Friedbert Meurer: Ich begrüße jetzt den Terrorismusexperten und Kollegen vom ZDF, Elmar Theveßen. Guten Tag, Herr Theveßen!
Elmar Theveßen: Ich grüße Sie, hallo!
Meurer: Die innenpolitische Debatte kreist in der Hauptsache um das Thema Videoüberwachung, Überwachung an Bahnhöfen. Wie entscheidend ist Ihrer Meinung nach dieses Thema?
Theveßen: Das Thema ist nicht unwichtig. Es kann natürlich dazu beitragen, wenn man Videoüberwachung hat, dass man Kriminelle abschreckt, dass man auch Terroristen, die nicht erkannt werden wollen, abschreckt, weil sie so erkannt werden könnten. Aber es haut auch große Grenze, diese Videoüberwachung. Einem Terroristen, der zu allem entschlossen ist, der vielleicht Selbstmordattentäter werden will, dem ist es egal, ob er dabei gefilmt wird. Und man hätte nur dann eine Chance, sinnvoll diese Bilder zu verwenden, wenn man sie praktisch simultan, während sie aufgezeichnet werden, auswertet, also dass da viele Leute sitzen, die dann sehen, da ist etwas Verdächtiges im Gange. Es ist, glaube ich, utopisch zu glauben, dass man dafür das entsprechende Personal hätte.
Meurer: Jetzt in dem Fall in Deutschland mit den Kofferbomben war es ja so, dass es keine Selbstmordattentäter waren, sondern die beiden hatten die Koffer abgestellt. Hier könnte dieses Verfahren, wenn nicht einen Anschlag verhindern, so doch dann hinterher eben aufklären und künftige Anschläge verhindern?
Theveßen: Das ist richtig. Für die Ermittlungen gerade hinterher ist das von großer Bedeutung, und es ist auch tatsächlich so gewesen, dass die Videobilder, die Veröffentlichung vom vergangenen Freitag, mit dazu beigetragen hat in erheblichem Maße, dass zumindest einer der mutmaßlichen Täter festgenommen werden konnte. Man muss aber noch mal sagen: Videoüberwachung kann eben letztlich den Terroranschlag nicht verhindern, wenn ein Terrorist unbedingt solch einen Anschlag begehen will und möglicherweise dabei auch sein Leben riskieren will.
Meurer: Um über die beiden mutmaßlichen Täter zu reden: Einer ist festgenommen worden, ein junger libanesischer Student. Das erinnert an die Hamburger Terrorzelle und die Studenten dort. Wie kommt es, dass wieder junge arabische Studenten mutmaßliche Terroristen in Deutschland geworden sind?
Theveßen: Das Profil ist tatsächlich nicht neu. Wir haben immer wieder Fälle gehabt im extremistischen Netzwerk von diesen Studenten. Das hängt damit zusammen, dass sie ad eins natürlich die Situation in ihren Heimatländern kennen und die Probleme, die dort existieren, auch in Deutschland, wenn sie hier sind, nicht vergessen, sondern im Gegenteil großen Anteil nehmen, alles verfolgen, was da geschieht, möglicherweise durch Schicksalsschläge aus der eigenen Familie auch noch beeinflusst werden. Wenn sie dann hier sind, dann bekommen sie eben auch etwas mit, was der britische Geheimdienst mal Doppelmoral in der Außenpolitik, jedenfalls die Wahrnehmung dieser Doppelmoral in der Außenpolitik genannt hat. Das heißt, man redet im Westen von Freiheit und Demokratie, in Wirklichkeit geschieht in der Welt das Gegenteil, Stichwort Irak-Krieg. Dann kann es eben passieren, dass solche jungen Leute sich radikalisieren und bereit sind, beim Terror mitzumachen.
Meurer: Wieso fährt nicht umgekehrt die Umgebung sozusagen, das deutsche Umfeld, Medien, deutsche Kommilitonen auf die Einstellung dieser Leute ab?
Theveßen: Es ist eigentlich sogar der gegenteilige Effekt der Fall. Die jungen Studenten haben den Eindruck, dass ihrer Umgebung eher egal ist, was in diesen Ländern an möglichem Unrecht passiert, wenn beispielsweise in Israel aus Sicht jedenfalls dieser jungen Leute Unrecht gegenüber den Palästinensern geschieht oder im Irak gegenüber Irakern, und ihre Umgebung sagt na ja, das ist halt so und das ist immer so gewesen, also eine Teilnahmslosigkeit verzeichnet wird. Das bestärkt dann gerade junge Leute, die hier in Deutschland die westliche Gesellschaft erleben, darin, dass sie etwas unternehmen müssen. Und sie glauben, das können sie nicht nur, indem sie dort vor Ort etwas unternehmen, sondern vielleicht auch hier, um die Menschen aufzurütteln und eine Änderung der Politik zu bewirken.
Meurer: Werden diese jungen arabischen Männer aus dem Ausland gesteuert?
Theveßen: Da haben wir zwar immer wieder Beispiele dafür gehabt in der Vergangenheit, aber es ist, glaube ich, in erster Linie so, dass diese jungen Männer sich selber radikalisieren, dass sie vielleicht Hilfe suchen, wenn sie tatsächlich Anschläge unternehmen wollen, bei bekannten Netzwerken. Aber die Tendenz in den letzten zwei Jahren geht eher dahin, dass sie völlig unabhängig und autark arbeiten, das heißt, sich die Anleitungen für den Bombenbau vom Internet herunterladen, sich hier mit ein, zwei Gleichgesinnten zusammen tun und dann eben auch die Bombe basteln und vielleicht legen. Das haben wir ja in Madrid und auch in London gesehen. Und das ist eine Gefahr für die Zukunft, weil diese Täter sind noch weniger zu entdecken als die, die viele Kontakte ins Ausland pflegen.
Meurer: Wie viele Personen sind das in etwa in Deutschland, die zum potenziellen terroristischen Umfeld zu rechnen sind?
Theveßen: Die Behörden können da ja nur schätzen. Es wird immer wieder geredet von 300 Gefährdern, die schon bewiesen haben, dass sie gewalttätig sind. Die waren aber dann in Trainingslagern oder haben im so genannten Heiligen Krieg in Tschetschenien oder anderswo gekämpft. Es sind insgesamt 3000, die als gewaltbereit eingeschätzt werden. Das sind aber in erster Linie die, die in Vereinen organisiert sind, die man auch im Visier der Behörden hat. Man kann nur schätzen. Ich glaube, das Potenzial ist deutlich größer, dass wir hier über vielleicht sogar Zehntausende reden, die grundsätzlich jedenfalls eine sehr radikale Einstellung haben und in denen das Potential vorhanden ist, dass sie auch hier in Deutschland aktiv werden.
Meurer: Auch der Libanese, der jetzt verhaftet wurde, wird beschrieben als nett und unauffällig. Das heißt es fast immer wieder, hieß es auch von den Mitgliedern der Hamburger Terrorzelle. Ist das eine Tarnung, oder steckt mehr dahinter?
Theveßen: Nein. Nicht absichtlich ist man nett, um unauffällig zu sein, sondern das ist tatsächlich wahrscheinlich das Natürliche bei diesen Menschen, denn es sind völlig normale Menschen wie du und ich. Es ist eben nicht so, wie wir das manchmal so einfach gerne haben, dass es Monster wären, dass sie völlig abgedreht sind, weil man sich vielleicht so einfach erklären könnte, weshalb sie solche verrückten Attentate dann unternehmen. Nein, es sind völlig normale Menschen, die aus zunächst mal recht rationalen Gründen in die Radikalität hineinrutschen und dann aber immer weiter radikalisiert sind, so dass sie bereit sind, für aus ihrer Sicht einen guten Zweck - und es ist aus unserer Sicht ein schrecklicher Zweck, aber aus ihrer Sicht ein guter - eben solche schrecklichen Dinge zu tun.
Meurer: Das war der Terrorismusexperte Elmar Theveßen. Schönen Dank und auf Wiederhören.
Theveßen: Auf Wiederhören.
Elmar Theveßen: Ich grüße Sie, hallo!
Meurer: Die innenpolitische Debatte kreist in der Hauptsache um das Thema Videoüberwachung, Überwachung an Bahnhöfen. Wie entscheidend ist Ihrer Meinung nach dieses Thema?
Theveßen: Das Thema ist nicht unwichtig. Es kann natürlich dazu beitragen, wenn man Videoüberwachung hat, dass man Kriminelle abschreckt, dass man auch Terroristen, die nicht erkannt werden wollen, abschreckt, weil sie so erkannt werden könnten. Aber es haut auch große Grenze, diese Videoüberwachung. Einem Terroristen, der zu allem entschlossen ist, der vielleicht Selbstmordattentäter werden will, dem ist es egal, ob er dabei gefilmt wird. Und man hätte nur dann eine Chance, sinnvoll diese Bilder zu verwenden, wenn man sie praktisch simultan, während sie aufgezeichnet werden, auswertet, also dass da viele Leute sitzen, die dann sehen, da ist etwas Verdächtiges im Gange. Es ist, glaube ich, utopisch zu glauben, dass man dafür das entsprechende Personal hätte.
Meurer: Jetzt in dem Fall in Deutschland mit den Kofferbomben war es ja so, dass es keine Selbstmordattentäter waren, sondern die beiden hatten die Koffer abgestellt. Hier könnte dieses Verfahren, wenn nicht einen Anschlag verhindern, so doch dann hinterher eben aufklären und künftige Anschläge verhindern?
Theveßen: Das ist richtig. Für die Ermittlungen gerade hinterher ist das von großer Bedeutung, und es ist auch tatsächlich so gewesen, dass die Videobilder, die Veröffentlichung vom vergangenen Freitag, mit dazu beigetragen hat in erheblichem Maße, dass zumindest einer der mutmaßlichen Täter festgenommen werden konnte. Man muss aber noch mal sagen: Videoüberwachung kann eben letztlich den Terroranschlag nicht verhindern, wenn ein Terrorist unbedingt solch einen Anschlag begehen will und möglicherweise dabei auch sein Leben riskieren will.
Meurer: Um über die beiden mutmaßlichen Täter zu reden: Einer ist festgenommen worden, ein junger libanesischer Student. Das erinnert an die Hamburger Terrorzelle und die Studenten dort. Wie kommt es, dass wieder junge arabische Studenten mutmaßliche Terroristen in Deutschland geworden sind?
Theveßen: Das Profil ist tatsächlich nicht neu. Wir haben immer wieder Fälle gehabt im extremistischen Netzwerk von diesen Studenten. Das hängt damit zusammen, dass sie ad eins natürlich die Situation in ihren Heimatländern kennen und die Probleme, die dort existieren, auch in Deutschland, wenn sie hier sind, nicht vergessen, sondern im Gegenteil großen Anteil nehmen, alles verfolgen, was da geschieht, möglicherweise durch Schicksalsschläge aus der eigenen Familie auch noch beeinflusst werden. Wenn sie dann hier sind, dann bekommen sie eben auch etwas mit, was der britische Geheimdienst mal Doppelmoral in der Außenpolitik, jedenfalls die Wahrnehmung dieser Doppelmoral in der Außenpolitik genannt hat. Das heißt, man redet im Westen von Freiheit und Demokratie, in Wirklichkeit geschieht in der Welt das Gegenteil, Stichwort Irak-Krieg. Dann kann es eben passieren, dass solche jungen Leute sich radikalisieren und bereit sind, beim Terror mitzumachen.
Meurer: Wieso fährt nicht umgekehrt die Umgebung sozusagen, das deutsche Umfeld, Medien, deutsche Kommilitonen auf die Einstellung dieser Leute ab?
Theveßen: Es ist eigentlich sogar der gegenteilige Effekt der Fall. Die jungen Studenten haben den Eindruck, dass ihrer Umgebung eher egal ist, was in diesen Ländern an möglichem Unrecht passiert, wenn beispielsweise in Israel aus Sicht jedenfalls dieser jungen Leute Unrecht gegenüber den Palästinensern geschieht oder im Irak gegenüber Irakern, und ihre Umgebung sagt na ja, das ist halt so und das ist immer so gewesen, also eine Teilnahmslosigkeit verzeichnet wird. Das bestärkt dann gerade junge Leute, die hier in Deutschland die westliche Gesellschaft erleben, darin, dass sie etwas unternehmen müssen. Und sie glauben, das können sie nicht nur, indem sie dort vor Ort etwas unternehmen, sondern vielleicht auch hier, um die Menschen aufzurütteln und eine Änderung der Politik zu bewirken.
Meurer: Werden diese jungen arabischen Männer aus dem Ausland gesteuert?
Theveßen: Da haben wir zwar immer wieder Beispiele dafür gehabt in der Vergangenheit, aber es ist, glaube ich, in erster Linie so, dass diese jungen Männer sich selber radikalisieren, dass sie vielleicht Hilfe suchen, wenn sie tatsächlich Anschläge unternehmen wollen, bei bekannten Netzwerken. Aber die Tendenz in den letzten zwei Jahren geht eher dahin, dass sie völlig unabhängig und autark arbeiten, das heißt, sich die Anleitungen für den Bombenbau vom Internet herunterladen, sich hier mit ein, zwei Gleichgesinnten zusammen tun und dann eben auch die Bombe basteln und vielleicht legen. Das haben wir ja in Madrid und auch in London gesehen. Und das ist eine Gefahr für die Zukunft, weil diese Täter sind noch weniger zu entdecken als die, die viele Kontakte ins Ausland pflegen.
Meurer: Wie viele Personen sind das in etwa in Deutschland, die zum potenziellen terroristischen Umfeld zu rechnen sind?
Theveßen: Die Behörden können da ja nur schätzen. Es wird immer wieder geredet von 300 Gefährdern, die schon bewiesen haben, dass sie gewalttätig sind. Die waren aber dann in Trainingslagern oder haben im so genannten Heiligen Krieg in Tschetschenien oder anderswo gekämpft. Es sind insgesamt 3000, die als gewaltbereit eingeschätzt werden. Das sind aber in erster Linie die, die in Vereinen organisiert sind, die man auch im Visier der Behörden hat. Man kann nur schätzen. Ich glaube, das Potenzial ist deutlich größer, dass wir hier über vielleicht sogar Zehntausende reden, die grundsätzlich jedenfalls eine sehr radikale Einstellung haben und in denen das Potential vorhanden ist, dass sie auch hier in Deutschland aktiv werden.
Meurer: Auch der Libanese, der jetzt verhaftet wurde, wird beschrieben als nett und unauffällig. Das heißt es fast immer wieder, hieß es auch von den Mitgliedern der Hamburger Terrorzelle. Ist das eine Tarnung, oder steckt mehr dahinter?
Theveßen: Nein. Nicht absichtlich ist man nett, um unauffällig zu sein, sondern das ist tatsächlich wahrscheinlich das Natürliche bei diesen Menschen, denn es sind völlig normale Menschen wie du und ich. Es ist eben nicht so, wie wir das manchmal so einfach gerne haben, dass es Monster wären, dass sie völlig abgedreht sind, weil man sich vielleicht so einfach erklären könnte, weshalb sie solche verrückten Attentate dann unternehmen. Nein, es sind völlig normale Menschen, die aus zunächst mal recht rationalen Gründen in die Radikalität hineinrutschen und dann aber immer weiter radikalisiert sind, so dass sie bereit sind, für aus ihrer Sicht einen guten Zweck - und es ist aus unserer Sicht ein schrecklicher Zweck, aber aus ihrer Sicht ein guter - eben solche schrecklichen Dinge zu tun.
Meurer: Das war der Terrorismusexperte Elmar Theveßen. Schönen Dank und auf Wiederhören.
Theveßen: Auf Wiederhören.