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Theatermacher Peter Stein wird 80
"Da würde ich aus dem Fenster springen vor Begeisterung"

Peter Stein erfand in der Bundesrepublik der 60er- und 70er-Jahre ein neues Theater. Ob bei antiken Autoren, Shakespeare, Tschechow oder Botho Strauß - die Radikalität des Wortes steht für ihn immer im Mittelpunkt.

Von Robert Brammer |
    Theaterregisseur Peter Stein
    Bekam für seine Regie und Textarbeit außer Theaterpreisen auch das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse: Peter Stein. Heute wird der legendäre Theatermacher 80 Jahre alt. (imago stock&people)
    Der Chor spricht: "Zehn Jahre sind es nun, seit das Atriden-Paar aufbrach aus unserem Land, fortführte aus unseren Häfen die tausend griechischen Schiffe aus Argos zum Feldzug gegen Troja."
    Peter Stein vermag etwas ganz Außerordentliches: Sein Theater und mit ihm die Schauspieler konnten, vor allem im vergangenen Jahrtausend, Texte lebendig werden lassen, sie aktualisieren ohne ihre historische Entfernung zu verkleinern.
    "Es war künstlerisch eigentlich das Schönste, dass ich je gemacht habe. Außer mit Brecht. Es war etwas Ungeheures. Es war der Aufbruch zu einer anderen Art von Theater und das ist Stein", sagt die Schauspielerin Therese Giese.
    Brechts Mutter mit Therese Giese in der Hauptrolle war 1970 sein Einstand an der Berliner Schaubühne. Zuvor schon hatte er in München, Zürich und Bremen für Furore gesorgt. Dort vor allem mit Goethes ‚Torquato Tasso‘. Er hatte schon damals einen Theaterenthusiasmus, der ansteckend wirkt und elektrisiert, Schauspieler und Publikum gleichermaßen.
    Intensive und genaue Textarbeit
    Ibsens ‚Peer Gynt‘, Kleists ‚Prinz von Homburg‘, Gorkis ‚Sommergäste, die ‚Orestie‘ des Aischylos: Seine Inszenierungen handelten in den Anfängen der Schaubühnenzeit von Veränderungen und vom Glück, dass diese Veränderungen bewirken konnten. Es waren Abende, die den eigenen Blick auf die Welt und das eigene Denken prägten und veränderten.
    Von Fritz Kortner, einem seiner wichtigsten Lehrer, hat er vor allem die Intensität und die Genauigkeit im Arbeiten mit Texten übernommen. Sprache und Musikalität waren und sind bis heute immer Ausgangspunkt seiner Regiearbeiten.
    "Fels und Meer wird fortgerissen im ewig schnellen Sphärenlauf", sagt der Schauspieler. Stein darauf: "Fels und Meer, beide zusammen, wird fortgerissen im ewig schnellen Sphärenlauf. Ewig schnell, was ist das? Unendlich langsam. Das ist doch phantastisch. Solche Formulierungen. Also, da würde ich doch aus dem Fenster springen vor Begeisterung."
    "Was heißt hier Texttreue?"
    Seine Entscheidung zur Jahrtausendwende, sämtliche 12.111 Verse des Faust auf der Bühne sprechen zu lassen, das war auch ein Einspruch gegen die inzwischen alltäglich gewordene Theaterpraxis, Texte zum Verschwinden zu bringen, sie aufzubrechen. Stein dagegen vertraut dem Text, seiner Radikalität, seiner Poesie:
    "Was heißt hier Texttreue? Nein. Texttreue kann man mir wahrhaftig nicht nachsagen. Auch nicht Werktreue. Sondern ich bin treu dem Autor gegenüber. Ich muss meine Bemühungen machen, um zu verstehen, was dieser Text sagt, worauf dieser Autor hinaus will mit diesem Text."
    Peter Stein ist vor allem ein Regisseur der Schauspieler. Er hat damals an der Schaubühne am Halleschen Ufer ein wunderbares Ensemble aufgebaut. Edith Clever, Jutta Lampe, Bruno Ganz, Otto Sander, kaum einer älter als dreißig, konnten fast jede erdenkliche Rolle verkörpern.
    Aber Stein hat keine Schule begründet, keine neuen Regisseure hervorgebracht – doch Theaterenthusiasten und alle wichtigen Regisseure Europas pilgerten damals nach Kreuzberg. Immer sucht er nach einer dem Text entsprechenden Darstellungsform. Immer mit einer anderen Handschrift, verbunden mit der spürbaren Lust, den Dichter zu entdecken und den theatralischen Kern der Stücke zu dechiffrieren.
    Von Nachfolgern missverstanden
    "Der Regisseur muss sich entfernen von dem, was er gemacht hat, meiner Meinung nach müsste ein Regisseur, wenn er wirklich einer ist, alles daran setzen, dass er am Ende der Arbeit gar nicht mehr wahrnehmbar ist, sondern das er alles an die Schauspieler übergibt. So dass der Zuschauer das Gefühl hat, dass die Schauspieler die Regie gemacht haben, sie haben das Bühnenbild gemacht und sie haben sogar den Text erfunden, im Augenblick, wenn sie ihn sprechen. Das ist ihre Meinung, ihre Ansicht. Dann ist Theater im mystischen Sinne so, wie ich es mag."
    Doch ein Unternehmen wie Steins Schaubühne ließ sich nicht ewig weiterführen. Nach dem er sie Mitte der 80er-Jahre verließ, übernahm er die Schauspieldirektion bei den Salzburger Festspielen. 2007 inszenierte er einen zehnstündigen Wallenstein, einen gigantischen Bilderbogen über den Dreißigjährigen Krieg.
    Dass Peter Stein, geprägt von einer Liebe zu diesem merkwürdigen, fast aus der Zeit gefallenen Ort Theater, kaum noch in Deutschland arbeiten kann, das hat ihn spürbar verletzt. Und er fühlt sich missverstanden, vor allem von vielen jener Regisseure, die ihm nachfolgten und seine Theaterarbeit heute als unzeitgemäß und antiquiert verwerfen.