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Theater in Ruanda
"Kunst kann eine zerrissene Gesellschaft heilen"

25 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda verarbeiten junge ruandische Künstler das Trauma in einem Theaterstück. Sie selbst kennen den Genozid nur aus Erzählungen; trotzdem hat die Vergangenheit sie geprägt. Die Geschichten der Figuren im Theaterstück sind echt und die Aufführung eine Art von Therapie.

Von Linda Staude | 07.04.2019
Dicht gedrängt passieren ruandische Flüchtlinge einen Grenzposten an der zairisch-ruandischen Grenze bei Goma, 16.11.1996. Schon mehr als 300000 Flüchtlinge des Hutu-Volkes waren bis Samstag (16.11.) von Ost-Zaire aus in ihre Heimat zurückgekehrt.
Ruandische Flüchtlinge bei der Rückkehr aus Zaire nach Ruanda. (16.11.1996) (dpa / epa AFP)
"Fürchte Dich nicht, mein Kind": Die klagende Stimme kommt aus dem Jenseits. Rosas Mutter ist ein Geist, getötet während des Völkermordes an den Tutsi. Ihr Baby hat sie weggegeben vor ihrem Tod, an eine Hutu-Familie, damit es die Grausamkeiten überlebt.
Rosa ist nach dem Genozid aufgewachsen. Ein blutbeflecktes Tuch ihrer Mutter ihr einziges Andenken. "Sind Hutus böse?" Ihre Frage ist provokativ im modernen, geeinten Ruanda. Aber Provokation ist nicht das Ziel ihres Stücks "Generation 25", sagt Hope Azeda, die Chefin der Theatergruppe Mashirika:
"Wir wollen als Künstler die Menschen zusammenbringen. Weil wir wissen, was es bedeutet, wenn Künstler sich auf eine Seite schlagen. Während des Genozids hatten wir Musiker, die mit ihren Liedern zur Gewalt aufgestachelt haben. Mit unserer Musik wollen wir Frieden schaffen."
"Jede Menge Fragen"
Die Proben laufen auf Hochtouren im Obergeschoss eines kleinen Wohnhauses mitten in Kigali. Musiker, Tänzer, Schauspieler sind alle maximal 25 Jahre alt und kennen den Genozid nur aus Erzählungen. "Ich bin unter einer Regierung aufgewachsen, die sich immer für Frieden und Versöhnung eingesetzt hat. Aber wenn du vom Völkermord hörst, denkst du: Was ist da passiert? Warum ist es passiert? Du hast jede Menge Fragen."
Genau wie die verwaiste Rosa, die Maya Musenga auf der Bühne spielt. Die jungen Leute stellen dar, was ihre Generation bewegt, die das Morden nicht selbst erlebt, das Trauma aber trotzdem geerbt hat. Sängerin Rosette Karimba: "Wir haben diesen jungen Mann, der seinen Vater für tot gehalten hat. Aber in Wirklichkeit hat der sich irgendwo versteckt, weil er getötet hat. Der Junge fragt sich: Was bin ich jetzt: Normal oder der Sohn eines Killers?"
"In eine Täterfamilie geboren"
Ich habe diese Vorwürfe so satt, rappt ein anderer Sohn eines Täters zornig. Er will sich nicht schuldig fühlen für die Taten seines Vaters.
"Stell Dir vor, Du bist in eine Täterfamilie geboren, wie würdest Du Dich fühlen? Und dann ist da diese Kämpferin. Sie hat so viel durchgemacht und hat es überstanden. In jeder Figur in dem Stück ist ein bisschen von mir. Ich kann sie verstehen und ich finde es gut, dass ich mich selbst in ihnen sehen kann", sagt Maya Musenga.
Die Geschichten der Figuren sind echt, sie stammen aus Archiven, Erzählungen, Zeugenaussagen. Die Inszenierung macht sie fühlbar für das Publikum, so Hope Azeda: "Manche Menschen haben Wunden, und Kunst ist eine Therapie für sie, die man nicht in der Apotheke kaufen kann. Kunst kann eine zerrissene Gesellschaft heilen, ein kaputtes Zuhause, ein verletztes Selbst. Ich weiß, dass Kunst diese Macht hat."