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Theologe: Johannes Paul II. war ein moderner Papst

Der Psychotherapeut und Theologe Manfred Lütz hält Papst Johannes Paul II. für einen der modernsten Päpste der Geschichte. Es habe keinen Papst in der gesamten Papstgeschichte gegeben, bei dem Frauen eine so große Rolle gespielt hätten. Auch seine Äußerungen zur Sexualmoral seien zeitgemäß gewesen, so Lütz weiter.

Moderation: Jürgen Liminski |
    Jürgen Liminski: Papst Johannes Paul II. hat Geschichte geschrieben, er selbst ist zu Lebzeiten ein Gigant der Geschichte geworden, ein Mann der Superlative: Medienstar in den ersten Jahren, Märtyrer in den weiteren. Auch als deutlich wurde, dass er die Lehre der katholischen Kirche kompromisslos vertritt. Ein Mensch, an dem sich die Geister scheiden, der aber durch seine Menschlichkeit überzeugt. Er hat Sätze verkündet wie diesen: Die einzige Dimension, die der Menschen angemessen ist, ist die Liebe. Sind es solche Sätze, die ihn so populär machten, zur Vatergestalt für viele werden ließen und so das Massenphänomen der weltweiten Trauer erklären? Darüber wollen wir uns jetzt unterhalten mit dem Psychotherapeuten und Theologen Manfred Lütz. Guten Morgen.

    Manfred Lütz: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Weltweite Trauer, eine Massenbewegung scheint sich in Richtung Rom in Gang zu setzen, selbst mehrere kirchenkritische Medien enthalten sich weitgehend der gewohnten Häme. Haben wir es mit einem, psychologischen Massenphänomen, vielleicht sogar mit einer Art Idolatrie zu tun?

    Lütz: Ich glaube, mit einer Idolatrie haben wir es nicht zu tun, aber schon mit einem interessanten Massenphänomen. Alexander Mitscherlich hat einmal vor 40 Jahren geschrieben, wir seien auf dem Weg zur vaterlosen Gesellschaft, zumal in Deutschland sind wir wohl am Ende dieses Weges angekommen. Wir sprechen pädagogisch von der äußeren und inneren Abwesenheit der Väter: Entweder sind sie gar nicht da oder entziehen sich dem pubertären Protest und der Vater hat nach Freud eine ganz wichtige Funktion: Er hat die Aufgabe der Einführung in die Normen, in die Moral, in die Geschichte, so dass wir Deutschen, so habe ich ein bisschen den Eindruck, alle nichtgelebten Vaterkisten sozusagen am heiligen Vater abgelebt haben. Aber das Interessante eben am Vater ist, man kann gegen den Vater so gut protestieren, weil er letztlich nicht zerstörbar ist und deswegen ist das so interessant gewesen, auch in den letzten Jahren, man hat heftigst gegen diesen Papst auch gekämpft in Deutschland, aber sobald er zeigte, dass er krank ist, hat man mit einem besonderen Interesse reagiert und das Ganze ist aus meiner Sicht überhaupt nur möglich dadurch, dass wir so ein Klischeebild von diesem Papst in der deutschen Gesellschaft haben. Der Hans Küng in Tübingen, ein verbitterter alter Mann, schreibt doch tatsächlich einen Artikel noch vor einer Woche im Spiegel, den er vor 20 Jahren schon einmal geschrieben hat ohne ihn eigentlich überhaupt zu ändern, die gleichen Klischees. Hans Küng hat nachweislich in den letzten 20 Jahren glaube ich keinen vollständigen Text dieses Papstes gelesen, das kann man richtig nachweisen, aber man braucht in der Öffentlichkeit offensichtlich dieses Klischeebild und so sind die Kommentare auch manchmal ein bisschen klischeehaft, dass es ein Papst der Widersprüche ist und so; da werden die üblichen Klischees gebracht: Sexualmoral, Zölibat, Frauen, autoritärer Führungsstil. Das kann man alles widerlegen, das stimmt alles nicht, es ist einer der modernsten Päpste der Geschichte, Zur Sexualmoral hat er gesagt, die sexuelle Lust zu genießen ist der einzige Zweck der Sexualmoral. So etwas muss man sich mal vorstellen, das kann man nachlesen bei ihm. Zum Zölibat muss man sagen, Mahatma Gandhi hat selbst ein Zölibatsgelübde abgelegt und gesagt, ein Volk, das solche Männer nicht hat, ist ein armes Volk. Eine Zölibatskrise gibt es immer dann, wenn es eine Glaubenskrise gibt, also auf Frauen und Kinder zu verzichten nur aus dem Glauben heraus, das ist nur bei einer gewissen Glaubensstärke möglich und schließlich Frauen: Es gibt wohl keinen Papst in der gesamten Papstgeschichte, unter dem Frauen eine so große Rolle gespielt haben. Leiterin vatikanischer Delegationen bei der UNO, Mary Ann Glandon, die ich ganz gut kenne, eine toughe Frau, die auch in Rom dann manchmal gesagt hat, ihr müsst mal endlich ein bisschen in die Pötte kommen. Also das einzige, wo der Papst sagt, da kann eine Frau nicht tätig sein, heißt im heiligen Theater, wie man das mal genannt hat, der heiligen Messe. Da steht der Priester in persona Christi und auch im Kölner Theater wird der Hamlet nicht von einer Frau gespielt. Man muss sich vorstellen, dass man auf diese Klischees reinfällt und dann wird gesagt, er sei immer sehr autoritär. Gerade wir Deutschen müssen sagen, er hat uns immer wahnsinnig geliebt, obwohl er unter deutscher Zwangsarbeit gelitten hat und dass es fünf Jahre lang gebraucht hat, bis er dann wirklich entscheiden hat in dieser Frage des Beratungsscheins, das ist ja mal auch ein Zeichen von Wertschätzung und Zuhören und von einem ganz langen Gespräch, wo er dann aber letztlich doch seine in seinem Gewissen liegende Auffassung vertreten hat.

    Liminski: Das betrifft die Polarisierung oder die Kritik am Papst, noch einmal zurück zu dem Massenphänomen der weltweiten Trauen. Für viele ist ja ungewohnt, einen Leichnam zu sehen oder öffentlich zur Schau zu tragen, also den Tod zu sehen, auch das Leiden und Sterben dieses Papstes. Ist das zu starker Tobak für diese Gesellschaft?

    Lütz: Ich glaube, die Menschen erleben tatsächlich im Sterben und im Tod dieses Papstes ihr eigenes Sterben und ihren eigenen Tod sozusagen vorweg und das ist wohl das, was Menschen auch geradezu fasziniert an dieser Situation und wenn man das in Interviews erlebt, so scheinen manchmal die Atheisten verzweifelter zu sein, als die Katholiken. Gestern abend sagte eine Frau bei RTL, sie habe immer etwas gegen die Kirche gehabt, aber ganz eigenartigerweise habe sie gestern weinen müssen. Also ich glaube, dass unsere gesundheitsreligiöse Gesellschaft, wo nur noch junge knackige Leute gelten im Grunde ja eine unmenschliche Gesellschaft ist. Die Menschlichkeit einer Religion zeigt sich, wie man in ihr sterben kann und wie dieser Papst in seinem und letztlich unserem Glauben gestorben ist, ist glaube ich schon eindrucksvoll und das berührt sehr viele Menschen.

    Liminski: Ist hier nicht auch eine Menge Irrationales zu beobachten? Dabei sagt das Christentum ja immer von sich, es sei vernünftig, der oberste Gralshüter in Rom, Kardinal Ratzinger selbst, nennt es eine vernünftige Religion. Wie verträgt sich das?

    Lütz: Ich glaube in der Tat, dass der Atheismus eigentlich unvernünftig ist, es ist doch unvernünftig, wenn mit dem Tod alles aus ist, eine Bank nicht zu überfallen, wenn man sicher ist, dass man nicht erwischt wird. Unsere ganze Gesellschaft lebt auf der Vernunft des Christentums und hat sich, das ist ja auch historisch nur eine Episode seit etwa 50 Jahren gibt es überhaupt erstmals als Massenphänomen so etwas wie Atheismus, und dieser Papst, der eigentlich der Papst des zweiten vatikanischen Konzils ist, das wissen ja viele Deutsche gar nicht, dass die progressivsten Texte des zweiten vatikanischen Konzils zum großen Teil von diesem Papst sind, also die Erklärung zur Religionsfreiheit, die Erklärung "Gaudium et spes", das hat er vertreten gegen konservative Leute und da war sein Anliegen, dass der Glaube nicht nur etwas vernünftiges ist, sondern dass er den ganzen Menschen ganzheitlich auch in seiner Emotionalität erfassen muss und das ist eine alte katholische Tradition, wie man es in Barockkirchen sieht, dass die ganze Emotion auch auf Gott hin geht. Dieser Papst, hat mir ein Freund des Papstes noch vor vier Wochen gesagt, war ein Mystiker, der zutiefst geglaubt und gebetet hat und wenn es bei Diskussionen etwas langweilig wurde, konnte man sehen, dass unter dem Tisch ein Rosenkranz durch die Finger des Papstes ging, dann hat er gebetet.

    Liminski: Eines Ihrer Bücher trägt den Titel "Der blockierte Riese", mit dem Riesen ist die Kirche gemeint. Ist hier nun eine Deblockierung in Gang, die paradoxerweise der Tod dieses Papstes ausgelöst hat?

    Lütz: Das könnte man so sagen, wie Sie das gerade formuliert haben. Ich glaube, die lauteste Predigt dieses Papstes war der schweigende Papst und die lebendigste in gewisserweise sein Tod. Man konnte ja beim Tod der Lady Diana eigentlich ein weltweites Phänomen auch sehen, aber eines der Verzweiflung, eine Welt, die im Glauben nicht mehr sicher war, war verzweifelt über den Tod einer vitalen jungen Frau. Gleichzeitig starb damals Mutter Theresa und das war eine ganz andere Atmosphäre, eine zuversichtliche. Und das ist eigentlich eine Atmosphäre, die jetzt auch der Tod des Papstes ausgelöst hat, eine zuversichtliche. Es ist in gewisser Weise eine Massenbewegung mit Zukunft.

    Liminski: Sie sind auch im vatikanischen Innenleben bewandert als Mitglied des päpstlichen Rates der Laien, Mitglied im Direktorium der päpstlichen Akademie für bioethische Fragen. Was ist denn Ihr Tip für das Konklave oder welche Person würden Sie aus psychologischer Sicht für angemessen oder vorteilhaft halten, damit der Riese nicht wieder blockiert wird?

    Lütz: Ich glaube, es wird keine Imitation dieses Papstes geben, das kann man gar nicht und nach unserer Überzeugung ist ja jeder neue Tag eine neue Melodie Gottes in gewisser Weise. Es gibt eine Unwiederholbarkeit jedes Moments und ich denke, da hat der heilige Geist uns damals überrascht 1978, da hätte kein Mensch mit gerechnet und ich bin gespannt auf die neue Überraschung des heiligen Geistes.

    Liminski: Sie sprachen gerade von der Vatergestalt, nun ist Johannes Paul II. in diese Rolle auch hinweingewachsen, er hat die Weltjugendtage begründet, Millionen Jugendliche sozusagen durch die Jugend begleitet. Ist hier nicht jeder Nachfolger überfordert, wer soll in diese Schuhgröße hineinwachsen, erst recht, wenn er schon älter ist oder ist das weniger eine Frage der Person als vielmehr des Amtes?

    Lütz: Ich glaube, dass das Amt die Person natürlich auch schützt und jeder neue Papst wird dieses Amt allerdings wieder neu prägen und ich denke, da muss man dem neuen Papst auch die Chance lassen, das zu tun und ihn nicht dauernd vergleichen mit diesem großen Papst Johannes Paul II., unter diesem Vergleich würde er immer wieder leiden und das wäre ein Problem. Ich denke, man sollte einem neuen Papst die Chance geben, sozusagen eine neue Melodie zu beginnen.