Archiv

Theater in Afghanistan
Ein Akt der Zivilcourage

Trotz Krieg, Massenflucht und Terror durch den IS lassen sich nicht alle afghanischen Künstler ihr Leben einschränken. In Kabul versucht eine Theatergruppe, ohne Angst der Kunst freien Lauf zu lassen. Auch die Künstler reisen auch mit Präsident Ashraf Ghani heute nach Berlin. Hier wird eine Kulturwoche zu 100 Jahren deutsch-afghanischer Beziehungen gefeiert.

Von Martin Gerner |
    Afghanische Schauspielschüler in Kabul während eines Theaterstücks
    Afghanische Schauspielschüler in Kabul während eines Theaterstücks (Martin Gerner )
    Theaterprobe an der Kabuler Fakultät der Künste. Rund 250 Studenten machen hier in vier Jahren ihren Bachelor. Frauen sind auch darunter. Und Abdul Haq Haqjoo. Der Dozent, Mitte 30, hat zwei Jahre lang an der Berliner Ernst-Busch Schauspielschule europäische Theaterluft geschnuppert. Jetzt gibt er seine Erfahrungen weiter:
    "Ich hab viel gelernt von Deutschland. Wie man Kontakt haben kann mit den Menschen. Mit allen Leuten: denen von der Straße, kleinen Leuten, aber auch mit großen."
    Haqjoo ist so etwas wie ein Fixpunkt für die Theater-Studenten. Sie suchen seinen Rat, seine Stimme, seine Augen, seine Körpersprache. Er fordert und fördert sie.
    "Ich glaube, das ist psychologisch: Wenn die Studenten in den Schauspielunterricht kommen, die sind so ängstlich. Sie glauben nicht, dass sie etwas auf der Bühne machen können. Dann fange ich erst mal an, das wegzumachen. Es muss alles weg. Dann können wir anfangen mit Schauspielunterricht."
    Theater ohne Angst
    "Es wegmachen". Damit meint Haqjoo vor allem unsichtbare mentale Barrieren, die in einer Kriegsgesellschaft den Weg zur eigenen Kreativität versperren können. Vorsichtig versucht er bei seinen Studenten ein Urvertrauen zum eigenen Körper, Bewegungen und Spielmöglichkeiten herzustellen, frei von Angst.
    "Ich sage zu den Studenten: Bitte, wenn du ein Künstler sein willst, musst du dein Leben schön machen. Das heißt, erst mal: Wie kannst du mit deinem Vater sprechen, mit deiner Mutter, deinem Bruder. Und dasselbe, draußen, außerhalb der Familie? 'Be a human!'.
    Menschlich sein. Das ist leicht gesagt in einer Gesellschaft ohne Sicherheiten, in der man die nächste Bombe fürchtet, eine Entführung oder nur sicher nach Hause kommen will. Vor genau einem Jahr sprengte sich vor laufender Theaterbühne in Kabul ein Selbstmord-Attentäter in die Luft. Aufführungen waren danach monatelang Tabu.
    Theater ist für Afghaninnen oft ein Tabu
    Als Frau braucht es besonderen Mut, erzählt Friba, auf dem Kopf eine Rapper-Mütze, nach Art amerikanischer DJs:
    "Es ist nach wie vor schwer für Frauen, auf der Bühne zu stehen. Es ist gesellschaftlich schlecht angesehen, Theater zu spielen. Oft fängt es in der Familie an, dass nahe Verwandte oder Eltern es nicht erlauben, wenn die Tochter Kunst macht oder Theater spielen will."
    Diana, klein und schmal, trägt Kopftuch. Als Erstsemester stellt sie alte Sitten infrage:
    "Wenn ich heirate, dann nur jemanden, der mich als Studentin der Künste versteht. Jemand der will, dass ich in meinem Fach auch weiter komme."
    Tatsächlich versperren sich junge Frauen in Kabul einer Heirat, immer wieder, so lange es geht. Haroon, ein Dozent der mit Ariane Mnouchkine, der grande dame des Welttheaters und der comedia dell'arte, gearbeitet hat, sieht Fortschritte dagegen:
    Theater-Absolventen sehen keine Zukunft in Afghanistan
    "Wir haben elf Frauen hier, bei 67 Männern. Das ist ja nichts, könnte man jetzt sagen. Aber letztes Jahr hatten wir nur drei Frauen. Es bewegt sich also etwas. Wir sprechen ihnen Mut zu. Einige sind aus benachbarten Studienbereichen zu uns gestoßen. Beim Festival letztes Jahr hatten wir 20 Prozent Frauen im Publikum. Dieses Jahr sind es 40 bis 60 Prozent, viele Junge darunter, das ist das Positive daran."
    Männer haben auch Anlass zur Sorge.
    Yama:
    "Für Theater-Absolventen gibt keine wirkliche Beschäftigung hier als Schauspieler. Es sei denn die Fakultät stellt mich als Dozent ein. Wenn alles nicht klappt, arbeite ich am Ende vielleicht als Polizist oder Soldat. Oder ich gehe ins Ausland."
    Deutschland half beim Bau des ersten Theaters Kabuls
    In den 1970er-Jahren, vor den Kriegen, gingen Familien in Kabul fein und im Anzug ins Kino oder Theater. Mohammad Husseinzada, der die Theaterabteilung leitet, erinnert an noch frühere Zeiten:
    "1923 hat Deutschland beim Bau des ersten Theaters in Afghanistan mitgeholfen. Das war unter König Amanullah. Intellektuelle und Lehrer haben sich da getroffen. Bagh Omumi Paghman, so hieß das Theater und war damals für die Region einzigartig. Weder Pakistan, Tadjikistan, noch Uzbekistan oder Indien hatten so etwas."
    Frauen sind irgendwie immer in vorderster Linie zu finden in Afghanistan. Auch in diesem Krieg, der kulturelle Frontfrauen produziert. Abdul Haq hat zum Theater im Afghanistan-Konflikt seine eigene Philosophie:
    "Ich kann arbeiten mit den Tragödien, aber ich will in Afghanistan nicht mehr so sehr mit Tragödien arbeiten. Weil: Jeder hier hat besondere Tragödien in seinem Leben erlebt. Ich will lachen bringen. In den Stücken, wenn wir da einen Krieg haben, versuche ich diesen Krieg zu zeigen, aber in einer Art und Weise, die humorvoll ist."
    Theater machen in Kabul ist ein Akt von Zivilcourage. Während Zehntausende junger Menschen nach Deutschland und Europa ausreisen, arbeiten die Theater-Studenten an ihrer Kreativität und an ihrer nur in kurzen Abständen planbaren Zukunft in Afghanistan.
    Abdul Haq Haqjoo:
    "Ich weiss nicht, ob ich noch lebe in zwei Jahren. Ich denke nicht sehr darüber nach. Weil dann kommt meine Energie kommt runter. Ich kann nicht arbeiten. Aber ich will leben hier. Ich mach weiter, weiter und weiter. Ich bin Künstler. Und wenn du willst Künstler sein, muss du auch an dir glauben. Dann können auch die jame, die Gesellschaft langsam verändern. Von Krieg zu Frieden."