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The Rolling Stones in Warschau
Jagger rockt Justizreform

Die Rolling Stones in Polen: Bereits 1967 war das eine Sensation. In Zeiten des Kalten Krieges traten sie als eine der ersten westlichen Bands hinter dem Eisernen Vorhang in auf. 2018 macht Mick Jagger beim Konzert in Warschau wieder Schlagzeilen - indem er sich zur umstrittenen Justizreform äußert.

Von Jan Pallokat | 09.07.2018
    The Rolling Stones in Warsaw MICK JAGGER The Rolling Stones paly at the national Arena on July 8, 2018 in Warsaw, Poland. EN_01328632_0008 PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY
    Mick Jagger beim Warschauer Konzert am 8. Juli 2018 (imago stock&people)
    Im eigenen Land hat die polnische Opposition nach wie vor einen schweren Stand, über mangelnden Zuspruch internationaler Rockstars kann sie sich nicht beklagen. Solidarität bekundeten bei Auftritten die US-Band Fleet Foxes oder Talking-Heads–Gründer David Byrne; erst letztes Jahr nahm Bono von U2 Stellung für die so wörtlich "Brüder und Schwestern in Polen, denen man die Freiheit nimmt".
    Der Auftritt war unterlegt mit "New Year’s Day" – das Lied aus den 80ern war der damaligen Solidarnosc-Bewegung um Lech Walesa gewidmet. Dieser wird inzwischen erneut vom öffentlichen polnischen Fernsehen als eine Art Staatsfeind behandelt und ist den polnischen Rechten auch wegen seiner Kritik an der nationalkonservativen Regierung regelrecht verhasst.
    Lech Walesa bat Jagger um Unterstützung
    Vor dem Stones-Konzert in Warschau hatte er die Rock-Dinosaurier per Internet-Kommentar gebeten, doch Stellung zu nehmen; vielen Menschen in Polen, die die Freiheit verteidigten, würde das etwas bedeuten. Und tatsächlich nahm Band-Chef Mick Jagger zu Konzertbeginn offenkundig Bezug auf die laufenden, umstrittenen Zwangspensionierungen von Richtern in Polen, und zwar zunächst auf Polnisch.
    "Ich bin zu alt, um ein Richter zu sein, aber jung genug, um zu singen."
    Auf Englisch fuhr Jagger fort:
    "Wir waren vor langer Zeit in Polen, 1967, es war großartig. Ich hoffe, ihr haltet an dem fest, was ihr damals gelernt habt."
    1967: Ein Jahr des Aufbegehrens in Polen
    Die Stones in Polen – das war 1967 eine Sensation. Legenden kreisen um den ersten Auftritt dieser Art hinter dem Eisernen Vorhang. Angeblich habe die Staatsführung mangels Devisen Unmengen polnischen Wodkas herbeigeschafft, um die Stones mit Naturalien zu "befriedigen". 1967, das war eine Zeit der Unruhe und des Aufbegehrens auch in Polen.
    Ein Jahr später startete die kommunistische Führung eine antisemitische Hetzkampagne und kanalisierte so gesellschaftliche Energien. Es folgten Jahre der Stagnation und Resignation, erst recht nach Niederschlagung des Prager Frühlings im Hochsommer durch Truppen des Warschauer Pakts.
    Unterschiedliche Reaktionen auf Jaggers Äußerung
    Was aber folgt auf den Auftritt der Stones 2018? Michal Rachon vom regierungsnahen polnischen Staatsfernsehen ordnete Jaggers Bemerkungen im polnischen Radio so ein:
    "Die Künstler haben das Recht, derartige Sachen zu sagen. Das haben sie auf Konzerten immer schon gemacht, wobei sie nicht immer genau wissen, wovon sie reden. Ich denke, man sollte sich eher auf das Gitarrenspiel Keith Richards konzentrieren oder darauf, wie Mick Jagger "Can’t get no satisfaction" singt, statt über seine Aussagen über Dinge nachzudenken, von denen er keine Ahnung hat."
    In den Internet-Filterblasen der Opposition wird Jaggers Auftritt nun herumgereicht wie eine Offenbarung; in rechten Kreisen dagegen bestenfalls verlacht. Das rechte Blatt "w sieci" fand sogar, Jagger habe Walesa die Stones-Zunge herausgestreckt: Er sei zu alt, um Richter zu sein, dass müsse man übersetzen als: Ich mache mir nichts aus Politik.