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"Töten bleibt verboten"

Der geschäftsführende Vorstand der Deutschen Hospiz-Stiftung, Eugen Brysch, hat davor gewarnt, Sterbehilfe und Sterbebegleitung im deutschen Strafrecht zu verankern. Solche ethischen Fragen könnten nicht im Strafrecht geregelt werden. Sie seien Sache des Zivilrechts.

Moderation: Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Der Deutsche Juristentag hat heute in Stuttgart darüber diskutiert, ob Sterbehilfe und Sterbebegleitung im deutschen Strafrecht verankert werden müssen. Dazu hat der Bonner Rechtswissenschaftler Torsten Verrel ein Gutachten vorgelegt, in dem klare strafrechtliche Regelungen insbesondere für Patientenverfügung, Beihilfe zum Suizid, Leidensminderung und Behandlungsverzicht bei schwerstkranken Menschen gefordert wird. - Am Telefon ist Eugen Brysch von der Deutschen Hospiz-Stiftung. Guten Tag!

    Eugen Brysch: Einen schönen guten Tag nach Köln!

    Heinemann: Herr Brysch, wenn wir anfangen mit der aktiven Sterbehilfe. Der Bonner Rechtswissenschaftler möchte am Verbot der Tötung auf Verlangen grundsätzlich festhalten. Allerdings könne es in Extremfällen Aufgabe der Rechtsprechung sein, die Tötung eines Kranken unter Heranziehung der Grundsätze eines rechtfertigenden Notstandes, wie es heißt, zu erlauben. Wie bewerten Sie diesen Vorschlag?

    Brysch: Ich glaube einhellige Meinung aller Diskutanten des heutigen Tages ist, dass Tötung auf Verlangen weiterhin verboten bleibt. Es geht aber um die entscheidende Frage: Wie kann realisiert werden, dass es nicht nur um Fragen von Tötung auf Verlangen geht, sondern auch um Fragen, wo Sterben zugelassen wird. Und hier gibt es einen grundsätzlichen Disput auch bei den Diskutanten. Wir gehören ja als Deutsche Hospiz-Stiftung zu der Position, dass wir sagen, das Strafrecht ist da eindeutig. Töten bleibt verboten und alles, was zu regeln ist, nämlich die Frage des Anspruchs auf umfassende Versorgung, die Frage, wie Ärzte vorbereitet werden für solche so ethische Fragen, können nicht im Strafrecht geregelt werden, sondern im Zivil- oder Standesrecht.

    Heinemann: Also auch nicht in Extremfällen, so wie das der Vorschlag jetzt vorsieht?

    Brysch: Ich glaube der Herr Verrel verschätzt sich in der Formulierung, dass er das strafrechtlich regeln kann. Ich will Ihnen das an einem Beispiel zeigen. Er redet beispielsweise von unerträglichen Leiden. Die Frage ist: Was ist unerträgliches Leiden? Der eine: Für den ist unerträgliches Leiden, wenn er als 40-Jähriger erfährt, dass er als 80-Jähriger vielleicht dement werden könnte. Für den anderen ist unerträgliches Leiden, dass er Schmerzen hat, die scheinbar nicht kontrolliert werden können. So merken wir auch aus der Praxis: Viele dieser Leiden sind aufnehmbar, wenn es tatsächlich auch einen Rechtsanspruch gibt auf eine umfassende Versorgung. Wir glauben nämlich, dass nicht das Strafrecht die Regelung bietet, sondern nur das Gericht. Gerichte sind in Deutschland ja auch heute schon in der Lage, genau das zu unterscheiden, nämlich die Einzelfallgerechtigkeit zu realisieren. Es ist ein bisschen ein Objektivierbarkeitswahn, einfach neue Kategorien einzuführen und dann zu glauben, die Wirklichkeit passt sich danach an. Schon heute hat der größte Teil der Ärzte die bestehende Kategorie, nämlich Tötung auf Verlangen, die ja schon seit Gründung des BGB Bestandteil dessen ist, zu realisieren. Und anstatt hier Fortbildung zu machen und zu erklären, was ist Tötung auf Verlangen und was ist die Form der Sterbebegleitung, die in Deutschland erlaubt ist, das wird verursacht eben durch eine juristische Diskussion, die seit 20 Jahren mittlerweile ein Kategoriengeklapper ist.

    Heinemann: Herr Brysch, wie ist es mit der passiven und der indirekten Sterbehilfe, also etwa Verzicht auf künstliche Ernährung oder Beatmung? Sollte das im Strafgesetzbuch geregelt werden?

    Brysch: Nein. Das ist Teil eines Behandlungsauftrages. Wir erleben ja, dass selbst bei Patienten, die sich heute äußern können, die dem Arzt sagen: Das will ich nicht, genau über diesen Willen hinweggegangen wird. Wir fangen doch mit der Selbstbestimmung nicht erst im Sterbeprozess an, sondern wir wollen unsere Selbstbestimmung immer regeln. Es gibt ja Ärzte, die eindeutig widersprechen, wenn beispielsweise ein Patient sagt, ich möchte keine Magensonde, weil sie die Befürchtung haben, sie würden sich strafbar machen. Dabei ist das nicht eine Strafrechtskategorie, sondern es geht erst mal um Behandlung und da gibt es die Einwilligung des Patienten. Alles andere wäre nämlich eigentlich strafbar. Nur Sie sehen: Diese praxisrelevanten Fälle, die wir diskutieren, die müssen tatsächlich durch mehr Aufklärung, durch mehr Anwendung der bestehenden Rechtsnorm realisiert werden, anstatt die Flucht zu suchen nach neuen Kategorien, wenn schon die alten nicht begriffen werden.

    Heinemann: Dienen Patientenverfügungen dieser Selbstbestimmung?

    Brysch: Ich glaube was klar sein muss: Patientenverfügungen und die Diskussion darüber lösen nicht das Problem der Sterbehilfe oder beziehungsweise das Recht auf umfassende Versorgung durch Palliation. Patientenverfügung ist ein außerordentlich wichtiges Thema und es kann auch nicht im Strafrecht geregelt werden, sondern im Zivilrecht. Deswegen hat ja auch die Justizministerin gestern eindeutig diesen Tendenzen Einhalt geboten. Und deswegen Zivilrecht, weil es tatsächlich ein Bestandteil ist zwischen dem Vertragsrecht des Arztes und des Patienten. Nur wir haben das Problem, dass in Deutschland in Oberammergau anders Recht gesprochen wird in Fragen der Patientenverfügung als in Hamburg. Das ist ein Skandal. Zurzeit haben wir vier verschiedene Vorschläge im Bundestag, die eigentlich diametral auseinander stehen. Es wird jetzt an der Zeit, dass die Politik Verantwortung übernimmt, um ein Patientenverfügungsgesetz zu realisieren. Jetzt ist handwerkliche Handarbeit gefordert.