Dirk-Oliver Heckmann: Steht die große Koalition auf der Kippe und zeigt die Kanzlerin genug Führungsstärke im Streit um die Gesundheitsreform? Für so manchen Beobachter markiert er den Anfang vom Ende der großen Koalition, der Krach um die Ausgestaltung der Gesundheitsreform. Niemand scheint glücklich zu sein, über das, was da zwischen Union und SPD vor der Sommerpause vereinbart worden ist. Weder Gesundheitsexperten noch Ökonomen, weder SPD noch Union. Vor allem die Ministerpräsidenten von CDU und CSU laufen seit Tagen dagegen Sturm, dass die geplante Extraprämie für klamme Kassen auf ein Prozent des Haushaltseinkommens begrenzt werden soll, obwohl das klipp und klar so in den Eckpunkten festgelegt worden ist. Am Telefon ist jetzt einer der CDU-Ministerpräsidenten, nämlich der Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus. Guten Morgen.
Dieter Althaus: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Althaus, Vizekanzler Franz Müntefering hat gestern im Deutschlandfunk klare Worte gefunden. Hören wir mal zusammen rein. Zu den Schwierigkeiten in der großen Koalition sagte er nämlich:
"Es liegt ja daran, dass einzelne Ministerpräsidenten offensichtlich in Verkennung ihrer Funktionen sich da einmischen zu einem Zeitpunkt, wo das nicht angemessen ist. Das können die ja in ihren Parteigremien machen. Aber sozusagen unter Verweis auf den Bundesrat sich da einzumischen, das finde ich nicht angemessen."
Franz Müntefering sprach auch in diesem Zusammenhang vom "Respekt vor den Entscheidungsgremien der Demokratie", der gewahrt bleiben müsse. Herr Althaus, haben die Ministerpräsidenten der Union keinen Respekt vor der Demokratie?
Althaus: Nein, das sind Aussagen von Franz Müntefering, die eher politischer Kraftmeierei folgen. Ich finde, es ist wichtig, dass die Gesundheitsreform kommt. Aber es ist genauso wichtig, dass das Reformpaket auch praktikabel umsetzbar ist. Und insofern haben die Ministerpräsidenten genauso viel Recht und genauso viel Pflicht, in dieser Debatte mitzudiskutieren wie die Politikerinnen und Politiker des Deutschen Bundestages oder auch der Bundesregierung.
Heckmann: Die Union fordert von der SPD und auch von Ulla Schmidt, dass sie sich an die Eckpunkte bitte schön halten sollen. Gleichzeitig legen aber die Ministerpräsidenten die Axt an diesen Kompromiss, zum Beispiel an der Ein-Prozent-Regelung. Nennen Sie das glaubwürdige Politik?
Althaus: Also die Eckpunkte sind im Grundsatz sicher nachvollziehbar. Aber ein entscheidender Punkt für die Reform soll ja die Einführung des Gesundheitsfonds sein ...
Heckmann: Für die SPD ist aber die Ein-Prozent-Regelung eine entscheidende Sache.
Althaus: Ja, aber der Gesundheitsfonds macht nur Sinn, wenn Kassen die Möglichkeit haben, unabhängig von objektiven Problemen, die ja ausgeglichen werden sollen, auch möglicherweise eine zusätzliche Prämie zu erheben oder auch Zuschläge an die Mitglieder auszuzahlen. Und wenn sich dann zeigt, dass diese ein Prozent vom Haushaltseinkommen so gering sind, dass für einige noch nicht einmal zehn Euro herauskommen, dann ist diese ganze kleine Prämie, gedeckelt bei ein Prozent, nicht praktikabel. Und deshalb muss man das noch mal überprüfen und eine andere Lösung finden, denn der Gesundheitsfonds muss in der Lage sein, wenn er umgesetzt wird, auch den Wettbewerb zu ermöglichen ...
Heckmann: Aber Herr Althaus, es fragt sich doch jeder, warum diese Kritik jetzt kommt - jetzt, nachdem diese langen Verhandlungen geführt worden sind. Ihr Kollege in Sachsen-Anhalt, Ministerpräsident Böhmer sagte, wer jetzt die Eckpunkte in Frage stellt - und dazu gehört ja die Ein-Prozent-Regelung auch -, die Eckpunkte in Frage stellt, denen er selbst zugestimmt hat, der hat nicht aufgepasst. Also das betrifft auch Sie?
Althaus: Also die Ministerpräsidenten haben den Eckpunkten nicht zugestimmt, wir waren auch gar nicht bei den Verhandlungen dabei. Als in der Nacht der Kompromiss geschlossen worden ist und die Eckpunkte aufgestellt worden sind, sind sicher nicht alle diese Eckpunkte auch gleich auf ihre Praktikabilität hin überprüft worden. Das wird erst deutlich, wenn dann die Gesetzeserarbeitung kommt und deshalb ist seit einigen Wochen ja die Debatte auch deutlich stärker zu vernehmen. Und ich finde, das hat überhaupt nichts mit politischer Debatte zu tun, sondern das ist eine fachliche Debatte. Wir wollen ja, dass das Gesundheitsreformmodell auch umsetzbar ist und deshalb braucht es eine größere Flexibilität. Denn der Wettbewerb kann nicht hergestellt werden, wenn nicht die Kassen auch in der Lage sind, sich selbst die Einnahmesituation zu sichern, sonst kommen sie in Liquiditätsprobleme.
Heckmann: Wenn die Ministerpräsidenten aus Ihrer Sicht jetzt die Notbremse ziehen müssen, würden Sie dann sagen, dass die Verhandlungsführer der Union da geschlafen haben?
Althaus: Ich glaube, in der Nacht ist nicht alles, was an Eckpunkten vereinbart worden ist, bis zuletzt dann auch auf die Praktikabilität hin überprüft worden. Und deshalb gibt es zum einen ja den Beschluss, die Inkrafttretung erst später vorzunehmen, im April. Das deutet ja auch darauf hin, dass noch Arbeit zu leisten ist. Zum Zweiten hat ja die Bundeskanzlerin und haben auch Herr Beck letzte Woche besprochen, dass noch einmal Experten anschauen können und sollen, wie nun konkret umgesetzt werden soll. Und das deutet auch darauf hin, dass es noch fachliche Probleme gibt.
Heckmann: Sie selbst stellen ja die Deckelung dieses Zusatzbeitrags nicht grundsätzlich in Frage, sagen aber, dass die Höhe dieser Deckelung, diese ein Prozent eben, dass das Verhandlungssache sei. Die SPD sagt allerdings klipp und klar, dass es nur um die praktische Umsetzung dieser Regelung geht und eben nicht um die Höhe. Machen Sie sich da also Illusionen über die Verhandlungsbereitschaft der SPD?
Althaus: Ich hoffe nicht, denn - noch einmal - es geht ja darum, dass das Gesamtkonzept auch anwendbar ist. Und da geht es zum einen ja darum, dass zum ersten Mal über eine solche Grundlage wie der Gesundheitsfonds eine große Transparenz geschaffen wird. Und zum Zweiten, dass die Kassen wirklich den Patienten und auch den Leistungserbringern gegenüber offen legen müssen, welche Kostenstrukturen sie haben. Und das funktioniert nur, wenn ökonomisch gut funktionierende Kassen zurückzahlen können und wenn ökonomisch problematische Kassen zusätzliche Zuschläge einnehmen können. Und ein Prozent ist einfach in der konkreten Anwendung zu gering, das kann jeder nachrechnen. Da kommt es häufig sogar zu einer noch geringeren Zusatzbelastung als jetzt. Und deshalb muss man einfach noch mal nachschauen. Und ich finde, man muss es von der politischen Ebene wegnehmen hin zur fachlichen Ebene, einmal wirklich durchrechnen: Was heißt das? Und dann wird auch jeder SPD-Politiker erkennen, hier muss es eine größere Flexibilität geben, indem man zum Beispiel ein Prozent anhebt oder indem man eben ein anderes Element entwickelt, das die Kassen nutzen können. Aber so kann es im Moment nicht bleiben.
Heckmann: Zum Beispiel eine Erhöhung der Steuermittel, wie Ihr Kollege, Ministerpräsident Böhmer vorgeschlagen hat - und damit eine SPD-Idee im Prinzip aufgegriffen hat?
Althaus: Na gut, ob es eine SPD-Idee ist, da würde ich dringend daran zweifeln. Denn dass wir ein kapitalgedecktes Verfahren haben wollen, ist für die Union lange klar. Und wir haben uns ja auch sehr dafür eingesetzt, dass die Versicherung, die Mitversicherung der Kinder über Steuerfinanzierung erfolgt. Das geht auch aus dem Fonds heraus, insofern ist auch die Steuermitteldiskussion sinnvoll. Genauso sinnvoll auch andere Diskussionen, über die Beitragsbemessungsgrenze et cetera. Wie die Lösung konkret aussieht, das sollen die Experten jetzt anschauen. Auf jeden Fall muss es eine kleine Variation zu dem sein, was bei den Eckpunkten beschlossen worden ist.
Heckmann: Herr Althaus, Angela Merkel, die Bundeskanzlerin hält eine große Gesundheitsreform noch für möglich, aber sie scheint offenbar die einzige zu sein, die das noch so sieht? Peter Müller, der Ministerpräsident des Saarlandes, glaubt eben nicht mehr an einen großen Wurf und meinte, man solle doch lieber Abstand nehmen von der ganzen Geschichte, wenn keine Verbesserung zu erzielen ist.
Althaus: Das könnten wir nur dann, wenn das jetzige Gesundheitssystem so weiter finanzierbar ist. Aber die Kassen bekommen im nächsten Jahr erhebliche Probleme und Beitragssteigerungen in Größenordnungen sind für die Wirtschafts- und den Arbeitsmarktstandort katastrophal. Deshalb brauchen wir einen Gesundheitsreformkompromiss, um für die nächsten Jahre die Finanzierbarkeit und die Leistungsfähigkeit zu erhalten ...
Heckmann: Für die nächsten Jahre - das heißt, es kommt wieder eine Übergangslösung? Keine langfristige Lösung?
Althaus: Ja, bei einer großen Koalition ist ja nicht zu erwarten, dass wir eine ganz grundsätzliche Veränderung erreichen, die eine dauerhafte Lösung schon fest fixiert. Die Union bleibt weiter auf dem Standpunkt: Wir brauchen die Einführung eines Prämienmodells, kapitalgedecktes Verfahren; und die SPD - so ist meine Information - bleibt dabei, dass sie die Bürgerversicherung will. Beides ist aus dem, was jetzt eingeführt werden soll, noch entwickelbar. Und deshalb ist das eine Reform, die für die nächsten Jahre eine Lösung schafft, aber die Parteien werden an ihren Profilen natürlich festhalten.
Heckmann: Das heißt, die Lösung der Probleme wird im Prinzip auf die nächste, auf die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl vertagt?
Althaus: Das war vor der Wahl schon klar. Und das war auch mit dem Wahlabend klar. Wenn man zwei unterschiedliche Positionen vereinigen will, dann muss entweder der eine seine Position aufgeben - das sehe ich nicht - oder aber es muss ein Kompromiss gefunden werden, dass zwischen beiden Linien ein Mittelweg gefunden wird. Das ist genau jetzt der Fall ...
Heckmann: Aber die große Koalition ist doch mit dem Anspruch angetreten, die Probleme wirklich anzupacken?
Althaus: Ja, aber Angela Merkel hat in ihrer Regierungserklärung im Deutschen Bundestag auch sehr deutlich formuliert, es werden kleine Schritte gesetzt, die Richtung muss nur stimmen. Und mit einem Reformkompromiss würde die Richtung stimmen, aber es bleiben kleine Schritte.
Heckmann: Was sagen Sie denn zum Umgang der Ministerpräsidentenkollegen mit Angela Merkel? Die wurde ja wirklich öffentlich dermaßen unter Druck gesetzt.
Althaus: Nein, also wir haben in den ganz normalen Gesprächsrunden, sowohl im Bundespräsidium auf Parteiseite als auch bei Gesprächen vor dem Bundesrat, inhaltlich diskutiert. Und ich finde das auch sachgerecht. Wenn die SPD deutlich weniger mitdiskutiert, dann liegt das zum einen daran, dass sie natürlich deutlich weniger in den Ländern Verantwortung trägt und zum Zweiten möglicherweise auch diese Inhaltsdiskussion vermeiden will. Ich finde wirklich, diese Inhaltsdiskussion wesentlich, bevor verabschiedet wird und nicht wenn verabschiedet wird. Es ist doch viel wichtiger, sich in der Debatte zu melden.
Heckmann: Herr Althaus, die große Koalition bekommt derzeit eine ziemlich schlechte Presse. Die Koalition wird in einer schweren Krise gesehen, gleichzeitig wachsen die Spekulationen um die Bildung einer neuen Koalition, sozialliberal oder Ampelkoalition. Beunruhigt Sie das?
Althaus: Ich hoffe, wir haben den Auftrag des Wahlergebnisses verstanden: Die Leute haben kein Vertrauen mehr in die großen Volksparteien - jedenfalls nicht ausreichend, um ihnen die Mehrheit zu geben, dass sie auch aus ihrem Profil heraus allein gestalten können. Und deshalb muss dieses Vertrauen zurückerarbeitet werden. Und das geht nur, indem wir uns auch möglicherweise diesen schwierigen Themen, aber doch auch diesen wichtigen Themen stellen und nicht immer über neue Machtkonstellationen spekulieren.
Heckmann: Kann es sein, dass es nur deswegen nicht zu Neuwahlen kommt und zu einem Bruch der Koalition, weil beide Parteien, Union und SPD, eben Neuwahlen scheuen wegen der schlechten Umfragewerte?
Althaus: Alle müssen Neuwahlen scheuen, die als Volksparteien in der Mitte aktiv sind. Das hat auch das Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin gezeigt. Jetzt muss erst mal das Vertrauen durch konkrete Arbeit zurück gewonnen werden und dann kann man sich auch dem Wähler wieder stellen. Ich finde es also wirklich richtig, dass jetzt das, was im Koalitionsvertrag steht, abgearbeitet wird. Und zum Zweiten finde ich es wichtig, dass wir nicht ständig über Neuwahlen spekulieren, sondern dass wir unsere Verantwortung wahrnehmen.
Dieter Althaus: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Althaus, Vizekanzler Franz Müntefering hat gestern im Deutschlandfunk klare Worte gefunden. Hören wir mal zusammen rein. Zu den Schwierigkeiten in der großen Koalition sagte er nämlich:
"Es liegt ja daran, dass einzelne Ministerpräsidenten offensichtlich in Verkennung ihrer Funktionen sich da einmischen zu einem Zeitpunkt, wo das nicht angemessen ist. Das können die ja in ihren Parteigremien machen. Aber sozusagen unter Verweis auf den Bundesrat sich da einzumischen, das finde ich nicht angemessen."
Franz Müntefering sprach auch in diesem Zusammenhang vom "Respekt vor den Entscheidungsgremien der Demokratie", der gewahrt bleiben müsse. Herr Althaus, haben die Ministerpräsidenten der Union keinen Respekt vor der Demokratie?
Althaus: Nein, das sind Aussagen von Franz Müntefering, die eher politischer Kraftmeierei folgen. Ich finde, es ist wichtig, dass die Gesundheitsreform kommt. Aber es ist genauso wichtig, dass das Reformpaket auch praktikabel umsetzbar ist. Und insofern haben die Ministerpräsidenten genauso viel Recht und genauso viel Pflicht, in dieser Debatte mitzudiskutieren wie die Politikerinnen und Politiker des Deutschen Bundestages oder auch der Bundesregierung.
Heckmann: Die Union fordert von der SPD und auch von Ulla Schmidt, dass sie sich an die Eckpunkte bitte schön halten sollen. Gleichzeitig legen aber die Ministerpräsidenten die Axt an diesen Kompromiss, zum Beispiel an der Ein-Prozent-Regelung. Nennen Sie das glaubwürdige Politik?
Althaus: Also die Eckpunkte sind im Grundsatz sicher nachvollziehbar. Aber ein entscheidender Punkt für die Reform soll ja die Einführung des Gesundheitsfonds sein ...
Heckmann: Für die SPD ist aber die Ein-Prozent-Regelung eine entscheidende Sache.
Althaus: Ja, aber der Gesundheitsfonds macht nur Sinn, wenn Kassen die Möglichkeit haben, unabhängig von objektiven Problemen, die ja ausgeglichen werden sollen, auch möglicherweise eine zusätzliche Prämie zu erheben oder auch Zuschläge an die Mitglieder auszuzahlen. Und wenn sich dann zeigt, dass diese ein Prozent vom Haushaltseinkommen so gering sind, dass für einige noch nicht einmal zehn Euro herauskommen, dann ist diese ganze kleine Prämie, gedeckelt bei ein Prozent, nicht praktikabel. Und deshalb muss man das noch mal überprüfen und eine andere Lösung finden, denn der Gesundheitsfonds muss in der Lage sein, wenn er umgesetzt wird, auch den Wettbewerb zu ermöglichen ...
Heckmann: Aber Herr Althaus, es fragt sich doch jeder, warum diese Kritik jetzt kommt - jetzt, nachdem diese langen Verhandlungen geführt worden sind. Ihr Kollege in Sachsen-Anhalt, Ministerpräsident Böhmer sagte, wer jetzt die Eckpunkte in Frage stellt - und dazu gehört ja die Ein-Prozent-Regelung auch -, die Eckpunkte in Frage stellt, denen er selbst zugestimmt hat, der hat nicht aufgepasst. Also das betrifft auch Sie?
Althaus: Also die Ministerpräsidenten haben den Eckpunkten nicht zugestimmt, wir waren auch gar nicht bei den Verhandlungen dabei. Als in der Nacht der Kompromiss geschlossen worden ist und die Eckpunkte aufgestellt worden sind, sind sicher nicht alle diese Eckpunkte auch gleich auf ihre Praktikabilität hin überprüft worden. Das wird erst deutlich, wenn dann die Gesetzeserarbeitung kommt und deshalb ist seit einigen Wochen ja die Debatte auch deutlich stärker zu vernehmen. Und ich finde, das hat überhaupt nichts mit politischer Debatte zu tun, sondern das ist eine fachliche Debatte. Wir wollen ja, dass das Gesundheitsreformmodell auch umsetzbar ist und deshalb braucht es eine größere Flexibilität. Denn der Wettbewerb kann nicht hergestellt werden, wenn nicht die Kassen auch in der Lage sind, sich selbst die Einnahmesituation zu sichern, sonst kommen sie in Liquiditätsprobleme.
Heckmann: Wenn die Ministerpräsidenten aus Ihrer Sicht jetzt die Notbremse ziehen müssen, würden Sie dann sagen, dass die Verhandlungsführer der Union da geschlafen haben?
Althaus: Ich glaube, in der Nacht ist nicht alles, was an Eckpunkten vereinbart worden ist, bis zuletzt dann auch auf die Praktikabilität hin überprüft worden. Und deshalb gibt es zum einen ja den Beschluss, die Inkrafttretung erst später vorzunehmen, im April. Das deutet ja auch darauf hin, dass noch Arbeit zu leisten ist. Zum Zweiten hat ja die Bundeskanzlerin und haben auch Herr Beck letzte Woche besprochen, dass noch einmal Experten anschauen können und sollen, wie nun konkret umgesetzt werden soll. Und das deutet auch darauf hin, dass es noch fachliche Probleme gibt.
Heckmann: Sie selbst stellen ja die Deckelung dieses Zusatzbeitrags nicht grundsätzlich in Frage, sagen aber, dass die Höhe dieser Deckelung, diese ein Prozent eben, dass das Verhandlungssache sei. Die SPD sagt allerdings klipp und klar, dass es nur um die praktische Umsetzung dieser Regelung geht und eben nicht um die Höhe. Machen Sie sich da also Illusionen über die Verhandlungsbereitschaft der SPD?
Althaus: Ich hoffe nicht, denn - noch einmal - es geht ja darum, dass das Gesamtkonzept auch anwendbar ist. Und da geht es zum einen ja darum, dass zum ersten Mal über eine solche Grundlage wie der Gesundheitsfonds eine große Transparenz geschaffen wird. Und zum Zweiten, dass die Kassen wirklich den Patienten und auch den Leistungserbringern gegenüber offen legen müssen, welche Kostenstrukturen sie haben. Und das funktioniert nur, wenn ökonomisch gut funktionierende Kassen zurückzahlen können und wenn ökonomisch problematische Kassen zusätzliche Zuschläge einnehmen können. Und ein Prozent ist einfach in der konkreten Anwendung zu gering, das kann jeder nachrechnen. Da kommt es häufig sogar zu einer noch geringeren Zusatzbelastung als jetzt. Und deshalb muss man einfach noch mal nachschauen. Und ich finde, man muss es von der politischen Ebene wegnehmen hin zur fachlichen Ebene, einmal wirklich durchrechnen: Was heißt das? Und dann wird auch jeder SPD-Politiker erkennen, hier muss es eine größere Flexibilität geben, indem man zum Beispiel ein Prozent anhebt oder indem man eben ein anderes Element entwickelt, das die Kassen nutzen können. Aber so kann es im Moment nicht bleiben.
Heckmann: Zum Beispiel eine Erhöhung der Steuermittel, wie Ihr Kollege, Ministerpräsident Böhmer vorgeschlagen hat - und damit eine SPD-Idee im Prinzip aufgegriffen hat?
Althaus: Na gut, ob es eine SPD-Idee ist, da würde ich dringend daran zweifeln. Denn dass wir ein kapitalgedecktes Verfahren haben wollen, ist für die Union lange klar. Und wir haben uns ja auch sehr dafür eingesetzt, dass die Versicherung, die Mitversicherung der Kinder über Steuerfinanzierung erfolgt. Das geht auch aus dem Fonds heraus, insofern ist auch die Steuermitteldiskussion sinnvoll. Genauso sinnvoll auch andere Diskussionen, über die Beitragsbemessungsgrenze et cetera. Wie die Lösung konkret aussieht, das sollen die Experten jetzt anschauen. Auf jeden Fall muss es eine kleine Variation zu dem sein, was bei den Eckpunkten beschlossen worden ist.
Heckmann: Herr Althaus, Angela Merkel, die Bundeskanzlerin hält eine große Gesundheitsreform noch für möglich, aber sie scheint offenbar die einzige zu sein, die das noch so sieht? Peter Müller, der Ministerpräsident des Saarlandes, glaubt eben nicht mehr an einen großen Wurf und meinte, man solle doch lieber Abstand nehmen von der ganzen Geschichte, wenn keine Verbesserung zu erzielen ist.
Althaus: Das könnten wir nur dann, wenn das jetzige Gesundheitssystem so weiter finanzierbar ist. Aber die Kassen bekommen im nächsten Jahr erhebliche Probleme und Beitragssteigerungen in Größenordnungen sind für die Wirtschafts- und den Arbeitsmarktstandort katastrophal. Deshalb brauchen wir einen Gesundheitsreformkompromiss, um für die nächsten Jahre die Finanzierbarkeit und die Leistungsfähigkeit zu erhalten ...
Heckmann: Für die nächsten Jahre - das heißt, es kommt wieder eine Übergangslösung? Keine langfristige Lösung?
Althaus: Ja, bei einer großen Koalition ist ja nicht zu erwarten, dass wir eine ganz grundsätzliche Veränderung erreichen, die eine dauerhafte Lösung schon fest fixiert. Die Union bleibt weiter auf dem Standpunkt: Wir brauchen die Einführung eines Prämienmodells, kapitalgedecktes Verfahren; und die SPD - so ist meine Information - bleibt dabei, dass sie die Bürgerversicherung will. Beides ist aus dem, was jetzt eingeführt werden soll, noch entwickelbar. Und deshalb ist das eine Reform, die für die nächsten Jahre eine Lösung schafft, aber die Parteien werden an ihren Profilen natürlich festhalten.
Heckmann: Das heißt, die Lösung der Probleme wird im Prinzip auf die nächste, auf die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl vertagt?
Althaus: Das war vor der Wahl schon klar. Und das war auch mit dem Wahlabend klar. Wenn man zwei unterschiedliche Positionen vereinigen will, dann muss entweder der eine seine Position aufgeben - das sehe ich nicht - oder aber es muss ein Kompromiss gefunden werden, dass zwischen beiden Linien ein Mittelweg gefunden wird. Das ist genau jetzt der Fall ...
Heckmann: Aber die große Koalition ist doch mit dem Anspruch angetreten, die Probleme wirklich anzupacken?
Althaus: Ja, aber Angela Merkel hat in ihrer Regierungserklärung im Deutschen Bundestag auch sehr deutlich formuliert, es werden kleine Schritte gesetzt, die Richtung muss nur stimmen. Und mit einem Reformkompromiss würde die Richtung stimmen, aber es bleiben kleine Schritte.
Heckmann: Was sagen Sie denn zum Umgang der Ministerpräsidentenkollegen mit Angela Merkel? Die wurde ja wirklich öffentlich dermaßen unter Druck gesetzt.
Althaus: Nein, also wir haben in den ganz normalen Gesprächsrunden, sowohl im Bundespräsidium auf Parteiseite als auch bei Gesprächen vor dem Bundesrat, inhaltlich diskutiert. Und ich finde das auch sachgerecht. Wenn die SPD deutlich weniger mitdiskutiert, dann liegt das zum einen daran, dass sie natürlich deutlich weniger in den Ländern Verantwortung trägt und zum Zweiten möglicherweise auch diese Inhaltsdiskussion vermeiden will. Ich finde wirklich, diese Inhaltsdiskussion wesentlich, bevor verabschiedet wird und nicht wenn verabschiedet wird. Es ist doch viel wichtiger, sich in der Debatte zu melden.
Heckmann: Herr Althaus, die große Koalition bekommt derzeit eine ziemlich schlechte Presse. Die Koalition wird in einer schweren Krise gesehen, gleichzeitig wachsen die Spekulationen um die Bildung einer neuen Koalition, sozialliberal oder Ampelkoalition. Beunruhigt Sie das?
Althaus: Ich hoffe, wir haben den Auftrag des Wahlergebnisses verstanden: Die Leute haben kein Vertrauen mehr in die großen Volksparteien - jedenfalls nicht ausreichend, um ihnen die Mehrheit zu geben, dass sie auch aus ihrem Profil heraus allein gestalten können. Und deshalb muss dieses Vertrauen zurückerarbeitet werden. Und das geht nur, indem wir uns auch möglicherweise diesen schwierigen Themen, aber doch auch diesen wichtigen Themen stellen und nicht immer über neue Machtkonstellationen spekulieren.
Heckmann: Kann es sein, dass es nur deswegen nicht zu Neuwahlen kommt und zu einem Bruch der Koalition, weil beide Parteien, Union und SPD, eben Neuwahlen scheuen wegen der schlechten Umfragewerte?
Althaus: Alle müssen Neuwahlen scheuen, die als Volksparteien in der Mitte aktiv sind. Das hat auch das Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin gezeigt. Jetzt muss erst mal das Vertrauen durch konkrete Arbeit zurück gewonnen werden und dann kann man sich auch dem Wähler wieder stellen. Ich finde es also wirklich richtig, dass jetzt das, was im Koalitionsvertrag steht, abgearbeitet wird. Und zum Zweiten finde ich es wichtig, dass wir nicht ständig über Neuwahlen spekulieren, sondern dass wir unsere Verantwortung wahrnehmen.