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"Todesstrafe gegen Öcalan wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit verhängt"

Gerner: Am Telefon begrüße ich Cem Özedmir, innenpolitischer Sprecher der Bündnis-Grünen. Schönen guten Morgen!

    Özdemir: Guten Morgen!

    Gerner: Herr Özdemir, Schauprozeß oder könnte sich etwas ändern angesichts der Ausgangslage, wenn die neue türkische Regierung erreichen sollte, daß der einzige Militärrichter im Staatssicherheitsgericht entfernt würde?

    Özdemir: Die türkische Regierung hat es jetzt in der Hand zu beweisen, ob es hier um Rechtstaatlichkeit geht oder ob es hier um Rache geht. Wir kennen die Bilder nach der Festnahme von Öcalan. Sicherlich hat man hier versucht, daraus ein bißchen innenpolitisches Kapital zu schlagen. Ich glaube aber, daß man langfristig damit Schaden anrichtet: Schaden im Land, was die Situation zwischen Türken und Kurden angeht, Schaden aber auch im Ausland, was das Ansehen der Türkei angeht. Jetzt hat die neue Regierung es in der Hand zu zeigen, daß sie tatsächlich gewillt ist, ein rechtstaatliches Verfahren hinzukriegen.

    Gerner: Rechnen Sie mit dem Todesurteil?

    Özdemir: Wenn man die türkischen Gesetze kennt, wenn man weiß, daß der Stellvertreter von Öcalan und sein Bruder die Todesstrafe vom Gericht bekommen haben, dann ist relativ klar, daß es gar nicht anders gehen kann. Die Todesstrafe wird vom Gericht mit sehr großer Wahrscheinlichkeit verhängt werden. Die Frage ist, was macht das Parlament und was macht der Staatspräsident. Das Parlament muß ja die Todesstrafe erst noch bestätigen. Seit 1984 wurde keine Todesstrafe mehr vom Parlament bestätigt.

    Gerner: Otto Schily hat gesagt, wenn Todesurteil, dann darf es eben nicht vollstreckt werden. Ist das die Mindestforderung, um der Türkei noch die Türo zur Europäischen Union aufzuhalten?

    Özdemir: Man muß ja wissen, daß Ministerpräsident Ecevit im Wahlkampf versprochen hat, die Todesstrafe abzuschaffen. Ich denke, diese Forderung muß sich auf Öcalan erstrecken. Man kann nicht die Todesstrafe für gewöhnliche Verbrechen abschaffen und bei Menschen, die Terror-Verbrechen begangen haben, die Todesstrafe verhängen. Es ist, glaube ich, auch eine wichtige Präfung auf dem Weg der Türkei in Richtung Europäische Union. Die Türkei muß jetzt diese schwierige Präfung bestehen. Ich denke, wenn die Türkei das tatsächlich schafft, hier dieser Versuchung einer Rache zu widerstehen, dann hat sie einen wichtigen Schritt gemacht auf dem Weg Richtung Europäische Union.

    Gerner: Herr Özdemir, wie werden sich Ihrer Ansicht nach die PKK-nahen Kurden in der Bundesrepublik verhalten, wenn sich abzeichnet, daß es auf ein Todesurteil hinausläuft?

    Özdemir: Das kann man zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen, aber es ist natürlich klar, daß die PKK-Anhänger mit Sicherheit das nicht bejubeln werden, sondern man kann davon ausgehen, daß es zu Problemen kommen wird, daß möglicherweise auch unkontrollierte Reaktionen erfolgen, die die Zentrale nicht mehr im Griff hat.

    Gerner: Rechnen Sie mit Straßenschlachten wie im Februar?

    Özdemir: Man kann es zumindest nicht ausschließen. Man sollte es jetzt auch nicht herbeireden. Ich warne ein bißchen davor, daß wir jetzt schon all die Dinge herbeireden, aber man ist sicherlich klug beraten - und unsere Polizei macht es -, sich rechtzeitig auf alles einzustellen.

    Gerner: Das heißt, die Sicherheitsmaßnahmen, die für heute getroffen worden sind, halten Sie für gerechtfertigt?

    Özdemir: Absolut. Man muß das mit Sicherheit machen. Ich denke, daß man aus den Erfahrungen der vergangenen Tage und Wochen gelernt hat. Von daher wird man alle Vorsichtsmaßnahmen treffen, die getroffen werden müssen.

    Gerner: Ein anderes Thema, nicht minder wichtig, Herr Özdemir. Am Freitag ist ein sudanesischer Asylbewerber bei der Abschiebung zu Tode gekommen. Innenminister Otto Schily hat verfügt, daß bis auf weiteres alle Abschiebungen per Flugzeug, bei denen, so Schily, mit Widerstand zu rechnen ist, ausgesetzt werden sollen. Billigen Sie dies?

    Özdemir: Diese Maßnahme war überfällig. Jetzt muß eine lückenlose Aufklärung her. So etwas darf sich nicht wiederholen.

    Gerner: Besteht aber nicht die Gefahr, daß Abschiebehäftlinge, um dieses Wort einmal zu gebrauchen, damit zu gewaltsamem Widerstand ermuntert werden?

    Özdemir: Das Risiko, daß auch nur ein einziger Mensch stirbt, ist zu hoch, als daß man jetzt eine solche Diskussion führen sollte. Jetzt muß erst einmal dieser Fall aufgeklärt werden. Ich möchte eine lückenlose Information darüber, was passiert ist, wie es passiert ist, und ich erinnere daran, daß es nicht zum erstenmal passiert, daß jemand gestorben ist bei dem Transport. Solche Fälle darf es nie wieder geben.

    Gerner: Nur Fälle der Abschiebung per Flugzeug soll man aussetzen, oder sind Sie dafür, alle Asylverfahren zu überprüfen?

    Özdemir: Überall dort, wo es zu Todesfällen gekommen ist, wo es zu Verletzungen gekommen ist, muß jetzt ein Untersuchungsbericht her. Dann bin ich gespannt auf die Resultate, und dann wird man Konsequenzen daraus ziehen müssen. Ich denke, daß bei diesen Untersuchungen auch Organisationen, die sich damit beschäftigen, etwa Proasyl, hinzugezogen werden müssen. Ich möchte eine Aufklärung, die tatsächlich ohne Ansehen der Person alles berücksichtigt, was hier in den letzten Jahren angefallen ist, damit wir auf dieser Grundlage entscheiden können.

    Gerner: Der zu Tode gekommene Sudanese war an Händen und Füßen gefesselt, der Mund mit einem Klebeband verschlossen, und er hat einen Helm auf dem Kopf gehabt, der wohl mit dazu beigetragen hat, daß es zu dem Unglück kam. Muß dies nicht ein neues Nachdenken über die Verhältnismäßigkeit der Mittel einleiten, und was denken Sie überhaupt, wenn Sie diese Beschreibung hören, diese Bilder sehen?

    Özdemir: Es läuft einem kalt den Rücken herunter, wenn man dieses hört, und vor allem wie es nicht festgestellt werden konnte, daß er gestorben ist. Wie gesagt, ich erinnere daran, daß das nicht zum erstenmal passiert. Hier ist offensichtlich im Rahmen dieser Asyldebatte mittlerweile ein Klima entstanden, wo sich auch die Parteien, die damals am Zustandekommen dieser Asyldebatte beteiligt waren, fragen müssen, was sie dazu beigetragen haben, was mittlerweile dazu führt, daß das Leben von Asylbewerbern offensichtlich etwas ist, was nicht mehr ganz so geachtet wird. Wie gesagt, deshalb muß auf jeden Fall hier eine lückenlose Aufklärung her. Der Verdacht, daß Asylbewerber offensichtlich auf eine Weise behandelt werden, die völlig unangemessen ist, dieser Verdacht muß so schnell wie möglich ausgeräumt werden.

    Gerner: Cem Özdemir war das, der innenpolitische Sprecher der Bündnis-Grünen im Bundestag. Wir haben dieses Gespräch kurz vor der Sendung aufgezeichnet.