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Todesstrafe in Belarus
Verdacht auf Willkürurteile

Europaweit ist Belarus der letzte Staat, in dem Menschen bei schwerwiegenden Vergehen hingerichtet werden - erst im vergangenen Juni wieder. Menschenrechtler werfen der Justiz vor, dass die Urteile willkürlich gefällt und die Hinrichtungen im Geheimen stattfinden.

Von Thielko Grieß |
Staatschef Alexander Lukaschenko hält an der Todesstrafe fest. Zwar hat er das Recht zur Begnadigung, aber dieses hat er in seiner Regierungszeit von nun 25 Jahren nur einmal verwendet.
Staatschef Alexander Lukaschenko hält an der Todesstrafe fest. Zwar hat er das Recht zur Begnadigung, aber dieses hat er in seiner Regierungszeit von nun 25 Jahren nur einmal verwendet. (imago/ITAR-TASS/Mikhail Metzel)
März 2012: Wladislaw Kowaljow und Dmitri Konowalow werden in Belarus hingerichtet. Die beiden 26-Jährigen werden unter anderem für einen Bombenanschlag verantwortlich gemacht, der im Jahr zuvor in einer U-Bahn-Station in Minsk 15 Menschen tötete. Wladislaw Kowaljow soll Beihilfe geleistet haben. Seine Mutter, Ljubow Kowaljowa, beweint ihren Sohn:
"Ich bewahre ständig die Erinnerung an ihn. Er ist immer bei mir, in meinem Herzen, in meinen Gedanken. Leider habe ich keine andere Möglichkeit, weil wir keine Grabstätte haben. Der Staatsapparat gibt die Hingerichteten ihren Verwandten nicht heraus. Deshalb bleibt nur das Gedächtnis in den Gedanken, nur im Herzen."
Belarus steht im Verdacht, willkürlich Urteile zu fällen
Der Prozess wurde von Menschenrechtlern als unfair bewertet. Die Gefangenen waren wohl gefoltert worden. Die nicht unabhängige Justiz des Landes steht immer wieder im Ruch, Willkürurteile zu fällen.
In einer Kurve der Straße Wolodarskowo, einer ruhigen Wohn- und Geschäftsstraße im Zentrum der belarussischen Hauptstadt Minsk, befindet sich die Haftanstalt, in der zum Tode Verurteilte ihre letzten Monate verbringen. Das Gebäude, das einer Festung gleicht, ist von hohen Mauern, Kameras und Zäunen umgeben. Es ist fast 200 Jahre alt und wurde bereits als Gefängnis gebaut. Die Hinrichtungen allerdings finden an einem geheimen Ort statt, berichtet Andrej Poluda von der Menschenrechtsorganisation Viasna, zu Deutsch: Frühling. Andrej Poluda sagt: Die Praktiken reichten zurück in die Zeit der Sowjetunion.
"Noch immer geben sie den Leichnam nicht heraus"
"Noch immer geben sie den Leichnam nicht heraus. Die Hinrichtung verläuft so: Der Verurteilte kniet und wird dann mit einem Genickschuss getötet. Dann wird der Leichnam weggebracht, der Ort wird nicht genannt. Wir sehen das oft, dass Verwandte in der Nähe von Minsk liegende Friedhöfe besuchen und dort nach frischen Gräbern ohne Grabsteine suchen. Sie hoffen, ihre Angehörigen – ihren Sohn, ihren Vater und so weiter – zu finden. Viele Verwandte begraben persönliche Gegenstände des Hingerichteten im Grab eines anderen Angehörigen, um zumindest einen Ort zu haben, wo sie hingehen und beten können."
Die Organisation Viasna zählt etwa 300 vollstreckte Todesurteile seit der Unabhängigkeit von Belarus. Sie können bei 13 Arten von Straftaten verhängt werden.
Vor mehr als 20 Jahren hat das Volk für die Todesstrafe gestimmt
Die bislang letzte Hinrichtung fand im Juni statt, kurz vor Beginn der Europäischen Spiele, einer internationalen Sportveranstaltung in Minsk. Eröffnet hat die Spiele im eigens sanierten Stadion "Dinamo" selbstverständlich der Staatspräsident, Alexander Lukaschenko. Das Image seines Landes ist ihm wichtig. Gibt es Kritik aus dem Ausland an den Hinrichtungen in seinem Land, antwortet er seit Jahren auf ähnliche Weise wie vor Journalisten Ende 2017:
"Da sagen sie oft: 'Todesstrafe, Todesstrafe. Beenden Sie sie, verbieten Sie sie.' Ich erkläre ihnen, dass diese Frage bei uns durch ein Referendum gelöst wurde. Ich respektiere das Volk und kann deshalb dessen Entscheidung nicht aufheben."
Das von Alexander Lukaschenko erwähnte Referendum fand 1996 statt. Damals stimmten 80 Prozent der Wähler für die Beibehaltung der Todesstrafe. Dass dem Alleinherrscher damit nun allerdings die Hände gebunden wären, wie er es behauptet, stimmt nicht. Denn er hat auch das Recht zur Begnadigung: Davon hat er in seiner Regierungszeit nur einmal Gebrauch gemacht.
"Lukaschenko hat von sich die Vorstellung eines Königs"
"Dazu ist es nötig, die Psyche Lukaschenkos zu verstehen", meint Walerij Karbaljewitsch, Politikwissenschaftler in Minsk.
"Alles ist von ihm abhängig. Lukaschenko ist jemand, der von sich die Vorstellung eines Königs oder Fürsten des europäischen Mittelalters hat. Seine Macht soll sich auf Leben und Tod der Untergebenen erstrecken."
Erst Ende Juli meldete die Menschenrechtsorganisation Viasna auf ihrer Interseite, ein Gericht habe einen 50-jährigen Mann wegen zweifachen Mordes zum Tode verurteilt. Damit sitzen zurzeit zwei Menschen in Belarus in Todeszellen. Nach Erfahrungen der Menschenrechtler bleiben sie dort selten länger als ein Jahr.