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"Tiefgreifende Verunsicherung in der Bundeswehr"

Die Entscheidung über eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr steht bevor. Conrad Schetter vom Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn sagt, dass mit einem solchen Mandat auch Bundeswehrsoldaten in direkte Kampfhandlungen verwickelt sein werden. Todesopfer scheinen da vorprogrammiert.

Conrad Schetter im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Am kommenden Freitag wird der Bundestag über eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats abstimmen. Ungeachtet der 27 zivilen Opfer, die ein NATO-Luftangriff auf drei Minibusse am Sonntag in Afghanistan gefordert hat, unterstützt die SPD-Spitze mit breiter Mehrheit das neue Mandat. Parteivorstand und Parteirat empfahlen gestern der Fraktion, das Mandat zu billigen. Dieses Mandat sieht vor: mehr Bundeswehrsoldaten, mehr Einsätze außerhalb der Lager und mehr Ausbildung von afghanischen Sicherheitskräften. Die Regierung in Kabul kritisierte den Luftangriff scharf. Soeben aus Afghanistan zurück ist Conrad Schetter, Afghanistan-Experte und Buchautor. Guten Morgen, Herr Schetter.

    Conrad Schetter: Guten Morgen!

    Spengler: Sie waren vor allem in den nordafghanischen Bundeswehrstützpunkten. Wie wird denn das neue Mandat dort beurteilt?

    Schetter: Auf der einen Seite muss man sagen, dass man natürlich sich erhofft, über dieses neue Mandat einen größeren Spielraum zu erhalten. Auf der anderen Seite sagen auch sehr viele Bundeswehrsoldaten, dass gerade über diese Trainingsmaßnahme, das sogenannte Partnering, was bedeutet, dass jetzt auch Bundeswehrsoldaten direkt mit in Kampfhandlungen gehen, die Gefahr besteht, dass doch die Anzahl der Todesopfer unter den Bundeswehrsoldaten steigen wird. Und ob darauf die deutsche Öffentlichkeit vorbereitet ist, glauben sie aber eher nicht.

    Spengler: Was finden denn die Soldaten selbst besser, im Lager zu bleiben, oder rauszugehen, dorthin, wo es gefährlich ist?

    Schetter: Da ist nach meinen Gesprächen die Einschätzung sehr geteilt. Da gibt es die einen, die sagen, rausgehen bringt eigentlich sehr wenig, wir können dieses Land eigentlich gar nicht verändern, wir haben hier so viele Konflikte, so viele Probleme, wir verstehen so wenig von dem Land, dass hier herauszugehen eigentlich kaum etwas zum besseren wendet. Dagegen sagen die anderen, wir haben internationale Verpflichtungen, gerade gegenwärtig sehen wir, was die Amerikaner machen, was die Briten machen, wir werden international als Weicheier dargestellt und wir müssen hier etwas machen. Hier ist eine ganz geteilte Meinung innerhalb der Bundeswehrsoldaten zu finden.

    Spengler: Ist das nicht fatal? Wenn zum Beispiel ein Fußball-Team unterschiedlichen Taktiken folgt, ist das ja auch nicht besonders sinnreich.

    Schetter: Das sind mehr oder weniger die eigenen Emotionen. Das ganze wird natürlich zusammengehalten, dass es eine sehr klare Hierarchie gibt, sehr klar gesagt wird, was getan werden muss. Aber generell ist es so, dass gegenwärtig die Bundeswehr eher vorsichtig agiert, wenig herausfährt, was natürlich auch sehr stark mit den Tanklaster-Angriffen im September letzten Jahres zu tun hat, dass seitdem eine tiefgreifende Verunsicherung in der Bundeswehr vorherrscht. Gleichwohl, muss man sagen, wird der Druck im Kessel gegenwärtig erhöht, da nun auch die Amerikaner in Nord-Afghanistan sind und hier eben doch sehr massiv durchgreifen.

    Spengler: Ist der Norden noch sozusagen in deutscher Hand, oder haben die USA schon das faktische Kommando übernommen?

    Schetter: Ich denke, hier in der Öffentlichkeit herrscht nach wie vor das Bild, dass es so etwas wie deutsch Nord-Afghanistan gibt, dass also Nord-Afghanistan überwiegend die Deutschen sind. Das wird nicht mehr lange so sein. Gegenwärtig haben wir eine Situation, in der Tausende von US-Soldaten nach Nord-Afghanistan gehen, die Lager etwa wie in Masar-i-Scharif, dem Hauptlager, erweitert werden, die anderen Lager aus allen Nähten platzen und hier nun doch die Amerikaner sehr stark zeigen, wie sie den Krieg in Afghanistan führen wollen, und hier die Deutschen auch enorm unter Druck setzen, einer ähnlichen Strategie zu folgen. Auch das ist, glaube ich, der deutschen Öffentlichkeit nicht genug bewusst.

    Spengler: Wie lautet denn die amerikanische Strategie?

    Schetter: Die amerikanische Strategie lautet, gerade im Norden weitaus mehr Gesicht zeigen, weitaus mehr herausgehen, aber vor allen Dingen die Taliban-Netzwerke im Norden zu zerstören, Aufständische dort zu treffen wo es geht. Das heißt, dass man gegenwärtig im Norden noch einen massiven Militäreinsatz hat, häufig weitaus feiner justiert als in früheren Zeiten. Das heißt, man versucht wirklich an die Rädelsführer heranzukommen, sucht dann aber den Kampf, und das ist etwas, was die Bundeswehr nicht unbedingt in den letzten Jahren getan hat.

    Spengler: Woran erkennen denn die Soldaten den Feind? Wie sieht er aus, der Taliban?

    Schetter: Das ist, glaube ich, eine gute Frage, die ich immer wieder gerne stelle und bisher nie eine Antwort darauf bekommen habe. Derselbe, der vielleicht an einem Tag eine Kalaschnikow in die Hand nimmt, eine Bombe legt, ist am nächsten Tag ein Bauer, der friedlich seinen Acker bestellt. Das heißt, das sind Dinge, die können wir an sich kaum herausfinden. Hier ist man sehr viel auf Informationen aus den Geheimdiensten angewiesen, vor allen Dingen aber von Informanten, und die Informationen, die diese Informanten geben, sind doch sehr häufig sehr fragwürdig. Daher kommt es immer wieder gerade zur Bombardierung von Zivilisten oder zu Aktionen gegen Zivilisten oder gegen Unschuldige, weil hier dann eben doch häufig Leute denunziert werden, die mit den Taliban nun gar nichts zu tun haben. Also es ist sehr, sehr problematisch. Es gibt so etwas wie eine Terrorliste, auf der die meist gesuchten Aufständischen stehen, und wenn man da mal draufsteht, kommt man nicht mehr runter.

    Spengler: Welche Folgen haben denn die von Ihnen und von mir eben am Anfang auch angesprochenen sogenannten Kollateralschäden bei der Bevölkerung, wenn es immer wieder zu toten Zivilisten kommt?

    Schetter: Auf der einen Seite gibt es so etwas wie eine Abnutzung. Man hat sich in einer gewissen Weise daran gewöhnt. Man weiß, dass so etwas passiert. Auf der anderen Seite hat dies natürlich insgesamt das Bild, das Ansehen der NATO extrem belastet. Die NATO wird eher als Besatzer wahrgenommen und eben nicht mehr als unbedingt der Befreier. Das spürt man schon sehr. Vor allen Dingen an sich diese permanente Gefahr, dass aus heiterem Himmel andauernd sozusagen eine Gefahr drohen kann, ein Helikopter landen kann, eine Drohne eine Rakete abschießt, diese permanente Gefahr ist andauernd gegeben und das macht natürlich Sorgen. Man fühlt sich eigentlich dauernd unsicher, und da ist natürlich das zentrale Problem. Die NATO ist hingegangen, um Sicherheit zu bringen, und diese Diskrepanz, die bekommt man nicht mehr aufgelöst.

    Spengler: Herr Schetter, Sie sind ja nun öfter in Afghanistan. Ist irgendwas besser geworden?

    Schetter: Ja, das kann man auch sicherlich sagen. Ich denke, an diesem Einsatz ist nicht alles schlecht. Man muss sagen, dass etwa gerade im Infrastrukturbereich, Straßen, Kanäle, Hausbauten, sich einiges verbessert hat, auch etwa in dem Bereich der Schulbildung. Es gibt viele kleine Ansätze, wo man denkt, dass sich so etwas wie eine bürgerliche Mittelschicht allmählich herausbildet. Auf afghanischer Seite gibt es doch einige Hoffnungsschimmer am Horizont.

    Spengler: Und die ursprünglichen Ziele der internationalen Truppen, also wir bauen da einen Staat auf, demokratisch, die Mädchen sollen zur Schule gehen, gelten diese Ziele noch?

    Schetter: Diese Ziele wurden in den letzten acht Jahren allmählich abgebaut. Zu allererst hat man den Gedanken abgebaut, hier eine moderne Zivilgesellschaft aus dem Boden schießen zu können. Dann hat man sich doch sehr stark von dem Thema Demokratie verabschiedet, gerade nach den letzten desaströsen Wahlen, die ja von Korruption nur so durchtränkt waren. Mittlerweile hat man auch das Thema Staatsaufbau mehr oder weniger ad acta gelegt. Man redet eigentlich nur noch von Stabilität, und Stabilität beinhaltet keine Visionen mehr. Bei Stabilität geht es eigentlich nur noch um einen Zustand und ich denke, das ist vielleicht der dramatischste Moment. In dem Moment, wo ich keine Visionen mehr für so einen Einsatz habe, leidet die Moral und fragt sich jeder, was machen wir hier überhaupt noch. Wenn es nur noch um Stabilität geht, dann ist meines Erachtens eigentlich der Einsatz in Afghanistan gemessen an den Zielen doch verloren.

    Spengler: Danke für das Gespräch. Conrad Schetter, Autor und Wissenschaftler am Zentrum für Entwicklungsforschung an der Universität Bonn.