Donnerstag, 25. April 2024

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Textilsiegel Grüner Knopf
"Ein Siegel kann die Lage der Menschen nicht unmittelbar verbessern"

Mit dem "Grünen Knopf" gibt es jetzt ein staatliches Textilsiegel. Darin fehlten aber Auskünfte über existenzsichernde Löhne und zur gesamten Lieferkette, kritisierte die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, im Dlf. Sie forderte zudem gesetzliche Regelungen.

Bärbel Kofler im Gespräch mit Mario Dobovisek | 09.09.2019
14.02.2019, Berlin: Bärbel Kofler von der SPD spricht bei der Sitzung des Bundestages zum Starke-Familien-Gesetz. Weiteres Thema ist unter anderem die Verabschiedung eines Gesetzes für bessere Organspende-Bedingungen in Kliniken. Foto: Jörg Carstensen/dpa | Verwendung weltweit
Bärbel Kofler, SPD, ist Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung (dpa / Jörg Carstensen)
Mario Dobovisek: Auf der Homepage www.siegelklarheit.de listet das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit allein für Textilien ganze 30 verschiedene Siegel und Label auf. Wohl dem, der da noch den Überblick behält. Ein weiteres kommt heute hinzu, eingeführt vom Entwicklungsminister höchst selbst: Es ist der "Grüne Knopf", im Gegensatz zu den meisten anderen ein staatliches Siegel. Dahinter steckt ein Textilbündnis aus Herstellern und Händlern, die gemeinsam Missstände und Katastrophen in der Bekleidungsindustrie verhindern wollen, Katastrophen wie den Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch vor sechs Jahren. Mehr als 1.000 Menschen kamen damals ums Leben.
Am Telefon begrüße ich Bärbel Kofler von der SPD. Lange war sie Entwicklungspolitikerin im Bundestag, heute ist sie die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung. Guten Morgen, Frau Kofler!
Bärbel Kofler: Guten Morgen!
Dobovisek: Kann der Grüne Knopf die Lage der Menschen in den großen Textilländern wie in Bangladesch tatsächlich nachhaltig verbessern?
Kofler: Ich glaube, ein Siegel kann nicht die Lage der Menschen unmittelbar verbessern. Ein Siegel kann Transparenz für Verbraucher und Konsumenten schaffen oder sollte das schaffen, damit ausgewählt werden kann: positive Produktionen, faire Produktionen, ökologisch sinnvolle Produktionen. Das ist die Aufgabe eines Siegels. Für die Verbesserung der Situation vor Ort bei den Menschen, glaube ich, braucht man mehr als ein Siegel. Da braucht man verbindliche Regeln, nach denen produziert und hergestellt werden kann.
"Brauchen Kriterien, die existenzsichernde Löhne einbeziehen"
Dobovisek: Anders als geplant umfasst der Grüne Knopf nicht die gesamte Produktionskette vom Baumwollfeld bis zum Kleiderbügel. Im Moment gilt das nur fürs Waschen, Nähen und Schneiden. Ist das ein Manko?
Kofler: Ich glaube, das ist etwas, was sich im Laufe der Zeit sicher verändern muss. Ich möchte am Anfang eines solchen Projektes nicht das gesamte Projekt in Bausch und Bogen verurteilen, weil ich glaube schon, dass es wichtig ist, dass man auch beginnt, mit einem Siegel, das eventuell dann auch wirklich mehr Klarheit und mehr Transparenz in das Verfahren bringen kann, anzufangen.
Die Frage, die Sie angesprochen haben mit den Lieferketten, ist sicher ein entscheidender Punkt. Ein zweiter Punkt, der für mich sehr, sehr wichtig ist, ist, dass wir auch Kriterien brauchen, die existenzsichernde Löhne einbeziehen – nicht nur örtliche Mindestlöhne, die ja oft sehr deutlich unter dem Existenzminimum sind.
Dobovisek: Das heißt, das Siegel ist, was die Arbeitsbedingungen, die Löhne angeht, nicht fair?
Kofler: Ich möchte wie gesagt wirklich in der Pilotphase das Siegel hier nicht verurteilen, weil ja auch angekündigt worden ist, das einzubeziehen zum Ende der Pilotphase. Darauf wird es aber, glaube ich, auf alle Fälle ankommen, denn die Verbraucher erwarten auch, dass das Siegel Auskunft über existenzsichernde Löhne gibt. Das hat eine Umfrage, die vor kurzem von der Verbraucherzentrale vom Bundesverband bei Verbrauchern gemacht worden ist, ergeben. Die Leute wollen darüber Auskunft und Information und dahin muss sich das Siegel entwickeln, und ich hoffe, dass das im Laufe der Pilotphase auch geschieht.
"Menschenrechte sind für mich eine generelle Verpflichtung"
Dobovisek: Dann ganz ehrlich, Frau Kofler, aus Verbrauchersicht: Was soll der Verbraucher dann mit einem halbgaren, nicht gerade aussagekräftigen Siegel Ihres Koalitionspartners anfangen?
Kofler: Na ja. Wir sind wirklich – wie gesagt, ich wiederhole mich jetzt an der Stelle – am Beginn einer Pilotphase. Ich erwarte, dass am Ende der Pilotphase, die ja im Jahr 2021 stattfindet, ein Siegel steht, das genau darüber Auskunft gibt. An den Punkten, die ich gerade angesprochen habe, muss aus meiner Sicht gearbeitet werden. Das ist die Frage der Lieferketten als solches und das ist die Frage der existenzsichernden Löhne, und das muss gelingen im Rahmen der Pilotphase, diese Kriterien mit einzubeziehen. Darüber hinaus glaube ich, dass es wirklich ganz wichtig ist, nicht nur über das Siegel zu sprechen, sondern über gesetzliche Rahmenbedingungen für Wertschöpfung entlang der Lieferkette als solches, weil Menschenrechte sind für mich eine generelle Verpflichtung, die man nicht nur in der Dokumentation mit einem Siegel abbildet, sondern die sich auch gesetzlich widerspiegeln sollte.
Dobovisek: Gucken wir uns das mal genauer an. Schon 2014 hatte Entwicklungsminister Müller ja ein Textilbündnis gegründet. 50 Prozent der Firmen beteiligen sich daran, sagt er. Das heißt aber auch im Umkehrschluss, dass die andere Hälfte nicht mitmacht. Wenn die Freiwilligkeit nicht weiterführt - und auch das Siegel basiert ja auf Freiwilligkeit -, wie soll das gesetzlich geregelt werden?
Kofler: Genau das ist der entscheidende Punkt. Ich glaube, dass in diesem Bereich Freiwilligkeit das falsche Momentum ist. Gesetze sind einzuhalten. Menschenrechte sind für mich keine Fragen, wo man sagt, das erfülle ich oder erfülle ich nicht, je nach Freiwilligkeit, je nach Umständen, je nach Möglichkeit. Das muss gesetzlich verpflichtend eingeführt werden. Deshalb bin ich zutiefst überzeugt, dass wir auch ein Gesetz über menschenrechtliche Sorgfaltspflichten brauchen, sowohl in Deutschland, wie auch eine Initiative, die diese Sorgfaltspflicht-Richtlinien auf europäischer Ebene verankert. Beides ist, glaube ich, ganz, ganz wichtig.
Dobovisek: Jetzt sagt der Verband der deutschen Textil- und Modeindustrie, das neue Siegel schaffe Bürokratie und sei bloß auf den deutschen Markt begrenzt. Da ist vielleicht was dran, Frau Kofler, wenn wir bedenken, dass das Modegeschäft heute längst ein globales ist. Muss da mehr kommen als der nationale Alleingang?
Kofler: Ich glaube, es muss immer eine europäische Initiative flankierend dazukommen. Natürlich ist es richtig, dass größere Märkte größere Wirkung haben können auf Produktionsbedingungen. Deshalb bin ich auch sehr für eine EU-Regel.
"Ich höre auch die Klagen sehr vieler Unternehmen"
Dobovisek: Gesetzliche Mindeststandards auf EU-Ebene?
Kofler: Genau. Ich glaube allerdings auch, dass man beginnen muss und dass man auch im eigenen Land beginnen muss, und das würde ich immer für richtig halten. Ich muss ganz ehrlich sagen, das Thema Bürokratie höre ich von Verbänden immer, egal auf welcher Ebene. Genau spezifizieren können die Verbände das oft nicht. Ich glaube, es muss doch auch im Interesse der Mitgliedsunternehmen von Verbänden sein, dass sie Transparenz über ihre menschenrechtlichen Standards haben, denn auch das hat etwas mit Image am Markt zu tun. Ich höre auch die Klagen sehr vieler Unternehmen, die es gerne hätten, dass man gesetzliche Regeln hat, weil dann das sogenannte Level Playing Field, diese gleichen Spielregeln in der Wirtschaft eine Rolle spielen und nicht der, der die schlechtesten Produktionsbedingungen zum Wettbewerbsvorteil nutzt, einen Vorteil auch bei uns hat. Ich höre auch andere Stimmen.
Dobovisek: Jetzt gucken wir uns die Kriterien mal an für so ein Siegel. Daraus wollen Sie irgendwann gesetzliche Regeln machen. Wie sollen diese Regeln vor allem im Ausland durchgesetzt werden, wenn – und so ist es auch nicht vorgesehen – es keine staatlichen Kontrollen gibt?
Kofler: Natürlich muss das kontrolliert werden. Ich möchte auch gesetzliche Regeln für die Unternehmen, die bei uns tätig sind und mit ihrer Haftung praktisch für das Geschehen im Ausland und entlang der Lieferkette verantwortlich gemacht werden. Das ist ein Gesetzesentwurf zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht, der auch vorbereitet wird. Ich möchte das auch nicht irgendwann; ich möchte das noch in dieser Legislaturperiode. Ob es mir gelingen kann, werde ich sehen oder werden wir sehen. Das entscheide ja auch nicht ich alleine. Aber das ist eigentlich der Plan, der in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden muss.
Dobovisek: Der Koalitionsvertrag sieht ja eine Selbstverpflichtung für Menschenrechte und Nachhaltigkeit vor. Sehen Sie da Ihren Koalitionspartner, die Union auf dem richtigen Weg?
Kofler: Das ist ja immer so die Frage. Ich glaube, da gibt es Kolleginnen und Kollegen des Koalitionspartners, die sehr wohl diesen Weg mitgehen. Es gibt leider auch noch Widerstand, der insbesondere auch im Wirtschaftsministerium leider zu verorten ist.
"Das Land braucht dringend Frieden"
Dobovisek: Wenn wir über Lebensstandards und die Menschenrechte sprechen, müssen wir heute auch nach Afghanistan blicken, ein bisschen fernab von Bangladesch zum Beispiel. Dort stehen andere Fragen als faire Arbeitsbedingungen im Vordergrund, nämlich die Frage nach Krieg und Frieden, nach Freiheit. US-Präsident Donald Trump hat die Verhandlungen mit den Taliban gerade abgebrochen. Die wiederum drohen mit Gewalt. Es gab auch viele Anschläge. Was bedeutet das für die Menschen im Land?
Kofler: Ich glaube, für die Menschen im Land – und diese Stimmen hört man ja auch bereits – ist das eine Katastrophe. Was die Menschen dringend brauchen ist Frieden, ist auch Sicherheit vor Gewalt und vor Anschlägen. Das ist ganz elementar, ist auch ein ganz elementares Menschenrecht, leben zu können, existieren zu können, sich auch eine Zukunft aufbauen zu können. Dann ist man ganz schnell auch wieder bei den Arbeits- und Existenzbedingungen als solches. Aber das Land braucht dringend Frieden, um im Bereich der Menschenrechte vorankommen zu können.
Dobovisek: Geht das nur mit den Taliban?
Kofler: Ich denke, man muss mit allen, die willens sind zu verhandeln, es versuchen, und ich finde, die Verhandlungen müssen auch in diesem Bereich wieder aufgenommen werden.
Dobovisek: Was bedeutet das für die Außenpolitik Deutschlands, aber auch die Entwicklungspolitik?
Kofler: Für die Außenpolitik Deutschlands – wir sind immer ein Land, das generell sich für Friedensverhandlungen einsetzt und immer versucht, friedliche Wege zu gehen und Friedensverhandlungen voranzutreiben. Das, glaube ich, wird auch der Weg sein, den wir weiter unterstützen wollen.
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