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Theatererfahrung im Spiegel

Die Reihe gilt als Fundgrube für neue Theaterideen: Das Young Directors Project bei den Salzburger Festspielen. Mit dabei, der Theatermacher Dries Verhoeven, Jahrgang 1976. Sein Theater hat viel mit geteilter Erfahrung zu tun. Diesmal setzte er die Zuschauer in ein Hotelzimmer.

Von Karin Fischer |
    Wenn in einer Aufführung nur 30 Plätze zu vergeben sind, dann hat man als Veranstalter ein Problem. Als Journalist möglicherweise auch. Die Kritiker wurden deshalb nämlich auch auf verschiedene Probendurchläufe verteilt, so dass hier streng genommen keine "Premierenkritik" stattfindet. Was überhaupt nichts macht, den Dries Verhoeven macht ohnehin keine "Stücke" mit etwa noch zu perfektionierenden Bühnenabläufen. Sondern das Publikum, also wir alle, waren teil einer Installation, die einige lebensnahe und einige eher ungewöhnliche Erfahrungen bereithielt.

    Das in die Halle auf der Pernerinsel gebaute "Hotel" besteht aus 2 Meter 40 hohen kleinen Sperrholz-Räumen, ausgestattet mit bezogenem Bett, einem kleinen Lüftungsschacht und einem Schreibbrett. Nach dem Check-in beginnt das Abenteuer. Ein Zettel mit Fragen wird unter der Tür durchgeschoben. Wer jemals in einem Hotelzimmer aus den geräuschvollen Aktivitäten des gefühlte 30 cm entfernten Zimmernachbarn den Film im eigenen Kopf gemacht hat, wird die Vorstellung, mit einem völlig Unbekannten und Unsichtbaren zumindest schriftlich zu kommunizieren, nicht abwegig, sondern anregend finden. Was hast du heute getan, was nicht geplant war? Was hat dir heute gefehlt? Wen magst du?, lauten die Fragen. Dann dringen Geräusche aus dem Lüftungsschlitz ins Zimmer, Husten, Papierrascheln, Musik - war das das Geräusch einer Klospülung?

    Schließlich eine Frauenstimme, aus deren Erzählung hervorgeht, dass sie mich hört, dass sie sich Gedanken über mich macht. Oder über einen anderen Zimmernachbarn? Dann der Clou: Die Decke der Zimmer, die verspiegelt ist, fährt hoch. In diesem Spiegel werden plötzlich alle anderen Räume sichtbar, jeder kann jeden jetzt beobachten. Ein kleiner Schock, der bald Neugier auslöst. Es gibt zum Beispiel keine zwei Menschen, die ihr Schreibbrett am gleichen Ort des Zimmers abgestellt haben. Dann wieder Geräusche: Zimmerservice, Wägelchen werden vorbei geschoben, jemand öffnet die Tür und stellt eine kleine Tasse mit Zucker auf den Boden. Dann wieder die Frauenstimme, die Dinge weiß, die sie eigentlich nicht wissen kann. wie viel gibt man eigentlich auch ohne Fragebogen tagtäglich von sich preis?

    Das Hotel könnte jetzt auch eine hellhörige Wohngegend sein, die Nachbarn eine Folie für die eigenen Fantasien. "Ich könnte rüber kommen zu dir", sagt die Frau. Und irgendwann geht tatsächlich die Tür auf und ich werde abgeholt und durch die dunklen Gänge geführt. Das ist nicht gruselig, eher wie ein mysteriöses Ritual, dessen Handlungen undurchschaubar sind, aber immer freundlich. Anders als bei der Performance-Truppe "Signa", in der die Zuschauer als Mitspieler gefordert sind, bleibt hier alles in einer passiven Schwerelosigkeit.

    Wenn am Ende der eigene Name gerufen wird, würde man überall mit hin gehen. Theater als Selbsterfahrungsexperiment hat sicher Grenzen. In "You are here", dieser Versuchsanordnung über Fremdheit, Nähe, Abstand und Vertrauen, wurden sie erstmal ein wenig geöffnet.