Freitag, 19. April 2024

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Tod des Holocaust-Überlebenden Marko Feingold
Kampf für die historische Wahrheit

Zeitlebens sprach der Holocaust-Überlebende Marko Max Feingold darüber, dass ein Teil der inhaftierten Kommunisten im KZ Buchenwald mit den Nazis kollaborierte. Das passte nicht ins Bild, das die DDR vom kommunistischen Widerstand zeichnete. Nun ist Feingold im Alter von 106 Jahren gestorben.

Von Sabine Adler | 21.09.2019
Der 102-jährige Max Feingold vor der Synagoge Salzburg.
Marko Max Feingold wusste, dass die Trennlinie zwischen Tätern und Opfern nicht immer klar zu ziehen war (Deutschlandradio / Sabine Adler)
Als über Hundertjähriger hatte Marko Max Feingold nicht mehr viele Pflichttermine, doch der 11. April war immer ein Muss, an diesem Tag wurde das Konzentrationslager Buchenwald befreit. Zum 70. Jahrestag, da war Feingold 102 Jahre alt, fuhr er wieder nach Weimar. Neben dem Glockenturm von Buchenwald hielt der Ex-Häftling Marko Max Feingold seine Rede, frei, ohne Blatt, ohne Stock. Sichtbar aufgewühlt.
"70 Jahre habe ich gelitten unter der Lüge, die Häftlinge von Buchenwald hätten sich selbst befreit. Es ist kein Schuss geschehen. Das wäre ja auch nicht möglich. Auf wen hätten wir schießen sollen? Ab vormittags um halb elf gab es ja gar keine SS mehr hier. Weder auf den Türmen, noch im Lager."
Kein Kommunist zu sein, war lebensbedrohlich
Fast 75 Jahre, sein ganzes Leben bis zum Schluss, kämpfte er kämpfte für die Wahrheit. Bis 1938 war Marko Feingold sein Judentum wenig bewusst. In Buchenwald war er nur noch Jude, Häftling, eine Nummer. Noch wichtiger aber wurde, was er nicht war: Kommunist. Die fehlende Gesinnung erwies sich als lebensbedrohlich.
"Wenn einer die Macht hatte, spielten die Kommunisten sie aus, wurden die Kommunisten vorgezogen. Und kein Feingold. Feingold war überhaupt ein Dorn im Auge. Auch auf dem Block. Man hat mich dargestellt, als ob ich vorher ein Großunternehmer, ein Industrieller gewesen wäre. Wer einmal ein Krösus war, ist jetzt ein Niemand."
Arbeitslos und gerade mal 20 hatte er seine Heimatstadt Wien verlassen und sich als Vertreter in Italien durchgeschlagen, anfangs mühsam. Später lief das Geschäft wie geschmiert, als er in Hotels und an Hausfrauen Bohnerwachs verkaufte. Ein Glücksgriff. "Mit einer Spritze aufgetragen: ein wundervoller Glanz. Mit dem sind wir reich geworden."
Den fetten acht Jahren folgten sieben entsetzliche, die meisten verbrachte er in Buchenwald. Dort traf er den Schriftsteller Bruno Apitz. Was der später in seinem Buch "Nackt unter Wölfen" schrieb, hat Marko Feingold so nicht erlebt. Kaum etwas in dem gefeierten Heldenepos entsprach der Realität, sagt auch Ines Geipel, die in ihrem Buch "Gesperrte Ablage" Apitz porträtierte.
"Verschwiegen wird das systematische Töten durch die Kommunisten im Lager durch Phenolspritzen oder durch Luftspritzen oder Spritzen mit Erreger-Bakterien." Auch der Wiener Jude Marko Feingold ist diesem sogenannten Abspritzen begegnet.
Kommunisten kollaborierten mit SS-Leuten in Buchenwald
"Ich erinnere mich an drei Häftlinge, drei Juden, die Maurer geworden sind und irgendwann vorzeitig Schluss gemacht haben. Und ein SS-Mann kommt herein und schreibt alle drei auf. Der Scharführer Spät war das. Der besteht darauf, dass man die drei abspritzt." Einer dieser Täter hieß Helmut Thiemann. In einem internen Bericht für die Partei schrieb Helmut Thiemann nach Kriegsende:
"Im Lager hatten wir eine Zeit lang circa tausend freiwillige Wlassow-Leute. Die russischen Genossen verlangten von uns die Beseitigung derselben. Wir konnten ungefähr 176 Mann vernichten."
176 Menschen, getötet von Kommunisten, so das Geständnis. Die Dunkelziffer in Buchenwald und anderen Lagern dürfte weit höher sein. Unter den Kommunisten in Buchenwald befanden sich demnach Mörder.
"Wir sprechen über ein Konzentrationslager. Undwenn es die Möglichkeit gegeben hat zu überleben, dann wird man das natürlich versucht haben. Insofern war die Lager-Organisation der Kommunisten unwahrscheinlich effektiv. Wenn man weiß, es gibt 56.000 Tote und 72 davon waren Kommunisten."
Die SED und ihre DDR-Heldenerzählungen
Ohne wirkliche Aufarbeitung wurden in der DDR Mitläufer und Täter in Massenverfahren verurteilt, ohne die individuelle Schuld genau nachzuweisen, erklärt der Historiker Rüdiger Bergien.
"Das waren Schnellprozesse, wo im stalinistischen Stil, ohne weitergehende Zeugenvernehmungen, erpressten Geständnissen verurteilt wurde. Also man evaluierte nicht genau, inwiefern war die Person Mitglied eines Erschießungskommandos oder hat verbrecherische Befehle gegeben.
An der Heldenerzählung von den kommunistischen Widerstandskämpfern hielt die SED bis zum Schluss fest, zum großen Ärger von Marko Max Feingold, der es anders erlebt hatte, der wusste, dass die Trennlinie zwischen Tätern und Opfern nicht immer klar zu ziehen war. Über 70 Jahre sprach er mutig immer wieder aus, dass der Gründungsmythos der DDR auf Lügen gebaut war. Mit 106 Jahren ist er nun in Salzburg gestorben.