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"Tod der konservativen Partei"

Tony Blair und seine Labour-Partei haben die Unterhauswahlen in Großbritannien gewonnen und treten in die dritte Legislaturperiode ein. Ein "Team-Erfolg" der ganzen Partei – so der britische Liberaldemokrat Graham Watson. Für die geschlagenen Konservativen sei die Rolle als große Opposition nach vier Jahren denkbar schlecht; man könne gar von ihrem Tod sprechen.

Von Klaus Remme |
    Remme: Tony Blair, das Geburtstagskind und der Wahlsieger am Ende einer langen Wahlnacht in Großbritannien. Um etwa halb acht heute Morgen hat er sich geäußert. Er sagte: "Wir haben ein drittes Mandat. Wir müssen auf den Wähler hören und sie haben eines deutlich gemacht: Sie wollen eine Labour-Regierung und keine der Konservativen, keine der Tories." Mit dem Mehrheitswahlrecht, da ist es schon komisch, zumindest aus deutscher Betrachtung und das in gleich dreierlei Hinsicht: In Großbritannien, da kann Labour mit etwa 36 Prozent der Stimmen bereits eine absolute Mehrheit im Parlament bekommen; da legen die Konservativen in%en der Stimmen kaum zu und dennoch wächst die Anzahl der Sitze für sie beträchtlich, mehrere Dutzend haben sie dazu gewonnen; und die Liberaldemokraten - nun, ihnen hilft ein prozentualer Gewinn, ein Ergebnis von über 20 Prozent nicht viel, denn das drückt sich in der Anzahl der Sitze leider nicht aus, es sind nur etwa acht Prozent der Sitze, die die Liberaldemokraten bekommen. Am Telefon ist ein Liberaldemokrat aus Großbritannien, Graham Watson. Ist das etwas, das Ihnen alle vier Jahre erneut sauer aufstößt, dieses Mehrheitswahlrecht?

    Watson: Ich finde das menschenrechtswidrig, dass die Stimmen einiger Mitbürger mehr Wert haben als die Stimmen anderer. Und ich glaube, wenn eine Partei 22 Prozent bekommt und weniger als zehn Prozent der Sitze, ist das irgendwie fies. Aber das ist so und ich muss zugeben, dass es für die Labour-Partei ein sehr guter Erfolg gewesen ist, dass sie also historisch zum ersten Mal drei Mal nacheinander eine Regierung schafft.

    Remme: Aber ist das wirklich so ein großer Sieg, wenn man sich ansieht, dass die Labour-Partei über 100 Sitze oder etwa 100 Sitze abgeben muss?

    Watson: Die Labour-Partei hat früher, also im letzten Mandat, ein sehr großes Gewicht, die hatten eine Mehrheit von mehr als 130 Sitzen. Die konnten viel verlieren, ihre Mehrheit wird vielleicht die Hälfte, was sie im letzten Mandat war, aber das ist immer noch genug, um eine Regierung zu schaffen und eine Regierung, die vier oder fünf Jahre dauern kann.

    Remme: Was glauben Sie, wem ist dieser Wahlsieg zu verdanken? Ist es Tony Blair oder ist es nicht doch etwa der Schatzkanzler Gordon Brown, der da die Ernte eingefahren hat?

    Watson: Ich glaube, das geht nicht auf eine bestimmte Person zurück. Es stimmt, dass Blair etwas unbeliebt wird, wegen seiner Rolle bei der Invasion in Irak und das Gordon Brown irgendwie den Kredit genommen hat für eine Wirtschaft, die ziemlich gut gelaufen ist. Aber ich glaube, das ist ein Team-Erfolg gewesen. Also das heißt, dass die ganze Labour-Partei und ihrer gesamten Mannschaft, dass es ihr gelungen ist, eine erfolgreiche Regierung zu stellen.

    Remme: Die Liberaldemokraten haben zugelegt in Westminster vor allen Dingen haben - auch wenn man sich die Anzahl der Sitze betrachtet - die Konservativen zugelegt. Heißt das, dass die Opposition jetzt wieder eine ernst zu nehmende Kraft in London wird?

    Watson: Nein, ich finde, was hier sehr interessant ist, dass wir so zum ersten Mal wirklich ein Drei-Parteien-System haben. Und dass es den Konservativen nicht gelungen ist, nicht nur eine Regierung zu schaffen, aber eine große Opposition zu stellen, ist für die konservative Partei eigentlich sehr, sehr schlecht. Man könnte auch vom Tod der konservativen Partei sprechen. Weil es ist auch nicht glaubhaft im Moment zu denken, dass Michael Howard, ihr Führer, nach drei oder vier Jahren eine alternative Regierung bieten könnte. Die haben sehr, sehr große innere Probleme.

    Remme: Ihre Sache, Herr Watson, ist die Europa-Politik, ich sagte, Sie sind Fraktionsvorsitzender der Liberalen dort. Müssen wir uns in den nächsten Jahren, oder können, dürfen wir uns auf eine veränderte Europa-Politik der britischen Regierung einstellen?

    Watson: Ich glaube nicht. Und eigentlich, das große Gespenst dieser Wahlkampagne ist die totale Abwesenheit einer Europa-Diskussion. Keine Partei hat es gewollt, über Europa-Politik zu sprechen. Man sieht keine Änderung und Blair hat eigentlich zugegeben, dass es unwahrscheinlich ist, dass in seinem neuen Mandat Großbritannien dem Euro beitritt. Also das heißt, immer wie früher etwas zurückhaltend, keine sehr große Führerschaft in der Europäischen Union. Schade, weil es in der zweiten Hälfte diesen Jahres eine britische Präsidentschaft der Union gibt und man hat die Möglichkeit, auch etwas damit zu tun. Ich glaube, es wird aber keine große Änderung geben.

    Remme: Nun hat Tony Blair gesagt, für eine vierte Amtszeit steht er nicht zur Verfügung. Und alles wartet nun offenbar darauf, dass irgendwann der Stabwechsel erfolgt von Tony Blair zu Gordon Brown. Keiner weiß, wann das geschehen wird, aber sollte dies geschehen: Müssen wir uns dann auf eine veränderte Politik unter Gordon Brown einstellen?

    Watson: Tony Blair hat in sehr kluger Weise die Frage seiner eigenen Persönlichkeit und seiner Rolle im Irak-Krieg neutralisiert, als er gesagt hat, er wird nicht noch mal als Premierminister kandidieren. Er wird wahrscheinlich mindestens drei Jahre noch als Premierminister tun, und dann wird es eine Abstimmung geben innerhalb der Labour-Partei über seinen Nachfolger. Das könnte Gordon Brown sein und alle glauben, das wird Gordon Brown sein, aber es könnten auch andere Leute da kommen. Ich finde, dass interessant ist, über Figuren in unserer Politikgeschichte wie Gordon Brown, wie oft es der Fall wird, dass die das nicht schaffen, und vielleicht könnte das Jack Straw oder jemand anderes sein.