gegen alle Steuerzahler. Wenn Sie Alkoholkontrollen auf der Straße machen, ist das nicht ein Generalverdacht gegen alle Autofahrer. Und wenn Sie eine Kontrolle an der Grenze durchführen, ist es kein Generalverdacht gegen Flüchtlinge oder Einreisende, sondern wir wollen wissen, wer zu uns kommt, wir wollen wissen, ob jemand …
    Rohde: Aber das wird ja getan, das wird ja jetzt inzwischen getan, also, da weiß man ja, wer kommt.
    Hohlmeier: Nein, ist inzwischen auch noch nicht immer der Fall. Wir haben bis heute Fälle an den griechischen Außengrenzen und an den italienischen Außengrenzen, wo wir definitiv nicht wissen, wer zu uns kommt. Man versucht jetzt mittlerweile wirklich, das Optimale zu tun und zu leisten. Es ist deutlich besser geworden, als es vor einem Jahr gewesen ist, der Zustand vor einem Jahr, den haben wir Gott sei Dank nicht mehr. Aber trotzdem, Kontrollmöglichkeiten, wie wir sie eigentlich an den Außengrenzen hätten … Es findet sich heute zum Beispiel auf jedem Handy eines Attentäters oder eines potenziellen Attentäters, finden sich Informationen, ob das Telefonnummern sind, die aus den salafistischen Netzwerken kommen, ob es Fotos sind, wo sie sich dann brüsten gegenüber anderen, dass sie jemanden getötet haben, erschossen haben, was auch immer.
    Sie finden diese Dinge auf dem Handy. Und heutzutage gibt es moderne technische Möglichkeiten, um eben ganz gezielt festzustellen, da muss keiner ein Handy lesen, die Technik ermöglicht es, automatisch solche Identifier, nenne ich es jetzt mal, entsprechend feststellen zu können. Wir haben solche Fälle gehabt und in Italien und in Griechenland sind deshalb auch schon mal, weil sie bekannt geworden waren, vorher schon als Gefährder, weil es Fotos von ihnen gab aus Syrien, die übermittelt worden waren über die Geheimdienste. Wenn da der Informationsaustausch funktioniert und die Grenzbehörden adäquat informiert sind und auch kontrollieren dürfen, dann kann man die Leute rausfiltern oder viele davon zumindest. 100 Prozent nicht, aber viele kann man rausfiltern.
    Rohde: Sagt die Europaparlamentarierin Monika Hohlmeier von der CSU, vielen Dank für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.