Donnerstag, 25. April 2024

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"The Loves Of Your Life" von Hamilton Leithauser
"Menschen sind einfach spannend!"

Hamilton Leithauser kennt man als Sänger von The Walkmen, seit einigen Jahren ist er solo unterwegs. Sein Album "The Loves Of Your Life" ist voll von Geschichten über Freunde, Familie und Zufallsbegegnungen, die letztendlich aber doch wieder seine eigene Geschichte sind, so der Musiker im Dlf.

Hamilton Leithauser im Gespräch mit Anja Buchmann | 18.04.2020
Der Musiker Hamilton Leithauser vor einem Anzuggeschäft
Gut gekleidet: Hamilton Leithauser (Glassnote Records)
Anja Buchmann: "The Loves Of Your Life" heißt Ihr neues Album, auf dem Sie Geschichten erzählen von verschiedenen Menschen, seien es Freundinnen und Freunde, Familienmitglieder oder Fremde, denen Sie zufällig begegnet sind. Warum dieses Konzept?
Hamilton Leithauser: Das begann alles vor drei oder vier Jahren. Ich habe - wie immer - an Musik gearbeitet, habe Songs ohne Texte komponiert. Das Ganze in einem kleinen Studio, das ich mir in meinem Haus gebaut habe. Ich habe zum ersten Mal Schlagzeug gespielt und andere für mich neue Instrumente und Tracks daraus kreiert. Dabei kam einiges an Material zusammen, und dann habe ich versucht, dazu zu singen - aber das funktionierte nicht! Ich war nicht zufrieden mit meinem Gesang, es war langweilig. Daraufhin hab ich das Ganze erst mal auf Eis gelegt und auf später verschoben. Aber auch später hatte ich noch keine Texte, und es wurde problematisch - denn ich wollte keine Instrumentalmusik machen, sondern Songs. Aber ich wusste einfach nicht, wovon sie handeln sollten.
Zufällige Begegnungen als Inspiration
Irgendwann im Sommer bin ich mit meinen Kindern auf dieser Auto-Fähre gewesen. Wir fuhren vom Orient Point, New York, nach New London in Connecticut. Es war diese Fähre, die sich "Cross Sound Ferry" nennt, über den Long-Island-Meeresarm. Wir standen an der Snack-Bar und da haben wir diesen Typen kennen gelernt. Er hat etwas Small Talk angefangen mit meinen Töchtern, hat sie zum Lachen gebracht und von seinen eigenen Töchtern erzählt. Er war sehr lustig, aber auch ein bisschen traurig.
Und eine Woche später habe ich aus irgendeinem Grund wieder an diese Begegnung gedacht. Ich dachte: Es ist witzig, der Typ saß schon auf der 9-Uhr-Fähre als wir eingestiegen sind - die Fahrt übers Wasser dauert 75 Minuten, er muss also auch schon vorher darauf gewesen sein und gegen 7 Uhr in Connecticut eingestiegen sein und quasi eine Rundreise machen. Oder er ist schon im 5 Uhr eingestiegen, in New York - oder er ist schon seit einem Monat auf dieser Fähre, unterhält sich mit Menschen und hat Angst, nach Hause zu gehen! Und dann habe ich meine Erinnerungen an unsere Unterhaltung aufgeschrieben, das Ganze noch ausgeschmückt und ein bisschen Drama hinzugefügt - warum dieser Mann wohl Angst davor hat, nach Hause zu gehen. Dann kam mir dieses Gitarren-Motiv meines Freundes Paul in den Sinn und habe dazu gesungen.
Ich fand den Text witzig, er hat mich zum Lachen gebracht und ich wollte einfach dazu singen. Und ich wollte, dass andere Menschen diesen Typen kennen lernen - ich mochte den Charakter, den ich da entworfen hatte. Kurz danach kam zufällig diese polnische Frau, die mir ihre unglaubliche Geschichte erzählt hat, ihre ganze Lebensgeschichte.
Buchmann: Der sind Sie auch zufällig begegnet?
Leithauser: Ja! Sie hat sich neben mich auf eine Parkband gesetzt, als meine Kinder am Strand von Long Island gespielt haben. Die Frau war voll auf Drogen - harte Drogen. Und sie erzählte mir, wie sie von Polen in die USA gezogen ist, dass ihr Mann sie schlägt und all so was. Ihre Erzählungen waren sehr durcheinander, viele Informationen widersprachen sich.
Es war einfach schräg, meine Töchter haben mit großen Augen zugehört und sie ist dann irgendwann einfach gegangen. Und ich dachte: Wow, noch eine merkwürdige Geschichte. Dann habe ich wieder alles aufgeschrieben, an das ich mich erinnerte. Und daraus entstand der Song "The stars of tomorrow".
"Ich schreibe keine Biografien"
Als ich die 9th Avenue runter gegangen bin, rannte ich quasi in einen alten Freund hinein, den ich seit bestimmt 10 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Er sah gut aus, war bester Stimmung, als hätte er gerade einen Lunch mit drei Martinis und seiner neuen Geliebten gehabt. Als wir wieder auseinander gingen, habe ich über alte Zeiten nachgedacht. Ich habe mich auch erinnert, dass alles, was er tat, von einem dunklen Schein umgeben war. Es gab immer einen Schatten um ihn, etwas das ein bisschen anders war. All unsere guten Zeiten hatten einen dunklen Unterton. Und ich dachte: Was wäre, wenn ich mal einen Song über jemanden schrieben würde, den ich kenne?
Buchmann: Wie heißt dieser Song über den wieder getroffenen Freund?
Leithauser: "The Old King", der letzte Song auf der Platte. Und von da an hatte ich diese Idee in meinem Kopf. Das ganze dauerte natürlich noch, du kannst nicht nur an jemanden denken und dann einen Song schreiben. Du brauchst einen bestimmten Blickwinkel: Es muss etwas geben, was bei dir hängen bleibt, das besonders lustig oder interessant ist. Und das dich denken lässt: Oh, dieses kleine Detail ist bedeutsam für unsere ganze Beziehung!
Dann habe ich die Platte "The Loves Of Your Life" genannt, denn ich wollte die Motivationen dieser Menschen heraus stellen - was sie mögen, wohin sie wollen, was ihnen wichtig ist. Oder besser: was ich denke, das ihnen wichtig ist. Letztendlich ist es doch wieder meine Geschichte, denn es ist natürlich subjektiv und ich schreibe keine Biografien. Ich wollte so wahrhaftig wie möglich sein, aber wenn der Song noch ein dramatisches Detail brauchte, hab ich es durchaus hinzu gefügt.
Buchmann: Wissen die Leute, über die Sie die Songs geschrieben haben, dass sie gemeint sind - haben sie sich wieder erkannt?
Leithauser: Noch nicht! Das ist der Witz in dem Video mit Ethan Hawke, ich wollte das auf den Tisch bringen.
Buchmann: Ich habe eine Art Hobby: Immer, wenn ich mich mit einer bestimmten Freundin treffe und wir in einem Cafe sitzen, dann beobachten wir Leute, die vorbei gehen oder am Nebentisch sitzen und erfinden Geschichten um sie herum. Über ihre Biografien. Das machen wir immer, wenn wir uns treffen…
Leithauser: Genau, das ist die gleiche Sache! Menschen sind einfach auch spannend. Besonders wenn Du merkst, dass die Seite, die sie nach außen präsentieren, auf Instagram oder so, nicht das ist, worüber man einen Song schreiben möchte. Denn diese Präsentation des Perfekten ist etwas langweilig, rosarot und flach.
Songs wie Kurzgeschichten
Buchmann: Was ist mit Isabella? In dem Song geht es um ein Mädchen, das in Manhattan wohnt, das sich das Apartement von den Eltern bezahlen lässt und auch deshalb nicht so recht erwachsen wird. Das ist jemand, den Sie kennen?
Leithauser: Ja.
Buchmann: Was für eine Person ist Isabella?
Leithauser: Eine großartige Person, die ich bewundere und mag. Viele Menschen kennen solche Leute, die einfach nicht erwachsen werden. Und als Freund denkst Du: Ich weiß, warum das so ist, denn Du musst dich einfach um nichts kümmern, dir um nichts Sorgen machen. Und deshalb jagst Du immer wieder den gleichen Träumen hinterher.
Wenn ich das so sage, klingt es verurteilend, als ob ich Menschen regelrecht beobachte. Aber so ist es nicht. Es ist ein Kompliment für jemanden, den ich wirklich mag. Natürlich kannst Du jemanden so regelrecht abschreiben, und ich habe mich mehrmals gefragt, als ich den Song geschrieben habe: Will ich Menschen kontrollieren und über sie urteilen? Ich war tatsächlich beunruhigt darüber. Aber dann habe ich festgestellt: Die Personen in den Songs sind auch dynamische Charaktere für mich geworden. Auch in Kurzgeschichten schreiben die Dichter über Probleme und komplizierte Sachverhalte. Sonst wäre es auch langweilig und flach.
Buchmann: Auch, wenn Sie in Ihrem Teaser suggerieren, dass Sie den Schauspieler Ethan Hawke beim Song "Here they come" beschreiben, was ich persönlich nicht glaube, hat dieser Song einen deutlichen Kontrast zwischen der Musik, zwischen Melodie, Harmonien, Rhythmus - und dem Text. Der Text ist eher traurig, verzweifelt, auf jeden Fall nicht so fröhlich wie die Musik im Vergleich.
Balance als Schlüssel für interessante Songs
Leithauser: Ja, das war ein weiterer interessanter Aspekt an diesem Album: Früher, mit der Band The Walkmen, habe ich meine Texte und Melodien immer in einem Raum mit den anderen geschrieben, während jeder sehr laut Musik machte. Musik und Worte gehörten hier direkt zusammen, als eine Idee. Ich habe es gemocht, es hat Spaß gemacht und wir hatten Erfolg damit. Aber diesmal hatte ich meine Musik schon. Und dazu dann all die Beschreibungen der Menschen auf der anderen Seite.
Was ich gemacht habe: Ich habe mir einen Text genommen und ihn versucht, zu einem Track zu singen. Zum Beispiel bei "The Old King". Den Text habe ich beim ersten Mal zu einer langsamen, Pogues-ähnlichen Ballade gesungen, die ich geschrieben hatte. Klang zuerst ganz gut, ich habe es zur Seite gelegt und später noch mal angehört. Und dann erschien es mir wie der traurigste, elendste Song, den ich je gehört hatte!
Früher hätte ich dann einfach alles gelöscht. Jetzt dachte ich: Ich mag den Text und ich mag die Musik. Aber es passt nicht als Persönlichkeit zusammen, das ist zu traurig. Also habe ich die Worte mit einem Klavier-Motiv meines Freundes Paul Maroon zusammengebracht. Meine Töchter haben dazu gesungen - und so war es wehmütig, aber auch süß, engelsgleich und auch etwas erhebend. Ich habe ein paar Textzeilen geändert und es klang dann gleichzeitig traurig und hoffnungsvoll. Diese Balance macht einen interessanten Song aus, denke ich.
Und auch bei "Here They Come" - da gibt es diesen fröhlichen, lebhaften Refrain. Aber es geht um einen Typen, der sich vor der Welt und seinen Problemen versteckt, indem er immer wieder ins Kino geht und einen Film nach dem anderen sieht, bevor er wieder raus ans Licht geht, und seinen Problemen ins Auge sieht. Wie eine Metapher für alle Menschen, die vor ihren Problemen davon rennen.
Buchmann: Vielleicht unterstützt das auch die Ambiguität der Menschen an sich?
Leithauser: Ja, sicher. Und ich möchte nicht langweilig sein - und eben auch nicht darüber urteilen, wie Menschen handeln. Ich erzähle einfach Geschichten, so wie sie mir erschienen sind. Darüber urteilen können andere. Ich finde diese Handlungen einfach nur interessant.
Äußerungen unserer Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.