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„Time“ von Inger Nordvik
Musik wie ein Bach

Von Kirchenmusik über Klassik zu Jazz und Pop, von den Fjorden Nordnorwegens ins chaotische und laute Berlin – diesen Weg ist die Musikerin Inger Nordvik gegangen. Auf ihrem Debütalbum „Time“ vereint sie diese Gegensätze zu sensiblen Songs und spontanen Improvisationen.

Von Anke Behlert | 08.02.2020
Auf dem Bild ist die norwegische Musikerin Inger Nordvik zu sehen. Sie trägt eine bunte Bluse und blickt schüchtern in die Kamera
Die norwegische Musikerin Inger Nordvik (Charles Mignot)
"Ich bin mit viel Natur und Ruhe aufgewachsen. Aber Berlin ist anders, viel größer. Jeder macht einfach was er will, kreativ und musikalisch. Das ist sehr unterschiedlich, und es hat mich sehr inspiriert, dass es so frei ist und auch offen. Für mich war das wichtig, weil die Freiheit und Anonymität haben mir geholfen, diesen Richtungswechsel zu machen."
Die berühmte Berliner Luft hat schon viele Menschen inspiriert. Die 32-jährige Inger Nordvik ist da keine Ausnahme. Sie kommt aus Harstad, einer kleinen Stadt nördlich des Polarkreises, von Bergen umgeben, das Meer direkt vor der Tür. Trotz der urbanen Einflüsse Berlins, die wunderschöne Natur ihrer Heimat klingt immer noch in ihrer Musik durch. Die Songs fließen wie ein Bach durch melodische Biegungen und unerwartete harmonische Wendungen, getragen von Klavier und Nordviks Stimme.
Die strengen Regeln der Klassik-Welt
Inger Nordvik wächst als Tochter eines Pfarrers auf, spielt schon früh Klavier und hört sehr viel Kirchenmusik. Sie nimmt Gesangsstunden und stellt schnell fest, dass ihr weiter Stimmumfang sich bestens für das Repertoire der klassischen Musik eignet. Also studiert sie Gesang, schreibt parallel aber auch eigene Songs, denn von den strengen Regeln der Klassik-Welt fühlt sie sich eingeengt. In Berlin arbeitet sie mit dem Bassisten Karl-Erik Enkelmann und dem Schlagzeuger Dag Magnus Narvesen zusammen. Mit ihnen hat sie auch einen Teil ihres Albums aufgenommen.
"Das war eine Herausforderung, ich habe dabei sehr viel gelernt. Sie haben eine ganz andere Herangehensweise ans Musikmachen. Es muss gar nicht so perfekt oder poliert und sauber sein. Klassische Musik, und besonders wenn man klassische Musik studiert, soll perfekt sein. Das war ein ganz wichtiger Prozess für mich, mit den beiden zusammenzuarbeiten. Da konnte ich mehr improvisieren und im Moment Musik machen."
Auf ihrem ersten Album "Time" bringt Inger Nordvik all diese unterschiedlichen Einflüsse zusammen: Klassik, Jazz, Pop und Folk, improvisierte Momente und akribisch ausgearbeitete Chor- und Streicherarrangements. Die hat sie selbst geschrieben, und auch produziert hat sie das Album selbst. Aufgenommen wurden einige der Songs in zwei alten Kirchen, deren Akustik lange Hallfahnen durch die Musik zieht.
"Ich hatte Lust, diese Sachen auszuprobieren. Und ich hatte auch Ideen für "Elser" oder "For a while". Aber bei den Liedern, die ich mit den Jazzmusikern aufgenommen hab, hab ich ihnen mehr Freiheit gegeben und wir haben viel improvisiert. Das ist eine Balance, die Kontrolle wegzugeben. Dann bekommt man Ideen, die man nicht selber hat, das ist auch cool finde ich."
Suche nach existentiellen Dingen
In ihren Songtexten sucht Inger Nordvik nach existentiellen Dingen: Identität, Glaube, Beziehungen. Sie spricht aber auch politische Themen an wie Gleichberechtigung und Klimawandel. In dem Song "Elser", eine Hommage an den Widerstandskämpfer Georg Elser, stellt sie die Frage: Wie weit würde ich für meine Überzeugungen gehen?
"Es fängt immer mit einer Emotion bei mir an. Ich habe den Film über Georg Elser gesehen und war sehr beeindruckt. Für mich war interessant, dass Leute ihr Leben riskieren für ihre Ideen. Dass man für das kämpft, was richtig ist. Deswegen stelle ich die Frage: Would I die for what I believe in? Das weiß man nicht, bevor man in so einer Situation ist."
Große Detailverliebtheit
Mit "Time" schlägt Inger Nordvik einen großen Bogen und liefert ein erstaunlich reifes Debütalbum ab, das durch ambitionierte Songs und große Detailverliebtheit beeindruckt. Damit unterstreicht sie ihre Position als aufstrebende Musikerin in der Berliner Songwriter-Szene, von der wir in naher Zukunft hoffentlich noch einiges hören werden.