Freitag, 03. Mai 2024

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Theologin Käßmann über Rücktritte
"Am Ende geht es um die eigene Glaubwürdigkeit"

Das Schwierigste bei Rücktritten ist es nach Ansicht der Theologin Margot Käßmann, einen Fehler schonungslos zuzugeben. Mit Blick auf das Rücktrittsgesuch des Münchner Erzbischofs Marx sagte sie im Dlf, wenn in der Kirche etwas passiere, müsse dafür Verantwortung übernommen werden, auch stellvertretend.

Margot Käßmann im Gespräch mit Josephine Schulz | 12.06.2021
Margot Käßmann, Theologin, steht vor der niedersächsischen Staatskanzlei.
Theologin Margot Käßmann (dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte)
Papst Franziskus hat den Münchner Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, aufgefordert, weiter im Amt zu bleiben und dessen Rücktritt abgelehnt. Das bedeutet, dass Marx weiter im Amt bleiben muss - und weiterhin die Mitverantwortung für den Umgang mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche übernimmt.
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Wann weiß man, dass ein Rücktritt notwendig ist? "Ich denke für manch andere ist es ein längerer Prozess, weil es manche schwerer haben, sich vom eigenem Amt zu lösen, aber am Ende geht es um die eigene Glaubwürdigkeit", sagte Margot Käßmann, Theologin und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im Deutschlandfunk. "Ich denke, dass Schwerste ist, sich vor die Öffentlichkeit zu stellen und einen Fehler schonungslos und beschähmend zuzugeben beziehungsweise für Fehler Verantwortung zu übernehmen", sagte Käßmann. Man müsse dabei aber immer auch noch zwischen persönlichen Fehlern und Fehlern der Institution unterscheiden.

"Kirchen sind kein rechtsfreier Raum"

Margot Käßmann war 2009 als erste und bisher einzige Frau an die Spitze der EKD gewählt worden. Nach knapp vier Monaten Amtszeit war eine Autofahrt in Hannover unter Alkoholeinfluss bekannt geworden, bei der sie eine rote Ampel überfahren hatte. Daraufhin trat sie am 24. Februar 2010 von allen ihren Ämtern zurück. "An einem Mittwochmorgen in meiner Küche" habe sie ganz genau gewusst, dass dies der richtige Schritt sei, nachdem sie die Schlagzeilen über sich in den Zeitungen gesehen habe. Danach ging sie für fünf Monate in die USA. Es habe ihr gut getan, um ihr Leben neu zu sortieren, dass sie damals an einem Ort war, an dem sie niemand kannte, so Käßmann.
Eine Person, die in einer Leitungsposition lebe, habe immer Verantwortung. Niemand sei aber vor Fehlern gefeit, betonte die Theologin. Auch die Kirchen müssten sich der öffentlichen Debatte stellen, denn sie seien kein rechtsfreier Raum. Gerade in Kirchen werde viel Vertrauen gesteckt, wenn dort dann etwas passiere, dann muss dafür Verantwortung übernommen werden. Wenn Einzelne dies nicht tun würden für ihre Täterschaft, müssten andere dies für die Institution übernehmen.

Jeder hat das Recht auf eine zweite Chance

Sie glaube nicht, dass der Rücktrittsgesuch von Marx inszeniert gewesen sei, sagte Käßmann. "Ich nehme ihm das ab, dass ihn das derart erschüttert." Man müsse Menschen aber auch zugestehen, dass sie sich nach Fehler rehabilitieren könnten und einen Neuanfang machen können, sagte Käßmann mit Bezug auf den Rücktritt von Familienministerin Franziska Giffey (SPD). Diese hatte nach langen Diskussionen über ihre Doktorarbeit und den Plagiatsvorwürfen im Mai das Amt der Bundesfamilienministerin aufgegeben. An ihrer SPD-Spitzenkandidatur für die Abgeordnetenhauswahl in Berlin im September hatte sie aber festgehalten.
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Das Interview im Wortlaut:
Josephine Schulz: Kardinal Marx wollte zurücktreten, um Verantwortung zu übernehmen für den Umgang der katholischen Kirche mit zahlreichen Missbrauchsfällen. Der Papst hat das aber abgelehnt, das heißt, Marx muss weitermachen. Franziska Giffey, die ist schon vor einer Weile aus ihrem Amt als Familienministerin zurückgetreten, weil sie wahrscheinlich vorausgesehen hat, was diese Woche dann auch passiert ist, nämlich dass die Freie Universität ihr den Doktortitel aberkennt. Sie bleibt aber trotzdem weiter Spitzenkandidatin der SPD im Berliner Wahlkampf.
Diese Ereignisse nehmen wir zum Anlass, um mal etwas allgemeiner über Rücktritte von prominenten Personen in Politik und der Kirche zu sprechen, und zwar mit Margot Käßmann. Ihr Rücktritt vor elf Jahren als EKD-Ratsvorsitzende, nachdem sie alkoholisiert Auto gefahren war, das war damals ein riesiges Thema. Ich habe vorab mit ihr gesprochen und sie als Erstes gefragt, wann man als Person des öffentlichen Lebens weiß, dass ein Rücktritt der notwendige Schritt ist.
Margot Käßmann: Das, denke ich, lässt sich pauschal nicht sagen. Ich kann das für mich selber sagen, dass ich das an einem Mittwochmorgen in meiner Küche ganz genau wusste und dachte, das geht so nicht, nachdem ich die Schlagzeilen in den Zeitungen gesehen habe und gedacht habe, so kann ich mein Amt nicht weiter glaubwürdig ausführen. Ich denke, für manche andere ist es ein längerer Prozess, weil es manche schwerer haben, sich vom eigenen Amt zu lösen, aber am Ende geht’s ja um die eigene Glaubwürdigkeit.
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"Einen Fehler schonungslos und ja auch beschämend zuzugeben"

Schulz: Und was ist aus Ihrer persönlichen Erinnerung das Schwerste daran, am Rücktritt?
Käßmann: Ich denke, das Schwerste ist, sich vor die Öffentlichkeit, in Anführungsstrichen, zu stellen und einen Fehler schonungslos und ja auch beschämend zuzugeben beziehungsweise für Fehler – bei mir war es ja ein persönlicher, bei anderen für Fehler der Institution – Verantwortung zu übernehmen. Das sind ja noch mal zwei verschiedene Dinge, der persönliche Fehler oder die institutionellen Fehler, für die ich die Verantwortung als Leitungsfigur übernehme.
Schulz: Jetzt sind natürlich Rücktritte sehr, sehr unterschiedlich, sehr unterschiedliche Umstände, Ursachen, aber Sie haben es gerade selber schon gesagt, eins wird dann häufig gesagt, nämlich das sei eine Übernahme von Verantwortung. Ist es das, also ist man in jedem Fall eine verantwortungsvolle Person, wenn man zurücktritt?
Käßmann: Ich denke, eine Person, die in einer Leitungsposition lebt, beruflich, hat Verantwortung, entweder für einen großen Betrieb, hat Verantwortung für eine Institution, hat Verantwortung auch für das eigene Verhalten. Und wenn da Fehler geschehen – ich sag als Christin, jeder Mensch ist vor Fehlern nicht gefeit –, ich denke, dann ist es tatsächlich Verantwortung, entweder Verantwortung für mein eigenes Fehlverhalten oder für Vorkommnisse in der Institution. Nehmen wir vielleicht auch mal VW, direkte Manipulation, dafür muss Verantwortung übernehmen werden. Ja, für mich geht’s darum.

"Auch die Kirchen müssen sich einer öffentlichen Debatte stellen"

Schulz: Inwieweit lassen sich da zum Beispiel, nehmen wir mal Kirche und Politik vergleichen? Sie haben jetzt auch selber den öffentlichen Druck angesprochen, da könnte man jetzt sagen, die Kirche im Unterschied zur Politik zum Beispiel muss sich je nach Position eigentlich gar nicht so sehr vom medialen Druck beeinflussen lassen, weil man ja nicht von einem großen Wählervolk sozusagen abwählbar ist.
Käßmann: Doch, auch die Kirchen müssen sich einer öffentlichen Debatte stellen. Sie sind ja kein rechtsfreier Raum und kein verantwortungsfreier Raum, das schon gar nicht. Wenn gerade in Kirchen, in die ja viel Vertrauen gesetzt wird, etwas geschieht wie diese Missbrauchsskandale, dann muss dafür Verantwortung übernommen werden. Und wenn das Einzelne nicht tun für ihre Täterschaft, dann finde ich schon richtig, wenn das andere tun, die für die Institution insgesamt stehen.
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Schulz: Wir haben jetzt, also zumindest bei Franziska Giffey, aber teilweise habe ich das auch schon zu dem Angebot von Kardinal Marx gehört, da sagen ja einige, dieser Rücktritt oder das Angebot war eigentlich gar nicht ernst gemeint, sondern Kalkül, weil dann kann man sich hinterher hinstellen und sagen, ich hab Verantwortung übernommen, und kann dann weitermachen. Also kann so ein Rücktritt vielleicht auch ein schlaues Instrument sein, um in einer schwierigen Lage die eigene Position, den eigenen Rückhalt zu stärken?
Käßmann: Also das finde/fände ich schon eine heftige Unterstellung. Ich hab jetzt auch gelesen, dass manche sagen, das sei eine Inszenierung gewesen, das Rücktrittsangebot von Kardinal Marx. Da muss ich sagen, finde ich, das geht zu weit, weil ich nehme ihm das ab, so viel Vertrauen muss doch in eine Person auch da sein, dass er persönlich so betroffen war, dass er das sehr, sehr ernst gemeint hat.

"Jeder Mensch ist Sünder und Gerechter zu gleich"

Schulz: Aber man muss ja schon sagen, dass ihm jetzt sozusagen öffentlich sehr viel Respekt dafür gezollt wird, also er geht ja moralisch sehr gestärkt aus dieser Situation hervor.
Käßmann: Ja, das kann man ihm ja nicht übelnehmen, sondern ich finde, er hat das getan, was er für richtig empfunden hat. Ich hab mir sein Statement angeschaut und hab gedacht, das nehme ich ihm ab, dass ihn das derart erschüttert, und zwar nicht erst seit heute oder seit vorgestern, dass er auch die Konsequenzen ziehen will. Nun ist das eine andere Institution als die evangelische, da hat der Papst ein Wort mitzureden, aber es war für mich keine Inszenierung.
Und bei Frau Giffey möchte ich mal sagen, darüber wird ja auch viel gestritten, ich bin evangelisch wie gesagt, Martin Luther hat mal gesagt, jeder Mensch ist simul iustus et peccator, ist Sünder und Gerechter zu gleich. Menschen machen Fehler, aber wir leben, sag ich mal, Gott sei Dank in einem Land, in dem Menschen das auch zugestanden wird und sie auch nach Fehlern sich rehabilitieren können und nicht ihr Leben lang auf diesen Fehler festgelegt werden.
Deshalb haben wir beispielsweise ein Strafrecht, bei dem Menschen nach einer Gefängnisstrafe zurückkommen können und nicht wie in den USA zu 154 Jahren verurteilt werden, und jeder weiß, der kommt nie wieder aus dem Gefängnis raus, sondern wir haben ja diese Idee, der Mensch kann sich verändern, kann aus Fehlern lernen, und nach einem Scheitern darf es auch einen Neuanfang geben.
Schulz: Bei Franziska Giffey ist ja jetzt auch so ein bisschen die Kritik, dass der Neuanfang sozusagen sehr schnell kommt, also sie tritt als Familienministerin zurück und kann quasi ohne Pause weitermachen als Spitzenkandidatin im Berliner Wahlkampf. Kardinal Marx, der muss jetzt weitermachen, das ist vielleicht doch noch mal eine andere Frage. Aber kann man nach einem wirklich ernst gemeinten Rücktritt einfach weitermachen, oder entwertet das vielleicht dieses Zeichen, die Bereitschaft, sich zu rehabilitieren?
Käßmann: Ja, wer würde da urteilen wollen und sagen, nach einem Rücktritt muss man vier Monate, vier Jahre, 40 Jahre erst mal sich abstinent halten von öffentlichen Ämtern. Ich bin nicht diejenige, die das in Zeit bemessen könnte, und wer wollte das eigentlich tun? Das ist wirklich dann schon eine Frage auch des persönlichen Empfindens, der persönlichen Wahrnehmung.
Einigen mag das zu schnell sein, sie selbst denkt vielleicht – ich kenne sie nicht –, dass sie die Verantwortung jetzt für die SPD in Berlin übernehmen muss. Ich finde, das muss man dann dem persönlichen Gespür und der persönlichen Beurteilung überlassen.

"Es ist gut, erst mal wegzugehen"

Schulz: Aber wenn ich jetzt Sie persönlich frage, zum Beispiel hatten Sie das Gefühl, nach einem persönlichen Fehler, nach einem Rücktritt muss man sozusagen auch erst mal eine Weile Buße tun, sich bewähren und das Vertrauen der Menschen vielleicht langsam zurückgewinnen?
Käßmann: Mein persönlicher Eindruck war, es ist gut, erst mal wegzugehen, erst mal Abstand persönlich auch zu gewinnen, und deshalb bin ich ja damals auch für fünf Monate erst mal in die USA gegangen, weit weg von allem, an einen Ort, wo mich niemand kennt, um auch mal selber mein eigenes Leben zu sortieren. Mir erschien das damals richtig, erst mal sich rauszuhalten und auch nicht direkt wieder in andere kirchliche Ämter zu gehen. Aber wie gesagt, das ist eine Frage des persönlichen Empfindens.
Schulz: Die Öffentlichkeit oder die Medien, in Anführungszeichen, sind natürlich gerade in der Zeit vor so einem Rücktritt ja oft sehr hart, da kommt viel Druck. Wie ist das hinterher, hatten Sie den Eindruck, da kommt dann auch genauso viel Bereitschaft zu verzeihen sozusagen?
Käßmann: Das muss ich persönlich sagen, fand ich den Stimmungswechsel enorm. Am Mittwoch wurde ich skandalisiert, die Alkoholfahrt der Bischöfin, und am Donnerstag nach dem Rücktritt war der Titel in einer großen deutschen Tageszeitung "der tapfere Rücktritt". Oder der "Spiegel" hat dann getitelt, "der Aufstieg einer Sünderin". Also das war für mich schon, wenn Sie jetzt vom Tempo der Veränderung sprechen, bei dem sie zurücktreten, dann ist das Tempo bei den Medien in der Wahrnehmung noch schneller.

"Extrem schwer, Vertrauen zurückzugewinnen"

Schulz: Und wie ist das bei den Menschen, haben Sie das Gefühl, da dauert das länger, wenn Menschen vielleicht wirklich enttäuscht sind, da wieder Vertrauen zu gewinnen?
Käßmann: Persönlich kann ich sagen, dass ich fast gerührt war, wie positiv Menschen reagiert haben, dass viele eher gesagt haben, das tut uns leid, oder Respekt gezollt haben. Ich denke aber, wenn echtes Vertrauen verloren ist, dann ist es extrem schwer, Vertrauen zurückzugewinnen.
Und jetzt nehme ich mal unsere Kirchen: Also dieser Vertrauensverlust der Institutionen, denen Kinder anvertraut wurden, Jugendliche anvertraut wurden, weil man dachte, sie sind da gut behütet, sind in sicheren Händen, diesen Vertrauensverlust zurückzuholen, das wird für die Kirchen ungeheuer schwer, und verlorenes Vertrauen ad personam, aber auch als Institutionen, Parteien, Kirchen, Sportverbände zurückzuholen, das ist ein langer Prozess, weil Menschen erst mal ganz langsam wieder neu Vertrauen aufbauen werden.
Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, gibt im Innenhof seiner Residenz ein Statement vor der Presse. Marx hat zuvor Papst Franziskus seinen Rücktritt angeboten.
Kommentar - Rücktritte sind kein Selbstzweck
Der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Marx, hat dem Papst seinen Rücktritt angeboten. Der Top-Mann im Gewissensbildungsbetrieb hat sich der Gewissensfrage gestellt, kommentiert Christiane Florin.
Schulz: Gerade wenn Sie jetzt so gravierende Fälle ansprechen, hatten Sie vielleicht auch manchmal das Gefühl, es ist ungerecht, die Öffentlichkeit misst da mit zweierlei Maß, also andere kommen vielleicht mit allem durch und man selbst tritt dann wegen eines persönlichen Fehlers zurück?
Käßmann: Gerechtigkeit heißt ja nie, dass alle gleichbehandelt werden, sondern dass das Maß der Dinge stimmt. Und da muss ich sagen, ich hab mich nicht ungerecht behandelt gefühlt, sondern ich habe einen Fehler gemacht, und zu dem Fehler musste ich stehen, das ist ja nicht eine Sache der Schuld, die ich anderen in die Schuhe schieben kann, und das finde ich wichtig.
Also Larmoyanz bei Rücktritten ist keine gute Haltung, dass irgendwelche andere verstrickt haben oder Schuld sind, sondern ich finde, da ist auch der aufrechte Gang gefragt und – jetzt komme ich zum Anfang zurück – persönlich Verantwortung zu übernehmen.
Schulz: Bei Kardinal Marx, völlig anderes Thema jetzt, da haben viele gesagt, da tritt eigentlich der Falsche zurück, eigentlich müsste Kardinal Woelki zurücktreten. Haben Sie auch das Gefühl, oft treten die Falschen zurück?
Käßmann: Das ist schwer zu sagen, weil ich denke, es ist ja die eigene innere Haltung. Nehmen wir jetzt mal Willy Brandt aus meiner Jugend, da waren Sie wahrscheinlich noch gar nicht geboren, da hab ich gedacht, er hat ja nicht betrogen, sondern dieser Guillaume hat betrogen, und trotzdem hatte Willy Brandt den Eindruck, er kann nicht länger Kanzler sein. Das kann man dann in so einem Fall nur respektieren, dass der eine früher sieht, es ist die Zeit gekommen, und der andere sieht es überhaupt nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.