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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Lebendiges Verhalten atomarer Schalter

Seit 2001 forschen Wissenschaftler in Japan im Bereich der Nanotechnologie für kompakte Speichermedien. Sie gingen auf atomare Dimensionen herunter, um Speicher sehr dicht zu packen. Kürzlich entdeckten sie, wie sich ein zufällig arrangiertes Netzwerk aus atomaren Schaltern verhält, als wäre es lebendig.

Von Frank Grotelüschen | 10.04.2018
    HANDOUT - ILLUSTRATION - Die undatierte Handout-Illustration der europäischen Raumfahrtbehörde ESA (European Space Agency) zeigt eine künstlerische Darstellung eines Galileo-Full-Operational-Capacity-Satelliten (FOC). (ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur bei Nennung: «Illustration: Pierre Carril/ESA/dpa» - zu dpa «Europäische Galileo-Dienste starten» vom 14.12.2016) Foto: Pierre Carril/ESA/dpa |
    Satelliten sind kosmischer Strahlung ausgesetzt. Atom-Schalter funktionieren auch unter diesem Einfluss und brauchen zudem sehr wenig Energie. (ESA)
    "Jeder Rechner, ob Smartphone oder Supercomputer, basiert auf elektronischen Schaltern. Fortschritte bei diesen Schaltern führen unmittelbar zu leistungsfähigeren Computern."
    Masakazu Aono ist Direktor am Institut für Materialforschung in der japanischen Wissenschaftsstadt Tsukuba. Er befasst sich mit den absoluten Grundlagen der Computertechnik – jenen winzigen elektronischen Schaltern, von denen es auf einem Computerchip Milliarden gibt und durch deren Schaltprozesse der Rechner überhaupt funktioniert. Schon in den 1990er Jahren hatte Aono eine interessante, damals aber noch verwegen klingende Idee.
    "In einem gewöhnlichen Schalter auf einem Mikroprozessor sind es unzählige Elektronen, die die Schaltprozesse übernehmen. Dagegen könnten bei einem Schalter, der mit Atomen funktioniert, ein paar wenige Atome reichen. Diese Schalter wären dann viel kleiner und würden weniger Strom brauchen."
    Schalter, der mit Atomen funktioniert
    Aonos Team machte sich an die Arbeit und präsentierte 2001 einen ersten Prototyp. Und der sorgte in der Fachwelt für Aufsehen.
    "Das war eines der großen Ereignisse, die dazu geführt haben, dass sich sehr viele Gruppen auf dieses Forschungsthema gestürzt haben. Das hat den gesamten Bereich sehr beflügelt."
    Erinnert sich Rainer Waser, Physiker am Peter-Grünberg-Institut des Forschungszentrums Jülich. Vereinfacht gesagt funktionierte der Prototyp ähnlich wie eine winzige, nanometergroße Batterie.
    "Dieser Prototyp bestand aus einem gitterartigen Aufbau von Elektroden, die eine Silbersulfid-Schicht eingebettet haben."
    Japaner verbesserten Leistungsfähigkeit und Stabilität
    Legte man eine Spannung an, wanderten ein paar geladene Silberatome zu zwei Elektroden, lagerten sich an diese an und verbanden sie miteinander. Dadurch war der Kontakt geschlossen, der Schalter stand auf "Ein".
    "Und durch eine umgekehrte Spannungspolarität konnte man das Ganze wieder öffnen."
    Polte man die Spannung um, wanderten die Silberatome wieder zurück, der Schalter stand wieder auf "Aus". Die Japaner entwickelten das Bauteil weiter, verbesserten Leistungsfähigkeit und Stabilität - und taten sich schließlich mit dem Elektronikkonzern NEC zusammen, um das Konzept zur Marktreife zu bringen. Wobei es - wie so oft bei neuen Technologien - zunächst um Nischenmärkte geht, sagt Masakazu Aono.
    "Roboter besitzen Elektromotoren, die zum Teil starke elektromagnetische Felder erzeugen. Und Satelliten sind im Weltall der kosmischen Strahlung ausgesetzt. Gewöhnliche Transistoren reagieren ziemlich empfindlich auf solche Störeinflüsse. Dagegen funktioniert unser Atom-Schalter selbst in starken elektromagnetischen Feldern und unter dem Einfluss der kosmischen Strahlung."
    Technik-Test im Weltraum noch in diesem Jahr
    Der Grund: Bildlich gesprochen sind Atome deutlich schwerer als Elektronen und lassen sich beim Schalten durch Störungen weniger leicht aus dem Tritt bringen. Prototypen von Industrierobotern mit eingebauten Atom-Schaltern gibt es mittlerweile, sagt Aono. Bald sollen die ersten Modelle auf den Markt kommen. Und gemeinsam mit der japanischen Raumfahrtagentur JAXA hat NEC einen Mikrochip für die Elektronik von Satelliten entwickelt.
    Noch in diesem Jahr soll ein Satellit starten, um die Technik im Weltraum zu erproben. Und: Schalter, die auf einem ähnlichen Prinzip basieren, werden heute in sogenannten Mikrocontrollern eingesetzt. Das sind Bauteile, die Speicher und Prozessor auf einem Chip vereinen. Insbesondere für die Speichertechnik verspricht das Konzept einiges, sagt Rainer Waser:
    "Der deutliche Vorteil ist die Tatsache, dass man viel energieärmer schreiben kann. Und dass wir sie viel kleiner machen können. Wir können im Prinzip auf atomare Dimensionen heruntergehen, um die Speicher sehr, sehr dicht zu packen."
    Winzige Atom-Schalter als synthetische Synapsen
    Eine mögliche Konkurrenz zu jenen Flash-Speichern also, die heute in Massen in Speicherkarten, USB-Sticks und Notebooks zu finden sind. Doch gerade die Zuverlässigkeit muss noch gesteigert werden, bevor man an den Einsatz in der Speichertechnik denken kann. Und da wäre noch ein ganz anderes Zukunftsfeld für den Schalter, der mit einzelnen Atomen funktioniert, erzählt Masakazu Aono.
    "Vor einiger Zeit haben wir entdeckt, dass sich ein zufällig arrangiertes Netzwerk aus diesen Schaltern verhält als wäre es lebendig. Und deshalb denken wir, dass sich daraus ein neuartiges Computersystem für die Künstliche Intelligenz entwickeln lässt."
    Eine Art künstliches Gehirn also, bei dem die winzigen Atom-Schalter aus Japan als synthetische Synapsen agieren sollen. Bis daraus allerdings ein Produkt werden könnte, dürfte noch einiges an Laborarbeit zu tun sein.