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Theologe: Papst betont Gemeinsamkeiten zwischen Religionen

Nach Einschätzung des Moraltheologen Eberhard Schockenhoff hat Papst Benedikt XVI. mit seinem Aufruf zu mehr Gottesfürchtigkeit nicht nur die Christen im Blick. "Das Gemeinsame aller Gläubigen ist, dass sie ein Größeres anerkennen, als es ihre eigenen Wünsche sind", sagte der Wissenschaftler von der Universität Freiburg. Darin sehe Benedikt einen entscheidenden Unterschied zu einem vorherrschenden Lebensgefühl, das das Ich in den Mittelpunkt stelle.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Jetzt sind wir verbunden mit Professor Eberhard Schockenhoff, Moraltheologe an der Universität Freiburg. Guten Tag, Herr Schockenhoff!

    Eberhard Schockenhoff: Guten Tag!

    Spengler: Herr Schockenhoff, was meint dieser Papst, wenn er wie gestern die Schwerhörigkeit gegenüber Gott rügt?

    Schockenhoff: Er wendet sich nicht nur an die Gläubigen der eigenen Religion, des Christentums, des katholischen Christentums, sondern, ich denke, er hat alle Mitglieder unserer westlichen Gemeinschaft vor Augen, und er sieht den eigentlichen Gegensatz nicht, wie das in der politischen Diskussion häufig der Fall ist, zwischen dem liberalen Westen und einem "fundamentalistischen" Islamismus, sondern den eigentlichen Gegensatz sieht er durch unsere Kultur hindurchgehen. Man könnte etwas plakativ sagen, zwischen solchen, die Gott anerkennen, und solchen, die sich selbst und ihr eigenes Ich, ihre eigenen Wünsche in den Mittelpunkt stellen, wie er einmal gesagt hat. Insofern sieht er auch eine große Gemeinsamkeit zwischen den Religionen, etwa zwischen dem Christentum und auch dem Islam, selbstverständlich auch dem Judentum, die Gott als den Schöpfer der Welt anerkennen, und insofern auch ein gemeinsames Wertfundament, das ihrem Handeln voraus liegt.

    Spengler: Das möchte ich gerne genauer wissen. Das heißt, wenn die Trennungslinie zwischen, ich sage mal grob vereinfacht, Atheisten und Gläubigen liegt, was ist dann das Gemeinsame aller Gläubigen?

    Schockenhoff: Das Gemeinsame aller Gläubigen ist, dass sie ein Größeres anerkennen, als es ihre eigenen Wünsche sind, dem sie sich unterordnen, an dem sie Maß nehmen, nach dem sie auch ihre eigene Lebensführung ausrichten. Nun gibt es natürlich zwischen Islam, Christentum, Judentum im Einzelnen unterschiedliche Wertvorstellungen, aber der Papst sieht eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen in diesem Grundakt, dass sie ein Unbedingtes anerkennen, das nicht noch einmal von ihren eigenen Wünschen hervorgebracht wird. Darin sieht er einen entscheidenden Unterschied zu einem vorherrschenden, in unserer Postmoderne auftretenden Lebensgefühl, das das Ich und seine Wünsche in den Mittelpunkt stellt.

    Spengler: Halten Sie es eigentlich für einen Zufall, Herr Professor Schockenhoff, dass der Papst am Vorabend des 11. September, ausgerechnet an diesem Datum also, Respekt und Ehrfurcht vor anderen Religionen und Kulturen einfordert?

    Schockenhoff: Das ist sicher kein Zufall, sondern er möchte auf einer religiösen Ebene hinweisen auf die Gemeinsamkeit zwischen Religionen. Und er möchte auch deutlich machen, dass eben Respekt und Ehrfurcht zum Wesen der Religion gehört, auch Respekt und Ehrfurcht vor dem anderen, während Fundamentalismus, Gewaltsamkeit, der Missbrauch des Namens Gottes für eigene Machtinteressen dem Wesen der Religion widerspricht, wie er es versteht.

    Spengler: Das heißt, er setzt das, was er zum Beispiel während des Karikaturenstreits gesagt hat, nahtlos fort?

    Schockenhoff: Das ist sicher eine Fortsetzung davon, und insofern ist er auch darauf aus, eine Gemeinsamkeit mit dem Islam auf der religiösen Ebene herzustellen und gleichzeitig auch dem Islam gegenüber zu betonen, dass Fundamentalismus eine Fehlform gegenüber dem Anspruch der Wahrheit ist. Das ist ja nicht so, wie man manchmal denkt, Fundamentalismus sei eine intensive Form der Gläubigkeit, sondern im Gegenteil: Fundamentalismus entspringt einer resignativen Ansicht, insofern er nämlich daran verzweifelt, dass der Glaube sich aus eigenem Vertrauen einem Menschen in Freiheit auferlegen kann und er dazu übergeht, das, was er für wahr ansieht, anderen mit Gewalt aufzudrängen.

    Spengler: Insofern halten Sie ihn nicht für einen Fundamentalisten?

    Schockenhoff: Der Begriff ist sowieso so unbrauchbar geworden, aber er trifft auf kaum jemanden weniger zu als auf Papst Benedikt.

    Spengler: Gibt der Papst trotzdem der westlichen Zivilisation nicht eine Art Mitschuld an den Verirrungen des Glaubens islamistischer Prägungen, wie sie dann zum Beispiel am 11. September zum Ausdruck gekommen sind?

    Schockenhoff: Mitschuld ist jetzt eine persönliche moralische Kategorie, aber man kann natürlich in einer Analyse Fundamentalismus als eine Reaktion auf den tief sitzenden Werterelativismus unserer Kultur sehen und in beidem, im Fundamentalismus wie im Relativismus, komplementäre Fehlhaltungen gegenüber dem Anspruch moralischer Werte. Insofern ist die Analyse des Papstes sicher viel schärfer und tiefer gehender, an die Wurzel der Krise der Gegenwart gehender, als wenn man nur sagt, der Konflikt ist zwischen dem Westen und seinen liberalen Werten und einem fundamentalistischen Islamismus.

    Spengler: Heißt das, wenn wir den Terror bekämpfen wollen, dann müssen wir zu allererst auch auf uns selbst gucken?

    Schockenhoff: Der Terror ist eine Fehlhaltung, eine grausame Fehlhaltung, die eigene, auch politische Wurzeln hat, aber darüber hinaus ist er auch einer Fehlhaltung verwandt, die auf der anderen Seite bei uns etwas Spiegelbildliches hervorbringt. Wir sollten uns nicht über den Terrorismus nur empören, sondern wir sollten auch fragen, selbst in einer so verzerrenden Kritik an unserer Kultur, worin etwas ist, das wir uns an kritischer Infragestellung auch sagen lassen sollen und wovon wir auch lernen können, nicht von dem gewaltbereiten Terrorismus als solchem, aber von den Werten, die der islamischen Kultur heilig sind und die in ihrer Wurzel auch in unserer Kultur angelegt sind.

    Spengler: Das war Professor Eberhard Schockenhoff, Moraltheologe an der Universität Freiburg. Herr Schockenhoff, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Schockenhoff: Auf Wiederhören.