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Tolle Idee! – Was wurde daraus?

Medizin. - Gold, Keramik oder Amalgam? Diese Frage beim Zahnarzt sollte nach Meinung von Dresdner Forscher schon bald der Vergangenheit angehören. Denn Im Jahr 2000 schlugen sie vor, Löcher in Zukunft mit synthetischem Zahnschmelz zu remineralisieren.

Von Ralf Krauter | 04.07.2006
    Für deutsche Verhältnisse ist die tolle Idee der Dresdner Max-Planck-Forscher eine Erfolgsgeschichte. Sechs Jahre nachdem die Wissenschaftler im Labor von Professor Rüdiger Kniep erstmals künstlichen Zahnschmelz im Reagenzglas wachsen ließen, gibt es ein marktreifes Produkt: Eine neuartige Zahnpasta gegen schmerzempfindliche Zähne, entwickelt in Kooperation mit dem Chemiekonzern Henkel. Nanitactive, so lautet der Markenname des Wirkstoffs. Er ist das erste Produkt des Forschungsunternehmens Sustech GmbH in Darmstadt. Geschäftsführer Dr. Matthias Schweinsberg zeigt stolz auf eine Vitrine.

    "Auf der linken Seite da sehen wir das Nanitactive Dentalgel. Das war das erste Testprodukt, was wir hatten. Da ist letztlich der Hauptwirkstoff Nanitactive selbst, mit ein paar Hilfsstoffen. Das war die erste Entwicklungsstufe und die erste, die in den klinischen Test ging, um diesen Effekt nachzuweisen. Und das Endprodukt hinterher ist schließlich die komplette Zahnpastaformulierung."

    Seit Anfang 2006 gibt es die Zahncreme zu kaufen. Kariesbedingte Löcher kann sie zwar nicht flicken, wohl aber freiliegende Zahnhälse versiegeln, die bei Hitze und Kälte stechend schmerzen. Der patentierte Wirkstoff enthält eine kollagenartige Stützstruktur und Nanopartikel aus Hydroxylapatit – dem mineralischen Hauptbestandteil von Zahnschmelz und Zahnbein. Wiederholtes Putzen mit der Zahnpasta lässt Calcium- und Phosphat-Ionen aus dem Speichel auf der Zahnoberfläche kristallisieren. Das Ergebnis sind mikrometerdicke Schichten aus Calciumphosphat und Kollagen – ein biologischer Verbundwerkstoff, der praktisch identisch ist mit natürlichem Dentin.

    "Der Vorteil von Nanitactive ist, dass das Problem nachhaltig beseitigt wird. Das Weitere ist: Sie bringen gar keine körperfremden Stoffe ein, weil letztendlich alles, woraus die neue Schicht besteht, körpereigene Materialien sind. Dadurch, dass wir dieses körpereigene Material und diesen Mechanismus haben, haften diese Schichten auch sehr fest an der Oberfläche."

    Eine klinische Studie mit 105 Patienten belegt die Wirksamkeit der Behandlung. Verlässliche Daten, die einen über viele Monate anhaltenden Langzeiteffekt zeigen, gibt es aber noch nicht.

    "Dass es prinzipiell irgendwie funktionieren muss, das war aus den Forschungen, die Professor Kniep gemacht hat, eigentlich schon sehr wahrscheinlich, dass man den Effekt würde erzielen können. Aber würde man den Effekt auch unter Anwendungsbedingungen, zum Beispiel in einer mundkompatiblen Formulierung erzielen? Das sind Sachen, die dann der Feinarbeit bedurft haben."

    Deshalb wurde im Juli 2000 Sustech gegründet, gemeinsam von Henkel, der Technischen Universität Darmstadt und Professor Rüdiger Kniep vom Max-Planck-Institut für Chemische Physik in Dresden. 23 Mitarbeiter und drei Millionen Euro Jahresbudget hat das auf Nanotechnologie spezialisierte Forschungsunternehmen heute. Das neuartige Kooperationsmodell zwischen Industrie und Grundlagenforschern gilt als Vorzeigeprojekt. Man bekam Innovationspreise und Besuch von Ministern in Darmstadt.

    Die Räumlichkeiten sind allerdings weniger spektakulär. Ein betongraues 70er Jahre-Gebäude auf dem Uni-Campus. Sustech residiert hinter einer edlen Milchglastür im ersten Stock. Aber schicke Labors und teures Gerät? Fehlanzeige. Ein Abgesandter des Mehrheitseigners Henkel wacht sicherheitshalber trotzdem darüber, dass Besucher ja nicht zuviel zu sehen und zu hören bekommen - schließlich will man mit den innovativen Materialien, die hier entwickelt werden, Geld verdienen. Der Nanowirkstoff gegen schmerzempfindliche Zähne sei da nur der erste Schritt, sagt Matthias Schweinsberg.

    "Es gibt eine Menge Anwendungen, an denen wir arbeiten. Und wir sind davon überzeugt, dass es durchaus welche darunter gibt, die noch interessanter sind, als die, die wir bisher im Markt haben."

    Dazu zählt nach der erfolgreichen Remineralisierung des Zahnbeins natürlich auch die des Zahnschmelzes - mit dem Fernziel einer Zahnpasta, die Karieslöcher im Schmelz automatisch repariert. Das Bohren beim Zahnarzt wäre dann ein für allemal überflüssig. Doch trotz ähnlicher chemischer Zusammensetzung von Zahnbein und Zahnschmelz: Der Übertrag der Ergebnisse ist knifflig.

    "Da gibt’s doch eine ganze Menge Schwierigkeiten. Der Teufel steckt da eben im Detail."

    Bleibt zu hoffen, dass die Konkurrenz nicht schneller ist. 2005 berichteten japanische Forscher im Fachmagazin Nature, sie hätten eine Paste entwickelt, die natürlichem Zahnschmelz chemisch sehr ähnlich ist und die kleine Löcher durch nanokristallines Wachstum innerhalb von 15 Minuten nahtlos versiegelt. Marktreif ist die Reparaturpaste aber noch nicht.