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Thierse: Da wird eine Stimmung erzeugt

Der stellvertretende Bundestagspräsident, Wolfgang Thierse, hat den Umgang der Medien mit dem SPD-Vorsitzenden Beck kritisiert. Äußerungen Becks würden aus dem Zusammenhang gerissen und neu interpretiert. Dabei handele es sich um einen "Rudeljournalismus" unter der Führung parteiischer Medien. Thierse appellierte zugleich an die Sozialdemokraten, Geschlossenheit und Disziplin aufzubringen und die politischen Inhalte wieder in den Vordergrund zu stellen.

Moderation: Bettina Klein | 26.06.2008
    Bettina Klein: "Ich klebe nicht an meinem Sessel", ein Zitat des SPD-Vorsitzenden Kurt Beck aus der Fraktionssitzung dieser Woche. Ein Satz - zumindest aus dem Zusammenhang genommen konnte der als eine Art Rücktrittsandrohung interpretiert werden. Aber - so heißt es aus der Partei - so war es ganz und gar nicht gemeint. Neue Nahrung in jedem Fall für Personaldiskussionen in der SPD, die nur von den Medien geschürt werden? Wer trägt die Verantwortung für die nicht glänzenden Umfragewerte der Partei zum Beispiel?
    Darüber wollen wir jetzt sprechen mit Wolfgang Thierse (SPD), Bundestagsvizepräsident. Er ist am Telefon in Berlin. Guten Morgen Herr Thierse.

    Wolfgang Thierse: Guten Morgen Frau Klein.

    Klein: Gezielte Medienkampagne gegen Kurt Beck als die eigentlich wahre Ursache für eine Krise der SPD?

    Thierse: Ach wissen Sie, natürlich sind vereinfachte Schuldzuweisungen immer von Übel. Aber wie soll man das interpretieren? Ich bin am Dienstagabend zu dem eben erwähnten Fraktionsfest gekommen und bevor ich den Hof betreten konnte, wurde mir gewissermaßen wie eine Pistole vor die Brust das Mikrofon hingehalten und gefragt "Herr Thierse, was halten Sie davon, dass Kurt Beck mit seinem Rücktritt gedroht hat". Ich sagte "wieso, was!" - "Ja waren Sie nicht bei der Fraktionssitzung?" - "Ja, ich war dabei." - "Ja hat er denn dort nicht den Satz gesagt, ich klebe nicht an meinem Sessel?" - Dann sage ich: "aber das ist doch ein Satz, der in einem Zusammenhang das genaue Gegenteil dessen besagt, was Sie hier jetzt erfragen, was Sie behaupten." Kurt Beck hat in dieser Fraktionssitzung gesagt, ich lasse mich nicht beirren, durch nichts und niemanden. Es geht nicht um mich, ich klebe nicht am Sessel; es geht um die SPD, es geht um eine gute Politik für Deutschland. Eine ausgesprochen große Entschlossenheit, die mit sehr, sehr großer Stimmung wahrgenommen wird. Und so wird gefragt und ich gehe weiter. Da kommt das nächste Mikrofon, das nächste Mikrofon, immer mit derselben Behauptung.

    Wie soll ich das denn interpretieren? Als dass da etwas, was ich "Rudeljournalismus" nenne, am Werke ist unter Anführung parteiischer Medien, die mit der SPD nichts, jedenfalls keine Sympathie verbindet? Das ist schon gelegentlich schwer zu ertragen, wenn Sie das verstehen. Man erlebt etwas, man ist dabei und dann wird etwas aus Zusammenhängen gerissen und das genaue Gegenteil durch die Welt gejagt und so wird die Stimmung unablässig verschlechtert, das Urteil über einen Mann und über die Partei immer mehr fixiert. Das ist schwer, da herauszukommen.

    Klein: Aber können Sie auch verstehen, dass es die Aufgabe von Journalisten ist, einen Satz zu hinterfragen, der ja offenbar gefallen ist und der ja auch von Parteimitgliedern aus der Fraktionssitzung herausgetragen wurde?

    Thierse: Einen Satz zu hinterfragen ja, aber ihn nicht sozusagen als Rücktrittsdrohung zu interpretieren. Ein bisschen vorsichtig, ein bisschen das Bewusstsein, dass ein Journalist nicht selber dabei ist, sondern dass er Interpretation betreibt, wie Herr Capellan ja eben auch Interpretation betreibt, indem er etwa einen Satz von Andrea Nahles "Ich bin für den Parteivorsitzenden als Kanzlerkandidat", jener selbstverständliche Satz, der immer gilt, dass der Parteivorsitzende die erste Wahl hat, interpretiert, dass Kurt Beck sich darüber geärgert habe. Ich weiß davon nichts. Ich kenne Kurt Beck sehr gut. Das ist eine Interpretation. Das muss man kenntlich machen als Journalist und nicht das einkleiden in die Form des Berichts.

    Klein: Ich denke wir haben es immer wieder auch kenntlich gemacht, dass es ja Stimmen aus der Partei selbst sind, die zugegebenermaßen - und das macht die Sache offenbar so kompliziert - immer wieder anonym bleiben wollen. Die Kollegen in der Hauptstadt machen ja die Erfahrung, dass SPD-Politiker ihnen Meinungen unterbreiten, Zitate hinterbringen und aber selber anonym bleiben wollen. Und die Frage ist natürlich schon: Sind es dann nicht die SPD-Politiker selbst, die eine bestimmte Art von Stimmung zu schüren versuchen, und nicht die Medien?

    Thierse: Ich bin sehr kritisch zu meinen eigenen Kollegen. Ich bin sehr dafür, dass wir disziplinierter sind, dass man nicht immerfort damit beschäftigt ist, etwas Journalisten zu stecken. Ich hoffe nicht, dass ich in diesem Rufe bin. Aber ich weiß doch auch, wie es läuft. Man wird ständig gefragt "Was sagen Sie davon, was sagen Sie davon?" und dann wird, wenn man etwas zu erklären versucht, ein halber Satz daraus verwendet und sofort in einen Interpretationszusammenhang gebracht, der etwas anderes dann bedeutet als man selber berichtet hat, interpretiert hat, zu erklären versucht hat. Das ist ein bisschen die Schwierigkeit der Berliner besonderen Kommunikation, dieses allzu intimen Verhältnisses zwischen Journalisten und Politikern.

    Ich kritisiere, dass Politiker meinen, Politik machen zu können, indem sie Journalisten etwas stecken, und ich kritisiere, dass Journalisten de facto Politik machen, indem sie Politiker dazu bringen, etwas zu sagen, etwas raus zu lassen, was sie dann in einen eigenen Interpretations- und Berichtszusammenhang stellen können. Das ist eine schwierige Situation und ich kann mir nur wünschen, dass die Sozialdemokraten das Ausmaß an Solidarität und Geschlossenheit und Disziplin aufbringen, das nötig ist, damit wir aus diesem Stimmungstief, aus diesem Loch wieder heraus kommen, in dem wir natürlich ausweislich der Umfragen gegenwärtig sind.

    Klein: Aber Herr Thierse, Kurt Beck zitiert ja selbst Leute, die sich seiner Meinung nach - und er weiß davon - anonym geäußert hätten.

    Thierse: Das habe ich gerade kritisiert. Ich bestreite nicht, dass selbstverständlich Sozialdemokraten Fehler machen wie alle möglichen anderen auch und dass in einer schwierigen Situation, wo die eigene Stimmung auch angekratzt ist durch die Berichterstattung und durch die Meinungsumfragen, natürlich solche Äußerungen besonders riskant sind.

    Klein: Aber ist das wirklich ein Fehler? Es drückt sich ja darin offenbar eine Stimmungslage aus, die vorhanden ist. Das ist doch eine Tatsache!

    Thierse: Aber die Stimmungslage ist doch nicht objektiv. Stimmungslagen werden erzeugt! Wissen Sie, die Bürger, die dann befragt werden, die erleben die Vorgänge nicht. Sie nehmen sie nur wahr in der Berichterstattung. Die Berichterstattung selber ist immer Interpretation. Diese Berichterstattung selber ist immer auch parteiisch. Es gibt nicht wirklich unparteiische Journalisten, sondern häufig ist es so, dass Journalisten nachreden, was ihnen von anderen erzählt wird. Sie unterhalten sich und es gibt Meinungsführerschaften in Deutschland. Inzwischen hat die Springer-Presse Meinungsführerschaft in Deutschland. Viele andere eilen hinterher. In der Hektik des Berliner journalistischen und medialen Betriebes hat kaum ein Journalist noch Zeit, wirklich zu recherchieren, sich eine eigene Meinung zu bilden. Also hetzt man hinterher und da gibt es sozusagen den Mainstream von Meinung und der ist im Moment auf eine schwer zu ertragende Weise gegen Kurt Beck gerichtet. Dass da eigene Fehler eine Rolle spielen, dass falsche Entscheidungen und Bemerkungen eine Rolle spielen, ist doch unbestritten. Aber dass ein Fehler sozusagen monatelang gegen einen Menschen gerichtet wird, dass eine Nebenbemerkung zum Hauptinhalt von Nachrichten wird, da wird natürlich eine Stimmung erzeugt, die dann Auswirkungen hat auch auf Meinungsumfragen.

    Klein: Herr Thierse, was wäre denn unparteiisch in der Tätigkeit eines Journalisten, diese Meinungsäußerungen zu unterdrücken, um einen Parteivorsitzenden, der offenbar intern kritisiert wird, zu schützen? Ist das unparteiisch?

    Thierse: Nein. Deutlicher zu unterscheiden zwischen Bericht und Interpretation, zwischen Darstellung eines Sachverhalts, den man genau kennt, und einer Meinungsäußerung. Sich etwas weniger damit zu befassen, möglichst viele kleine halbe Sätze von irgendjemand zu sammeln, um daraus ein Gebräu des Urteils zu machen. Das wäre schon etwas!

    Klein: Aber unter dem Strich: was soll die SPD jetzt tun, wenn nicht nur die Medien alleine Verantwortung tragen für die Misere? Was wäre denn Ihr Vorschlag, was innerhalb der Partei möglich sein soll?

    Thierse: Ich sage es noch einmal. Solidarisch, diszipliniert, geschlossen sein, über Politik reden, über Inhalte, über die Vorschläge, über die ökonomischen und sozialen Herausforderungen in diesem Lande, über Mindestlohn, über Steuerreform, über Außenpolitik, die dem Frieden dient, darüber zu reden, was das politische Angebot der SPD ist, was ihre Minister tun, was unsere Vorschläge sind zur Lösung dieser Probleme. Das wäre vernünftig!

    Klein: Wolfgang Thierse, Bundestagsvizepräsident und Sozialdemokrat. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Thierse.

    Thierse: Auf Wiederhören Frau Klein!