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Terrorismusexperte verdächtigt militante Islamisten

Nach Ansicht des Terrorismusexperten Rolf Tophoven tragen die Anschläge in London die Handschrift militanter islamistischer Kommandos. Die Gleichzeitigkeit von mehreren Bomben erinnere an die Bombenattentate im März letzten Jahres in Madrid. Ein Schlag gegen Tony Blair und seine Irak-Politik, mache aus der Perspektive militanter Islamisten ebenfalls Sinn, so Tophoven weiter.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Wir bewegen uns noch im Bereich der Spekulationen. Welche Ursache tatsächlich für die Explosionen in London verantwortlich war, das ist noch nicht geklärt. Am Telefon begrüße ich den Terrorismusexperten, Rolf Tophoven. Herr Tophoven, für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass es sich um Anschläge, um Attentate gehandelt hat heute?

    Rolf Tophoven: Es sieht so aus, Frau Klein. Denn wenn man den modus operandi der Anschläge betrachtet, dann ist ja die Gleichzeitigkeit von mehreren Bomben eigentlich typisch für die Handschrift, wie wir sie zuletzt vor einem Jahr am 11. März in Madrid erlebt haben, typisch für die Handschrift militanter islamistischer Kommandos. Und man darf bei der Analyse terroristischer Operationen niemals den Sinn - aus der Perspektive der Terroristen wohlgemerkt - aus den Augen lassen. Und ein Anschlag gegen den engsten Verbündeten der USA, nämlich gegen Tony Blair und seine pro-irakische Politik, macht aus der Perspektive militanter Islamisten durchaus einen Sinn.

    Klein: Die Serie halten Sie für ein Indiz, dass es sich um Attentäter gehandelt hat. Welche weiteren Indizien gibt es aus Ihrer Sicht?

    Tophoven: Man muss immer fragen, wer kann so etwas von der Logistik, vom technologischen Know-how durchführen. Und hier sind bei den islamistischen Zellen absolute Profis am Werk. Terroristisches Know-how, was die Technologie betrifft, wird heute vom Nahen, Fernen Osten ausgetauscht und kommt nach Europa. All dieses ist heute nicht mehr so schwierig zu handhaben. Dann kommt hinzu, ein wichtiges Indiz ist der Schlag gegen die so genannten soft targets - also gegen weiche Ziele: gegen die U-Bahnstationen, die Busstationen. Die Terroristen wollen den Bodycount, sie wollen viele Opfer und noch mehr Verletzte. Das haben alle Anschläge größerer Dimension in den letzten Jahren gezeigt. Und nun kommt das Timing hinzu: der G-8-Gipfel in Schottland, der Schulterschluss zwischen den USA und Großbritannien. All dieses sind Indizien, dass die Terroristen demonstrieren wollen, wir können euch jederzeit treffen, wir können dann zuschlagen, wenn wir den Zeitpunkt, das Timing der Operation, bestimmen. Und eins, was in Europa immer wieder unterschätzt wird, London gilt in militant islamistischen Kreisen als das Zentrum einer exorbitanten Propaganda und antiwestlichen Hetze.

    Klein: Es klingt, Herr Tophoven, als würden Sie andere Tätergruppen von vorneherein schon ausschließen, so es sich denn tatsächlich um Anschläge gehandelt hat.

    Tophoven: Das möchte ich nicht. Aber es käme ja eigentlich, Frau Klein, nur noch die IRA, also die irische Untergrundorganisation, in Betracht. Aber wenn man sich das Vorgehen der IRA in den letzten Jahren ansieht, so war ja doch in der Regel eine Vorwarnung gegeben. Man hatte zwar Verunsicherung in London durch Lahmlegen der Bus- und U-Bahnverbindungen geplant. Aber Tötungen in dem bisher bekannten Ausmaß hat es doch durch die IRA nicht gegeben, zumal sich ja dort in den letzten Jahren eine wie auch immer geartete politische Entkrampfung abgezeichnet hat. Also mit allem Vorbehalt, die letzten Ergebnisse vom Scotland Yard liegen ja noch nicht vor. Mit allem Vorbehalt deutet doch manches auf die Handschrift militanter Islamisten hin. Ob die nun mit El Kaida verbunden sind oder aus sich heraus, aus einer Art religiösem Erweckungserlebnis heraus, die Bombe gezündet haben, als eine Protestaktion gegen die Regierung Tony Blairs, gegen die Involvierung Großbritanniens im Irakkrieg, das ist sicherlich derzeit noch Spekulation. Das muss offen bleiben. Aber ich glaube schon, dass wir die hauseigene Terroraktion ausschließen können. Es deutet - noch mal mit Vorbehalt in dieser Stunde - auf militanten islamistischen Terrorismus hin. Zumal die britischen Nachrichtendienste, der Inlandsnachrichtendienst MI5, und der Auslandsnachrichtendienst MI6, gute Erkenntnisse und gute Erfahrungen haben über den modus operandi von militanten Islamisten. Nur, Frau Klein, die Tragödie - und das ist dann immer, wenn so etwas passiert, für einen Nachrichtendienst, für die Sicherheitsbehörden eine Tragödie - liegt vielleicht darin, dass man sehr viel gewusst hat über Anschlagsvorbereitungen, aber die Vorbereitungen zum Anschlag falsch gelesen hat, falsch interpretiert hat, und dann ist die Katastrophe gekommen.

    Klein: Herr Tophoven, wir bewegen uns weiterhin im Bereich der Spekulationen, ich möchte das noch mal ausdrücklich sagen. Doch gesetzt den Fall, ihre Prognose, ihre Analyse träfe zu, was bedeutet das für die Sicherheit in Europa?

    Tophoven: Wenn man eine Abstufung macht, wer am stärksten nach den USA im Fadenkreuz militanter Islamisten sein könnte, dann ist oder war es eindeutig Großbritannien. Grundsätzlich sind alle Nationen gefährdet, die aktiv am Irakkrieg beteiligt sind, die also dort Truppenkontingente haben. Das heißt aber nicht, dass Staaten, wie beispielsweise Deutschland außen vor sind, denn wir unterstützen ja auch den Antiterrorfeldzug der USA in Afghanistan und auch im Irak durch die Ausbildung irakischer Polizisten, wenn auch nicht im Lande Irak selbst.

    Klein: Einschätzungen des Terrorismusexperten, Rolf Tophoven. Vielen Dank.