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Theater Chemnitz
Ring-Zyklus aus weiblicher Sicht?

Ein neuer Ring-Zyklus hat am Theater Chemnitz begonnen: Die vier Teile von Richard Wagners Werk werden von vier Regisseurinnen inszeniert. Verena Stoiber bot einen verheißungsvollen Auftakt. "Rheingold" wurde von ihr mit einer klugen, auch politischen und vor allem menschlichen Sicht umgesetzt.

Von Elisabeth Richter | 05.02.2018
    Blick auf das Opernhaus auf dem Theaterplatz, links die Kunstsammlungen Chemnitz im König-Albert-Museum, rechts die Kirche St. Petri, aufgenommen am 29.03.2016 in Chemnitz (Sachsen).
    Konnte Chemnitz seinem Ruf als "sächsisches Bayreuth" gerecht werden? (dpa / Jan Woitas)
    Musik: Wagner, Das Rheingold, Schluss 2. Szene
    Zimperlich geht Alberich mit der holden Weiblichkeit jedenfalls nicht um. Sein doppelstöckiges Nibelheim ist oben ein Bordell. Seine Nibelungen sind Prostituierte, will eine einmal nicht wie gewünscht, wird ihr kurzer Hand die Kehle durchgeschnitten. Im unteren Geschoss produzieren Kinder allerlei Wohlstandsgüter. Das ist das Gold des Rheins, damit wird Freia später von den Riesen Fasolt und Fafner freigekauft.
    Wotan ist nicht minder rabiat wie Alberich. Er reißt ihm nicht das letzte Gold, den Ring, vom Finger, sondern schneidet ihm denselben einfach ab.
    Musik: Wagner, Das Rheingold, Wotan Szene 4
    "Wenn es in unserer Rheingold-Premiere im Hort um eine ganz konkrete heutige Ausnutzung von Kindern in den Entwicklungsländern zu Produktionszwecken geht, von denen wir heute profitieren und es einfach wegschieben in unserem Alltag, ich glaube, das ist etwas, was durchaus weiblich ist, sich auf so einen Punkt zu konzentrieren."
    Verheißungsvoller Auftakt
    Generalintendant Christoph Dittrich hatte die Idee, die große Wagner-Tradition in Chemnitz mit einem neuen Ring-Zyklus aus weiblicher Sicht fortzuschreiben. Mit der jungen Regisseurin Verena Stoiber und ihrer Ausstatterin Sophie Schneider gelang ein mehr als verheißungsvoller Auftakt mit dem "Rheingold".
    Musik: Wagner, Das Rheingold, Rheintöchter
    Frauen, die vermeintlich unschuldigen Rheintöchter, sind jedenfalls Auslöser dieser weltumspannenden Geschichte um Macht, Geld und Sex. Sie turnen in Nacktkostümen wie Tarzan an Seilen durch aus dem Schnürboden hängendes Lianen-Gestrüpp. Alberich robbt sich als wild behaarter Neandertaler mit überdimensionalem Phallus an die drei lüsternen Nixen heran. Sie treiben ein perfides Spiel mit seinem Trieb, verweigern sich ihm aber. Er schändet sie blutig, raubt ihnen ihr goldenes Haar. Aus solchem Frust – wird später in Nibelheim klar – entsteht Zwangsprostitution. Generalintendant Christoph Dittrich:
    "Direkt, indirekt geht es um eine Kapitalismuskritik. Kapitalismuskritik bedeutet aber auch immer das Forschen nach dem Wesen des Menschen. Das Geld alleine ist ja nicht wirksam, es sind immer Menschen und ihre Handlungen, die dahinter stehen, seien es aus familiären Zusammenhängen oder Macht-Zusammenhängen. All das gekoppelt mit der kompositorischen und nahezu manipulativen Meisterschaft von Richard Wagner macht den Ring zu einem Werk, das bis in unserer heutige Zeit gültig ist."
    Musik: Wagner, Das Rheingold, Loge
    Walhall in einer High-Society-Welt
    Walhall zeigen Verena Stoiber und Sophie Schneider in einer heutigen dekadenten High-Society-Welt. Die Geschäftsleute Wotan und Fricka kommen ohne Smartphone und Piccolo nicht aus. Froh und Donner spielen als Dandys lieber mit Golfschlägern als mit dem Hammer und vertreiben sich die Zeit, indem sie in Frauen-Kleidern bei den etwas spießig kariert ausgestatteten Riesen Fasolt und Fafner für falsche Begehrlichkeit sorgen. Wunsch und Wirklichkeit, Schein und Sein, damit jongliert Verena Stoiber ebenso geschickt wie plausibel.
    Musik: Wagner, Das Rheingold, Loge
    Diese szenisch in jeder Minute spannende, intelligente, heutige Inszenierung untermauerte die Robert-Schumann-Philharmonie mit ihrem neuen Generalmusikdirektor Guillermo García Calvo musikalisch mit einer ebenso überzeugenden Leistung. Die zügigen Tempi sorgten für Kurzweil, Motive und Themen wurden kammermusikalisch plastisch herausgearbeitet, die dynamischen Steigerungen zwingend aber ohne Effekthascherei aufgebaut. Kleine Unsicherheiten in den Hörnern spielten keine Rolle.
    Musik: Wagner, Das Rheingold, Wotan Szene 4
    Hohes Niveau der Sänger
    Sängerisch hatte diese Rheingold-Produktion ebenfalls ein beglückend hohes Niveau. Geradezu betörend das warme, kernige Bariton-Timbre, die klare Diktion und mühelose Höhe sowie die schauspielerische Energie von Krisztián Cser als Wotan. Ebenso faszinierend der junge Tenor Benjamin Bruns als Loge, mit atemberaubender Textverständlichkeit und darstellerischem Witz. Bernadett Fodor jagte einem Schauer ein mit ihrem satt-sonoren tiefen Alt als Erda. Dazu das stimmlich prächtig ausgewogene Rheintöchter-Trio und der für den finsteren Charakter hervorragend besetzte Jukka Rasileinen als markanter Alberich.
    Musik: Wagner, Das Rheingold, Wotan Szene 4
    Manche Aspekte dieser "Rheingold-Produktion" mögen als spezifisch weiblich zu verstehen sein. Doch das ist letztlich unerheblich. Die klare, kluge, auch politische, aber vor allem menschliche Sicht von Verena Stoiber ist schlicht ein Glücksfall. Sie macht neugierig auf den Fortgang des Rings in Chemnitz. Gerade darin, dass es am Ende mit vier verschiedenen Regisseurinnen vier Blickwinkeln sein werden, sieht Intendant Christoph Dittrich Potenzial.
    "In Wahrheit machen wir vier Ringe. Jedes Team muss diesen Ring von vorn bis hinten durchdenken, analysieren und eine Geschichte aufbauen, und diesen Reichtum an Gestaltungskraft, den sehen wir als einen besonderen Reiz an."