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Tod vor Italiens Küste

Seit das Flüchtlingslager auf der italienischen Insel Lampedusa geschlossen wurde, suchen die "Boat People" alternative Wege übers Meer - oft noch längere und gefährlichere. Ende Juni kamen in einer einzigen Nacht 55 Menschen vor der Küste Italiens ums Leben.

Von Karl Hoffmann | 19.07.2012
    Drei Tage lag der junge Mann im Koma im Krankenhaus der tunesischen Stadt Zarzis, dann wachte er auf und erzählte in gebrochenem Englisch seine nahezu unglaubliche Geschichte:

    "Ich weiß es nicht mehr genau, ob wir am 25. oder 26. Juni in See stachen, aber ich glaube, das muss jetzt wohl gut zwei Wochen her sein."

    Sein Name sei Abbas Saton, er komme aus Eritrea. Er wollte fliehen, von Libyen nach Italien, mit dem Schlauchboot. Und nicht alleine:

    "Wir waren 56 Personen auf dem Boot, 22 aus Somalia, 34 aus Eritrea."

    Abbas Saton erinnert sich noch genau. Am Anfang verlief alles glatt, 26 Stunden lang fuhren sie langsam in Richtung Italien. In der folgenden Nacht hatten sie die Küste fast erreicht.

    "Ich sah ein paar Lichter gar nicht weit weg, aber sehr kleine Lichter, verstehen Sie?"

    Doch die Passagiere erreichten die Küste dennoch nicht:

    "Ein Teil des Schlauchbootes verlor immer mehr Luft, dann blieb auch noch der Motor stehen. Also setzten sich alle auf die eine Seite, in der noch Luft war. Da kippte das Boot und alle fielen ins Wasser. Meine Hand verhedderte sich an einem Strick und so ging ich nicht unter."

    Abbas ist der einzige Überlebende, alle anderen 55 Passagiere des Schlauchbootes starben, das muss seiner Rechnung nach in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni gewesen sein. Fast zur gleichen Zeit nahm die italienische Küstenwacht 60 Seemeilen südlich von Sizilien 51 Menschen von einem Schlauchboot auf, das ebenfalls unterzugehen drohte. In der vergangenen Woche schließlich konnten sich 61 Menschen mit letzter Kraft in Sizilien an Land retten. Und in Reggio di Kalabria fand die Polizei gar ein Segelboot, das in der Nacht auf Klippen aufgelaufen war. Es kam nicht, wie üblich aus Libyen, sondern aus Syrien und hatte 25 Menschen an Bord, darunter zwölf Frauen, eine von ihnen weit über 80 Jahre alt, sowie vier Kinder. Der römische Senator Stefano Pedica fordert die Regierung zum Handeln auf, bislang allerdings erfolglos und ohne konkrete Forderungen:

    "Wir müssen uns überlegen, warum diese Menschen zu uns fliehen. Warum sie in ihren Heimatländern nicht bleiben können. Darüber muss man mal nachdenken."

    Doch das Thema ist für die krisengeschüttelten Italiener ein rotes Tuch, meint der für Immigration und Entwicklungshilfe zuständige Minister Andrea Riccardi:

    "Die Italiener fühlen sich alleine gelassen in der Krise, das ist das Hauptproblem. In dieser Situation wachsen die Ängste vor Ausländern. Und damit auch Wut und Aggressionen gegenüber den Immigranten."

    Verzweifelt und alleine fühlte sich auch Abbas Saton, als er auf dem gekenterten Schlauchboot übers Meer trieb.

    "Ich sah einige Schiffe vorbeifahren, aber sie haben mich nicht bemerkt, obwohl ich gerufen und gewunken habe."

    Irgendwann verlor er das Bewusstsein. Zwei Wochen lang hatte er so auf dem Meer getrieben. Sein Krankenhausbett im tunesischen Zarzis wird der schmächtige Mann um die 30 es bald verlassen können. Ob er die Überfahrt noch einmal wagen wird, hat er nicht verraten.