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Tiefensee: "Hier wird nichts verscherbelt"

Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee erwartet bei einer Teilprivatisierung der Deutschen Bahn keine Qualitätseinschränkungen im Regionalverkehr. Das Schienennetz verbleibe im Eigentum des Bundes, die Länder könnten weiterhin den Nahverkehr verantworten, sagte der SPD-Politiker. Sollten Strecken aus wirtschaftlichen Gründen stillgelegt werden, greife ein umfangreiches Verfahren, um anderen Anbietern einen Zugriff zu ermöglichen.

Moderation: Christian Schütte |
    Christian Schütte: Die Teilprivatisierung der Bahn, ein umstrittenes Projekt. Heute debattieren die Bundestagsabgeordneten über einen Entwurf, der im Wesentlichen auf den Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee von der SPD zurückgeht, und mit ihm sind wir nun verbunden. Guten Morgen Herr Tiefensee!

    Tiefensee: Guten Morgen Herr Schütte.

    Schütte: Aus der SPD-Fraktion heißt es, die Privatisierung sei eigentlich bereits gescheitert. Das dazu passende Bild wäre eine Bahn, die auf einem Abstellgleis steht. Auf der anderen Seite sagen viele, der Entwurf zur Privatisierung ist kein gutes Gesetz, aber dieser Zug lässt sich wohl nicht mehr aufhalten. Herr Tiefensee, welches Bild trifft denn eher zu, das Abstellgleis, oder die unkontrollierbare Fahrt ins Ungewisse?

    Tiefensee: Es gibt kein Abstellgleis. Wir werden jetzt heute im Bundestag dieses Gesetz diskutieren. Es ist eingebracht von den Fraktionen. Dem vorausgegangen sind Mehrheitsbeschlüsse, die die Eckpunkte dieses Gesetzes festgelegt haben, zum Beispiel im November letzten Jahres. Und obwohl das Projekt ein schwieriges ist, bin ich sehr optimistisch, dass wir es im Laufe der nächsten Wochen und Monate gut zu Ende führen.

    Schütte: Die Reform soll also weiter oder wieder rollen. Dabei gibt es aber noch viele Widerstände zu überwinden, die, um mal im Bild zu bleiben, die Räder noch etwas blockieren. Ein Kritikpunkt ist dabei: Der Bund überlässt der Bahn die Bewirtschaftung des Netzes. Nach 15 bis 18 Jahren könnte der Bund das Netz zurückbekommen, müsste dabei allerdings den Wertzuwachs auslösen. Wirtschaftsexperten sagen und viele Politiker befürchten, damit ist das Netz für den Bund praktisch von Anfang an verloren an die Privatwirtschaft.

    Tiefensee: Nein, das ist nicht richtig. Man muss sich nur mal vor Augen führen, was wir eigentlich bewirken wollten und warum 1993/94 eine Aktiengesellschaft gegründet worden ist. Wenn sich die Bahnkunden einmal den Vergleich erlauben von heute zu Anfang der 90er Jahre wird mir jeder zustimmen, dass die Bahn einen enormen Zuwachs an Dienstleistungsqualität mit sich gebracht hat, dass der Regionalverkehr besser geworden ist, dass die Pünktlichkeit zugenommen hat, obwohl ich weiß, dass dieser oder jener vielleicht auch mal andere Erfahrungen gemacht hat. Die Bahn ist ganz, ganz stark geworden in dieser Rechtsform und jetzt wollen wir ein Gesetz verabschieden, das ganz klar regelt, dass das Netz, die Schienen, die Bahnhöfe, die Stellwerke im Eigentum des Bundes bleiben. Hier wird also nichts verschleudert oder verscherbelt. Nein, der Bund bleibt Eigentümer und der integrierte Konzern, den die Kunden kennen, der soll mit diesem Netz wirtschaften können, und zwar damit die Dienstleistungsqualität noch besser wird, als sie jetzt schon ist.

    Schütte: Das Kopfschütteln vieler bezieht sich allerdings auf das Netz, und viele fragen sich, warum sich der Bund in dieser Sache gewissermaßen selbst ausbootet.

    Tiefensee: Das Netz bleibt beim Bund. Die Bahn kann damit wirtschaften und das tut sie, damit sie in einem ganz starken europäischen Wettbewerb, der sich auch auf unseren Schienen in Deutschland ja in den nächsten Jahren abspielen wird, Wettbewerbsanteile erhält und behält und ausbaut. Das ist gut für die Kunden. Die DB-AG wird stärker. Wir erhalten zusätzlich Geld und damit können wir eben neue Züge, neue Lokomotiven bestellen. Das ist gut fürs Klima, denn die Deutsche Bahn engagiert sich ja für den Klimaschutz, und es ist gut, wenn weniger LKW auf den Straßen fahren. Es ist gut für den Steuerzahler. Wir müssen nicht alles zahlen, sondern wir holen Partner ins Boot, die uns helfen. Und es ist schließlich auch gut für 230.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Familien. Auch an die müssen wir denken; auch an die denken wir. Deshalb ist die Reform, die wir jetzt auf den Weg bringen, gut.

    Schütte: Trotzdem sehen die Länder ja Verfassungsprobleme, denn sie sagen, ein privater Investor wird auf den Strecken kaum zum Wohl der Allgemeinheit Entscheidungen treffen. Welche Sicherheiten können Sie denn bieten, dass in Zukunft wirklich keine Strecken geschlossen werden?

    Tiefensee: Die erste Sicherheit ist, dass das Netz in der Hand des Bundes bleibt, um es etwas pathetischer zu sagen: in der Hand des Volkes. Kein Investor hat Zugriff auf die Schienen. Das zweite: auch heute bestellen die Länder die Verkehre, die sie auf den Nah- und Regionalnetzen haben wollen, selbst. Auch das wird so bleiben. Das dritte: Wenn tatsächlich ein Kilometer Schiene abgebaut werden soll, weil er zum Beispiel unwirtschaftlich ist oder weil der erdgasbetriebene Bus die Versorgungsleistung besser übernimmt, dann gibt es ein ganz kompliziertes und ausgeklügeltes Prozedere. Immer müssen Bund und Länder zustimmen. Das so genannte Eisenbahnbundesamt fällt die Entscheidung nach gründlicher Untersuchung.

    Schütte: Auch gegen den Willen der Bahn?

    Tiefensee: Die Bahn wird dann eine Strecke zur Stilllegung oder wie wir sagen zur Entwidmung anmelden, wenn die Verkehre sich nicht mehr rechnen. Dann wird diese Strecke ausgeschrieben. Andere Bewerber, andere Wettbewerber können sich um diese Strecke bemühen. Und erst nach diesem komplizierten Prozedere kann es passieren, dass Netze stillgelegt werden. Aber wir haben 34.000 Kilometer Schiene und während wir hier so reden miteinander, fahren 1,8 Millionen Pendler heute Morgen und den ganzen Tag über und 34.000 Züge fahren. Also die Befürchtung kann man zerstreuen, dass die Teilprivatisierung etwas an Qualität im Regionalnetz verschlechtern wird.

    Schütte: Also alles halb so schlimm oder überhaupt nicht schlimm, sagen Sie. Trotzdem kommt Widerstand und das in massiver Form von den Sozialdemokraten, vor allen Dingen aus der Fraktion. Lässt Sie da Ihre eigene Partei im Stich?

    Tiefensee: Nein. Der Widerstand bezieht sich auf einen ganz konkreten Umstand. Jetzt wird nämlich schon die Frage gestellt, an wen gehen eigentlich die Aktien. Die 49 Prozent, die wir maximal veräußern wollen, sollen die an einen oder zwei Investoren gehen, oder wollen wir die Aktien breit streuen. Das ist ein Gedanke, der klug ist, der diskutiert werden muss. Es gibt keinen Widerstand, der sich prinzipiell gegen die Vorgehensweise richtet, sondern wir müssen dieses wichtige Detail klären. Es gibt noch andere Punkte. Ich will mit den Ländern diskutieren darüber, ob wir das Gesetz an dieser oder jener Stelle noch verbessern können. Aber im Grund sind wir uns einig, dass wir mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene holen wollen, dass wir wirtschaftlicher agieren müssen, uns in Europa stark aufstellen müssen - die Märkte öffnen sich - und vor allen Dingen auch Arbeitsplätze sichern müssen. Ich setze mich dafür ein, dass wir einen integrierten Konzern weiter haben, eine starke Deutsche Bahn, die gute Dienstleistungen für die Kunden erbringt.

    Schütte: Wenn für Sie und für andere in der Parteispitze schon feststeht, dass die Teilprivatisierung kommt - und zwar ungefähr in der Form, wie Sie sich das vorstellen -, warum lassen Sie auf dem Parteitag im Oktober überhaupt noch eine breite Debatte unter den Delegierten zu? Es haben ja schon acht Landesverbände ihre Ablehnung bekundet.

    Tiefensee: Diese Landesverbände haben auch ganz konkret gesagt, was sie sich von der Zukunft der Bahn erwarten. Immer wieder sind es die Kriterien, die ich genannt habe, und es soll doch verhindert werden, dass Heuschrecken Aktien halten, die Bahn filetieren und ein Übermaß an Rendite rausziehen. Das werden wir verhindern, denn auch ich bin der Meinung, dass wir verhindern müssen, dass Investoren Zugriff bekommen, die das Schlechte für die Bahn wollen, strategisch etwas anderes als wir. Das werden wir verhindern und ich finde es legitim, dass in der Sozialdemokratie gründlich diskutiert wird, wie wir mit der Deutschen Bahn AG umgehen, denn wir haben eine Gemeinwohlverpflichtung. Wir wollen in der Fläche präsent sein, und wir wollen, dass jeder, ob er nun arm oder reich ist, die Bahn benutzen kann. Wir wollen vor allen Dingen, dass unser Netz eine hohe Qualität behält und dass die Arbeitsplätze gesichert werden. Wir sind uns also im Ziel einig, aber wie so oft gibt es unterschiedliche Wege und dadurch auch Diskussionen. Politik ist, Entscheidungen dadurch möglich zu machen, dass man Mehrheiten findet. Wir wollen auf dem Parteitag all diese Fragen diskutieren, und ich bin zuversichtlich, dass wir überzeugen, dass wir mit privaten Partnern noch stärker, noch besser sind mit unserem Unternehmen Deutsche Bahn.

    Schütte: Wird den Delegierten Ihr Wort, dass der Bund auf jeden Fall nicht die Kontrolle beim Bahnnetz verliert, dieses Wort, diese Zusicherung reichen?

    Tiefensee: Ein Blick ins Gesetz zeigt, dass es nicht nur Worte sind, sondern dass das schriftlich festgelegt ist. Es gab Stimmen, man solle doch den Konzern, die Deutsche Bahn AG wieder aufspalten. Man solle den Transport abtrennen und das Netz wieder in Staatshand zurückführen. Das haben wir mit diesem Gesetz verhindert. Es gab Stimmen die sagten: Privatisiert doch auch das Netz zu 49 Prozent, geht auch mit dem Netz an die Börse. Nein, das haben wir verhindert. Das Netz bleibt in der Hand des Bundes. Das sind alles wichtige Eckpfeiler, die es uns ermöglichen, dass die Deutsche Bahn stark wird. Es sind gigantische Herausforderungen, die wir zu bestehen haben im offenen europäischen Markt, und da kann man sich nicht einfach hinstellen und sagen, der Bund soll weiter Steuergeld dafür einsetzen über das hinaus, die Milliardenbeträge hinaus, die wir ja jetzt schon geben. Nein, das geht nicht. Wir müssen die Augen öffnen oder davor nicht verschließen, dass wir neue Bedingungen Anfang des 21. Jahrhunderts haben, und ich möchte gemeinsam mit meinen Kabinettskollegen, gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen die Bahn stark machen, damit sie als deutsches Unternehmen an diesen Märkten agieren kann.