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"The Christians"
Die US-Massenkirche in der Mangel

Das New Yorker Off-Broadway-Stück "The Christians" fragt nach der Fähigkeit von Religion und Ideologie, die eigenen Grenzen zu überschreiten. In einem besonders durch die christliche Religion tief gespaltenen Amerika fühlt man am Vorabend der nächsten Präsidentschaftswahlen, wie entscheidend diese Fähigkeit für den Frieden in diesem Land sein wird.

Von Andreas Robertz |
    Bühnenbildner Dane Laffrey hat die Bühne in den Altarraum eines Gotteshauses verwandelt: ein großes weißes, schön von hinten beleuchtetes Kreuz, die Wände aus dunklem Holz, ein tiefblauer Teppich, eine Empore für den Chor, ein schickes gläsernes Podium und fünf Sessel mit Mikrofonen. Ein 20- köpfiger Chor singt und klatscht selig lachend ins Publikum, während der Pastor, seine Frau und die Älteren singend Platz nehmen. Heute ist es endlich soweit: die letzte Rate für das neue Gotteshaus ist bezahlt. Aber Pastor Paul sieht einen Riss durch das Gebäude der Gemeinde laufen.
    "There is a crack and if we don't fix that crack it doesn't matter how solid this building is, we will crumble."
    Den Riss, von dem der Pastor erzählt, verdeutlicht er anhand der Geschichte eines jungen Mannes eines anderen Glaubens, der nach einem Bombenanschlag in das brennende Geschäft seiner Eltern läuft und selber brennend seine kleine Schwester rettet. Ein Missionar aus Pastor Pauls Kongregation, der den Vorfall gesehen hat, bedauerte, dass er den jungen Mann nicht vor seinem Tod bekehren konnte: wäre er doch so ein guter Soldat Christi geworden. Nun ist das Feuer, das ihn getötet hat, nur ein kleiner Vorgeschmack für die ewigen Flammen der Hölle. Angewidert von der Überheblichkeit dieser Aussage endet für Pastor Paul mit dieser Geschichte der Glauben an die Hölle und an Christus als der einzig rettende Weg ins Paradies.
    Ringen um die Einheit der Gemeinde
    Gott offenbart ihm, dass die Hölle das ist, was die Menschen aus der Erde machen und dass alle Menschen ins Paradies kommen. Es beginnt ein intensiv gespieltes Ringen um die Einheit der Gemeinde, bei dem sich die theologische Argumentation zunehmend mit persönlichen Bedürfnissen vermischt. Für die meisten Gemeindemitglieder ist das Konzept eines strafenden Gottes leichter zu verstehen, als die Idee eines alles Verzeihenden.
    Zum Beispiel kann sich Jennie, eine alleinerziehende junge Mutter, ein Paradies, in dem Hitler auch einen Platz hat, nicht vorstellen. Und als Paul erwidert, dass es ein Paradies, das der menschlichen Vorstellungskraft entspringt, nicht gibt, verlässt sie angewidert zusammen mit dem Chor die Bühne. Pauls Frau Elizabeth, die an Gottes Gerechtigkeit und das letzte Gericht glaubt, verlässt ihn ebenfalls, weil sie sich von Gott nicht sagen lassen will, sie habe nicht alles getan, um die Seele ihres Mannes zu retten.
    Und Hilfspastor Joshua berichtet unter Tränen, dass er in einen Himmel kommen wird, von dem er seine ungetaufte Mutter in der Hölle wird brennen sehen. Und dass er trotzdem an den Teufel und die ewige Hölle glaube, weil Gott das von ihm verlange. Erschreckend versteht man, wie quälend und leidvoll die christliche Heilsvorstellung für den Einzelnen sein kann.
    Doch letztlich handelt Lucas Hnath sehr intelligent gebauten Stück von dem Riss, den Religionen in einer modernen Gesellschaft erzeugen können: den Riss zwischen Gläubigen, die gerettet werden und Nicht-gläubigen, die verdammt sind.
    Kluges Stück zu einem schwierigen Thema
    Regisseur Lex Waters lässt seine Protagonisten immer durchs Mikrofon sprechen, selbst intime Unterhaltungen wirken so an die Öffentlichkeit gezerrt. Jedes Wort wird dadurch vorsichtig abgewägt und das Ringen mit den langen Mikrofonkabeln ein Symbol für das Ringen mit den Worten.
    "I believe what I believe because I know it's true. But why do I know it's true? It's a feeling. And where did that feeling come from? God?"
    Allen voran Andrew Garman als Pastor Paul gelingt es, den richtigen Ton auf der Suche nach der Wahrheit zu finden, ohne in die Karikatur des rechtschaffenen Predigers zu rutschen - auch wenn die manchmal seltsamen Argumentationen beim liberalen New Yorker Publikum hörbares Vergnügen auslöst.
    "The Christians" fragt nach der Fähigkeit von Religion und Ideologie, die eigenen Grenzen zu überschreiten. In einem besonders durch die christliche Religion tief gespaltenen Amerika fühlt man am Vorabend der nächsten Präsidentschaftswahlen, wie entscheidend diese Fähigkeit für den Frieden in diesem Land sein wird. Heftiger Applaus für ein kluges Stück zu einem schwierigen Thema.