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Todesurteile im Irak
Französischen IS-Terroristen droht Hinrichtung

Elf Franzosen droht im Irak die Todesstrafe. Paris tritt international gegen die Todesstrafe ein. Angehörige der IS-Mitglieder werfen der Regierung vor, hier untätig zu bleiben.

Jürgen König im Gespräch mit Gerwald Herter | 05.07.2019
Neben das auf eine Wand aufgemalte und durchgestrichene Emblem der Terrororganisation "Islamischer Staat" hat jemand die Worte "Sieg für alle Iraker" geschrieben
"Sieg für alle Iraker" hat jemand neben die durchgestrichene Flagge des sogenannten Islamischen Staates geschrieben. Unter den durch die irakischen Streitkräfte Festgenommenen, sollen auch Franzosen sein. (Getty Images/Martyn Aim)
Gerwald Herter: Diese französische Jihadisten-Familie hatte Glück: Die Türkei übergab sie in dieser Woche an Frankreich. Der Mann und seine beiden Frauen sollen Angehörige des IS sein. Zur Familie gehören auch neun Kinder. Sie alle wurden von Beamten des französischen Geheimdienstes in Empfang genommen. Im Irak hingegen können französische IS-Angehörige höchstens konsularisch, also von Botschaftsangehörigen betreut werden. Elf französische Staatsbürger, die sich dem IS angeschlossen hatten, sind von irakischen Gerichten zum Tode verurteilt worden. Die französische Regierung versucht, ihre Hinrichtungen zwar zu verhindern, doch nun haben sich in Paris Familienangehörige gemeldet, denen diese Anstrengungen nicht genügen. Paris hat also ein Problem, und unser Frankreichkorrespondent Jürgen König weiß mehr darüber. Mit ihm bin ich nun verbunden. Jürgen König, die Regierung in Bagdad hat schon deutlich gemacht, dass auch die irakische Justiz unabhängig ist, dass irakische Gerichte unabhängig entscheiden. Was versprechen sich die Angehörigen der französischen IS-Terroristen nun von ihrem Versuch, Druck aufzubauen?
Jürgen König: Es geht ihnen vor allem darum, die französische Regierung dazu zu bringen, jetzt endlich wirklich aktiv zu werden - zumal angesichts dieser drohenden Todesstrafen, oder schon ausgesprochener Todesstrafen. Frankreich hatte es zunächst ja vollkommen abgelehnt, rückkehrwillige Jihadisten wieder aufzunehmen. Dass es zu einer Sinneswandlung kam, ist nur auf äußeren Druck zurückzuführen, nämlich als die USA ankündigten, ihre Truppen aus Syrien abzuziehen. Da kam in Paris die Sorge auf, französische Häftlinge in Syrien könnten freikommen und dann unerkannt nach Frankreich zurückkehren. Also hat man gesagt, bevor das passiert, nehmen wir diese IS-Kämpfer lieber selber auf und stellen sie hier vor Gericht, und dadurch wiederum wuchs dann bei vielen Angehörigen die große Hoffnung, die Regierung in Paris werde sich nun in großem Umfang um diese ausgereisten IS-Kämpfer kümmern. Doch genau das ist nicht passiert, nur wenige von ihnen wurden bisher tatsächlich auch aufgenommen. Selbst bei Kindern wurden kaum Ausnahmen gemacht.
"Problem jenseits französischer Grenzen lösen"
Herter: Also das ganze Thema ist äußerst heikel, nicht allein für Paris, sondern auch für die deutsche, die niederländische, zum Beispiel auch die britische Regierung. Einerseits geht es ja um Jihadisten, aber andererseits – Sie haben es gesagt - auch um deren Kinder, und es geht um mögliche Hinrichtungen, also Todesstrafen, die in den Ländern des Europarats verboten sind, auch in Frankreich. Können Sie, Jürgen König, derzeit eine klare Linie in der Politik Frankreichs erkennen?
König: Allenfalls die, das ganze Problem möglichst jenseits französischer Grenzen gelöst zu sehen und die, aus dem Thema hier in Frankreich kein großes, womöglich noch öffentlich diskutiertes Thema zu machen. Das heißt, ich glaube, Frankreich will grundsätzlich eher bei dieser, sagen wir mal, zögerlichen, aber eigentlich ablehnenden Haltung bleiben, was allerdings immer schwieriger werden dürfte, weil zum Beispiel die syrischen Kurden, auch die Türkei zunehmend darauf drängen, ausländische IS-Kämpfer abschieben zu können.
"Die Verurteilten müssen nicht nach Frankreich ausgeliefert werden"
Herter: Bemüht sich Frankreich denn überhaupt nicht, französische Jihadisten zurückzuholen? Was sind die Anstrengungen?
König: Ich vermute, es gibt keine großen Anstrengungen. Was es gibt sind etliche Hinweise darauf, dass Frankreich sogar einiges dafür tut, damit französische IS-Kämpfer ausdrücklich im Irak vor Gericht gestellt werden. Die Franzosen, die dort jetzt vor Gericht stehen oder schon verurteilt wurden, die wurden alle Anfang des Jahres in Nordsyrien festgenommen. Das steht unter der Verwaltung der Kurden, die wiederum sind Frankreichs Verbündete, und von dort aus wurden die festgenommen und dann in den Irak gebracht, und man vermutet hier in Paris, sie wurden mit französischer Unterstützung dort hingebracht, damit ihnen der Prozess im Irak gemacht wird. Der Außenminister Frankreichs, Jean-Yves Le Drian, hat mehrfach gesagt, oder sagen wir: zu erkennen gegeben, man sei zwar gegen die Todesstrafe, aber die Prozesse im Irak seien, ich zitiere: "fair und gerecht gewesen". Also ich glaube nicht, dass Frankreich seine Haltung ändern wird, zumal die irakische Justiz auch international anerkannt wird. Die Verurteilten müssen also nicht nach Frankreich ausgeliefert werden, dazumal auch die Taten, die man ihnen vorwirft, im Irak oder in Syrien begangen wurden.
Herter: Allerdings haben Vertreter der französischen Regierung vorgeschlagen, einen internationalen Gerichtshof einzusetzen, der die Verfahren gegen IS-Angehörige übernimmt. Dann wären es also keine irakischen Richter, sondern zumindest zum Teil auch europäische Richter, und Todesstrafen ließen sich da wohl auch verhindern. Kommt dieser Vorschlag aber nicht viel zu spät?
König: So ist es, kommt viel zu spät, und ich glaube auch, man liegt nicht ganz falsch, wenn man sagt, dass Regierungsvertreter Frankreichs diesen Vorschlag auch deshalb gemacht haben oder unterstützt haben, weil auch er das Problem aus der französischen Gegenwart erst mal heraushalten würde, denn bis so ein internationaler Gerichtshof arbeitsfähig wäre, das braucht Jahre, und während dieser Zeit wären die Franzosen das Thema wiederum los.
"Man will Rückkehrer und ihre Angehörige schützen"
Herter: Was geschieht aber nun mit französischen Jihadisten mit diesen Familien, die an Frankreich übergeben werden, wenn sie denn in Frankreich sind?
König: Also was man sicher weiß, ist, dass die Rückkehrer am Flughafen von Geheimdienstmitarbeitern empfangen werden. Viel mehr weiß man nicht. Sie dürften dann verhört werden, in Sicherheitsgewahrsam genommen werden, dann müsste ein Prozess gegen sie vorbereitet werden. Wie gesagt, offizielle Mitteilungen dazu gibt es nicht. Man will vor allem verhindern, dass die Zurückgekehrten da, wo sie radikalisiert wurden in Frankreich, dass sie da also als Helden gefeiert werden, und man will durchaus die Rückkehrer und ihre Angehörigen auch schützen, denn 85 Prozent der Franzosen lehnen – das sagen Umfragen – die Heimkehr französischer Jihad-Kämpfer ab, und da, wo Rückkehrer tatsächlich in der Öffentlichkeit also als ehemalige IS-Kämpfer wahrgenommen werden, da fürchtet man, könnte es zu Tumulten kommen. Auch das will man unbedingt verhindern. Aus alledem ergeht, dass eine richtige Strategie, wie man nun mit diesem Problem umgehen soll, gibt es soweit, nach meiner Einschätzung, in Frankreich nicht. Auch deshalb, glaube ich, ist das Bemühen so groß, die Kämpfer am besten – und das ist die Generallinie – gar nicht erst nach Frankreich kommen zu lassen.
Herter: Und das Problem zu exportieren.
König: Genau.
Herter: Vielen Dank Jürgen König nach Paris für Ihre Einordnung und Ihre Informationen.