
Vermutlich keine andere Plattform hat derzeit in der digitalen Welt einen größeren kulturellen Einfluss als TikTok. Nach Firmenangaben nutzen mehr als eine Milliarde Menschen die App regelmäßig, scrollen sich durch die Kurzvideos oder laden eigene Clips hoch.
Anders als Instagram oder YouTube stammt TikTok jedoch nicht aus den Vereinigten Staaten, sondern ursprünglich aus China. Deshalb begegnen westliche Regierungen der App mit wachsendem Misstrauen. Vor allem in den USA.
Der US-Kongress verbot Ende 2022 gesetzlich, TikTok auf Regierungs-Smartphones zu installieren. Wenig später zog die Europäische Union nach und entschied: Auf Handys von EU-Mitarbeitern und -Parlamentariern ist TikTok künftig tabu.
- Welche Länder haben TikTok verboten oder die Nutzung eingeschränkt?
- Warum wird TikTok in mehreren Staaten verboten?
- Wie sieht es mit dem Datenschutz bei TikTok aus?
- Wie wirksam sind und wären TikTok-Verbote?
- Was sagt TikTok zu den Vorwürfen?
- Inwieweit geht es bei der Diskussion über TikTok um geopolitische Interessen?
Welche Länder haben TikTok verboten oder die Nutzung eingeschränkt?
Eine Gruppe von US-Senatoren will mit einem sogenannten „Restrict Act“ sogar noch weiter gehen. Das Ziel des Gesetzes: Das US-Handelsministerium soll Technologie aus China sanktionieren, im Zweifel sogar verbieten können. Im US-Bundesstaat Montana wird TikTok ab 2024 vollständig untersagt. Die Firma selber oder App-Stores, die TikTok dann in Montana anbieten, müssen mit einer Strafe von täglich 10.000 US-Dollar rechnen. TikTok und mehrere Nutzer haben dagegen Klage eingereicht.
Ein explizites TikTok-Verbot auf Regierungshandys gibt es in Deutschland nicht. Das ist aber auch nicht nötig: Regierungsmitarbeiter dürfen ohnehin nur eine geringe Zahl an ausgewählten Apps auf ihren Dienst-Smartphones installieren. TikTok gehört nicht dazu. In Indien ist TikTok komplett verboten.
Warum wird TikTok in mehreren Staaten verboten?
Mark Warner, Senator des Bundesstaats Virginia und Vorsitzender des Geheimdienstausschusses, ist ein TikTok-Kritiker und Verbotsbefürworter. Der Politiker der Demokratischen Partei sagt: „Die Kommunistische Partei Chinas macht keinen Hehl daraus, uns in unterschiedlichen Technologiefeldern überflügeln zu wollen." TikTok sei eine Plattform, die der Kommunistischen Partei die Möglichkeit gebe, Daten zu sammeln, sie aber möglicherweise auch als Propagandawerkzeug einzusetzen.

Indien begründete das 2020 nach einem Grenzkonflikt mit China verhängte TikTok-Verbot laut BBC damit, dass die App schädlich für die Souveränität und Sicherheit des Landes sei. Insgesamt wurden fast 60 chinesische Apps verboten, angeblich nachdem Beschwerden wegen gestohlenen Nutzerdaten eingegangen waren. Allerdings hängt das Verbot zeitlich direkt mit einer kurzzeitigen Eskalation des Grenzkonflikts zwischen Indien und China im Himalaya zusammen.
Wie sieht es mit dem Datenschutz bei TikTok aus?
Dass TikTok persönliche Daten sammelt und auswertet, ist erst einmal nichts Ungewöhnliches. So lernt der Algorithmus das Verhalten seiner Nutzer, also welche Videos sie bevorzugen - und spielt sie entsprechend dieser Interessen aus. Und generell gilt: Plattformen, die ihr Geld wie TikTok mit personalisierter Werbung verdienen, sind an möglichst umfangreichen Informationen über ihre Nutzer interessiert.
Serge Egelman vom International Computer Science Institute der Universität Berkeley gilt als einer der renommiertesten IT-Sicherheitsforscher. Er untersucht die Datensammelpraktiken von Smartphone-Apps. Und er hält die TikTok-Diskussion für überhitzt.
Egelman: „Es ist dazu online eine Menge Desinformation im Umlauf. Zum Beispiel, dass TikTok auf dem Smartphone mithört. Oder deine Augenbewegungen verfolgt. Oder Fotos und Videos von dir ohne deine Zustimmung macht oder die ganze Zeit deine Standortdaten sammelt. Aber es sieht so aus, dass nichts davon stimmt.“ TikTok verfolge einige Online-Aktivitäten, aber das könnten die meisten Apps. Egelman verweist darauf, dass werbefinanzierte Geschäftsmodelle grundsätzlich darauf ausgelegt sind, die Privatsphäre zu verletzen. „Was TikTok intern mit den Daten macht, darüber könnte man nur spekulieren. Aber bei den Daten, die sie sammeln, gehen sie nicht über das hinaus, was zum Beispiel Facebook macht.“
Die australisch-amerikanische Cybersicherheitsfirma Internet 2.0 dagegen sieht TikTok kritischer. Die Datensammlung sei „überdurchschnittlich aufdringlich“ und ermögliche zum Beispiel das Durchsuchen des Gerätespeichers, heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 2022. TikTok weist die Vorwürfe zurück.
Wie sinnvoll sind TikTok-Verbote?
Cybersicherheitsexperte Sven Herpig hält die politische Debatte in den USA für übertrieben, die Drohungen mit einem landesweiten Verbot in den USA für geopolitisches Schaulaufen. Zumal die Vereinigten Staaten auch ein Interesse daran haben, ihre eigenen Plattformen wie Facebook oder YouTube zu schützen.
Im Falle der Netzwerkanbieter Huawei und ZTE ging es noch darum, ob westliche Länder chinesische Bauteile in ihrer kritischen 5G-Mobilfunkinfrastruktur erlauben sollten. Bei einer Social-Media-App sei die Risikoabschätzung jedoch eine andere, sagt Herpig. Sorgen sollten sich vor allem Nutzergruppen machen, "die allgemein im Visier chinesischer Nachrichtendienste sind, also zum Beispiel Exil-Uiguren, Exil-Tibetaner*innen - also Gruppen, die ohnehin von der Volksrepublik China und ihren Sicherheitsdiensten überwacht werden".
„Der wesentliche Unterschied zwischen TikTok und den anderen Social-Media-Apps liegt quasi darin, wem sie gehören“, sagt Martin Degeling. Er forscht bei der Stiftung Neue Verantwortung über digitale Plattformen und ihre Datenverarbeitung. „Deswegen sieht man auch, dass die Debatte in den USA noch viel stärker ist als in Deutschland, weil eben die anderen großen Social-Media-Apps alle amerikanischen Unternehmen gehören und TikTok einem Firmenkonstrukt gehört, das jetzt den Hauptsitz in Singapur hat. Aber es gibt eine sehr starke Vernetzung mit der Mutterfirma ByteDance, die in China sitzt und das bringt schon Fragen mit sich wie: Wer hat Zugriff im Hintergrund auf die Daten, die die App sammelt?“
Was sagt TikTok zu den Vorwürfen?
TikTok selbst betont, dass weder man selbst, noch der Mutterkonzern ByteDance ein chinesisches Unternehmen sei. Das ist formal korrekt, denn die ByteDance-Firmenholding ist auf den Cayman-Inseln registriert, die internationale Zentrale liegt in Singapur. Die nach Angaben der deutschen Bundesregierung wichtigste ByteDance-Unternehmenseinheit sitzt aber in Peking: Sie betreibt mit Douyin einen TikTok-Zwilling, der den Zensurwünschen und inhaltlichen Vorgaben der chinesischen Führung folgt.
TikTok versprach, die amerikanischen Nutzerdaten nur noch in den USA zu speichern. Der US-Cloudanbieter Oracle soll die Daten speichern, Änderungen am Quellcode überwachen und auch den Datenfluss kontrollieren. Ab 2024 soll ein ähnliches System auch in der EU eingeführt werden. Ein europäisches Partnerunternehmen soll dann überwachen, ob sich TikTok an die Standards hält. Die Verhandlungen hierzu befänden sich in den letzten Zügen, sagt Tim Klaws, Head of Government Relations and Public Policy bei TikTok. Der Datenfluss aus Europa heraus solle „so weit wie möglich“ minimiert und persönliche Nutzerdaten sollten nicht nach China transferiert werden.
Inwieweit geht es bei der Diskussion über TikTok um geopolitische Interessen?
Trotz aller Beteuerungen des Unternehmens: Im Westen ist das politische Misstrauen gegenüber TikTok in dem Maße gewachsen, wie der geopolitische Konflikt mit China an Schärfe zugenommen hat. In dem Licht sei auch die Entscheidung der EU zu betrachten, TikTok auf Diensthandys von Beamten der EU-Kommission zu verbieten, sagt Julian Ringhof, Forscher am European Council on Foreign Relations.
Je schärfer der Konflikt mit Peking wird, desto geringer dürfte die Toleranz für ein aus China stammendes Milliardenunternehmen ausfallen, dessen Video-App in den USA und Europa fast 300 Millionen Menschen regelmäßig nutzen.
Johannes Kuhn, tei