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Tom Schulz: "Lichtveränderung"
Gedichte, die im Weg stehen

"Lichtveränderung" heißt der neue Gedichtband von Tom Schulz. Und diese Veränderungen findet er nahezu überall, in politischen Verwerfungen und fragilen persönlichen Beziehungen. Eine gewisse Weitschweifigkeit ist in seinen Texten zwar manchmal nicht zu übersehen, in Erinnerung bleiben aber vor allem wunderbar gearbeitete Verse.

Von Michael Opitz | 08.12.2015
    Ein Raum, der im Licht erstrahlt, kann als eine Art poetischer Vorhof angesehen werden. Wenn aber das im Lichtspiel Sichtbare Eingang in ein Gedicht finden soll, braucht es jemanden, der sich dem zuwendet und in Sprache übersetzt, was sich im Lichtspiel zeigt. Der 1970 in der Oberlausitz geborene Tom Schulz schenkt in seinem neuen Lyrikband "Lichtveränderung" nicht nur dem Strahlenden und Leuchtenden seine Aufmerksamkeit, sondern er registriert auch, was im Halbdunkel liegt: Jene Erscheinungen, über die sich der Schatten des Vergessens zu legen beginnt. Neben den Lichtverhältnissen interessiert sich Tom Schulz auch für Lichtintensitäten. So erscheinen politische Verwerfungen im grellen Licht, während er die Lichtquelle, mit der er die fragilen Beziehungen zwischen dem Ich und dem Du ausleuchtet, deutlich wärmer strahlen lässt.
    "ich imaginiere, wie deine Fingerspitzen
    einen Garten bewirtschaften
    der mich verwüsten wird, wenn das Licht
    in einem Dopplereffekt gleichermaßen zu
    und abnimmt"
    In den überzeugenden Gedichten des Bandes gelingt es Tom Schulz, alle erdenklichen Register seiner imaginären Lichtorgel zu ziehen und ihr schönste Töne zu entlocken. Neben streng gearbeiteten Gedichten in Strophenform finden sich in dem Band Prosagedichte, die in freier Versform verfasst wurden, und die sich durch eine eigene Sprachmelodie auszeichnen. Das Spektrum der Themen, denen sich Tom Schulz zuwendet, ist vielfältig. Von Buckelwalen und Schneeleoparden ist ebenso die Rede wie von der Kuckucksuhr, dem Huflattich und dem "Innern des Leierkastens".
    "Als Deutscher bestehe ich auf Klopstock", heißt es in "Kap der guten Holzbank". Vom Gedicht erwartet Tom Schulz, dass es sich quer stellt. Es soll wie eine Barrikade im Weg stehen und den Durchgang versperren. Im Gedicht "Tag der Arbeit" stimmt das lyrische Ich einen Abgesang auf die Revolutionen an, die nichts gebracht haben außer Lokomotiven, Tränen, Schande und Leichenberge. Kritisch wird aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts der Marx'sche Gedanke von den Revolutionen als den Lokomotiven der Weltgeschichte hinterfragt. Die Revolutionsidee wird gegenwärtig von keinem verheißenden Leuchten illuminiert – welthistorisch Umwerfendes zeigt sich momentan nicht am Gesellschaftshorizont. Da nimmt es nicht Wunder, wenn das lyrische Ich auf die Idee verfällt, man könne Adorno, Freud und Marx getrost auf dem Müllplatz der Geschichte entsorgen. Aber bereits in der nächsten Gedichtzeile fällt es dem kurz zuvor geäußerten Gedanken selbst in die Parade:
    "was du gelesen hast, Adorno und Freud, das Manifest
    vergiss es noch nicht, vielleicht kommt noch ein Tag
    mit klarem Licht und Bergen hinter den Fenstern
    zu denen wir aufbrechen
    um mit der Faust auf den Tisch zu hauen oder Stuhlbeine
    anzusägen, ist es niemals zu früh oder zu spät"
    Dass etwas mit den Verhältnissen nicht stimmt, kommt besonders in den Gedichten zum Ausdruck, die sich den gesellschaftlichen Wirklichkeitsbelangen zuwenden. So verdankt sich der Blick auf die Sterne im Gedicht "An das Pampasgras" einem "Dachschaden". Der unbegrenzte Sternenhimmel, der oben sichtbar wird, steht im Widerspruch zu dem begrenzten Feld unten. Anders als der Himmel ist der Boden nämlich nicht Gemeineigentum und das "freie Feld für alle" ist weiterhin eine Vision:
    "Das Feld wird ein Feld für alle, die es wollen
    ein Feld für alle, die es bestellen
    ein Feld für alle, die es bewohnen"
    Dieser Gedanke – so heißt es im Gedicht – ist einem "Feld-Buch" eingeschrieben. Die Idee, dass in diesem Buch gelesen werden kann, dass es zugänglich ist, greift Tom Schulz erneut in dem Gedicht "Tage der Arbeit" auf. Die dem Buch eingeschrieben Hoffnungen sind in der Welt, auch wenn sie ihre Unschuld verloren haben:
    "Die Revolution ist das zugeschlagene Buch
    Wer den Daumen befeuchtet, es aufzuschlagen wagt
    Wer gefälschte oder nachgemachte Revolutionen
    In Umlauf bringt, wer nachgemachte oder gefälschte Revolutionen
    Nachmacht ---"
    Früher wurden vermeintliche Geldfälscher mit einem im gleichen Duktus geschriebenen Satz – zu lesen war er auf jedem Geldschein – davor gewarnt, Geldscheine nachzumachen oder gefälschte Banknoten in Umlauf zu bringen. Wer sich daran nicht hielt, nahm in kauf, strafrechtlich verfolgt zu werden. Sollten nicht auch Revolutionen diese Warnung eingeschrieben werden? Die Gedichte "An das Pampasgras" und "Tage der Arbeit" kommunizieren miteinander und belichten sich so gegenseitig. Sehr subtil wird in ihnen auf die Gemeinsamkeiten zwischen Revolutionen und Geld verwiesen. Durch Revolutionen und durch Geld lassen sich die Besitz- und Lebensverhältnisse radikal ändern. Aber keine Revolution kann garantieren, dass die an der Macht bleiben und von ihr profitieren, die sie errungenen haben. Geld hingegen ist da ein ganz anderer Machtgarant.
    Nicht in allen Gedichten geht es so aufrührerisch-revolutionär zu. Tom Schulz interessiert sich auch für das Eichhörnchen. Allerdings geht es diesem emsigen Gesellen im Gedicht "Die Waldameisen" gar nicht gut.
    "vergiss nicht das Eichhörnchen
    zu reanimieren, regnet es
    unter dem Rettungsschirm
    regnet es wenige Meter
    über dem Meer, Geliebte der Buchecker
    ich wohne jetzt im Norden
    wo die Wälder Kieselsteinteppiche sind"
    Die Gedichte von Tom Schulz kommen nicht deklamatorisch daher. Auf ein unbedingtes Wollen verzichten sie ebenso wie auf vordergründige Botschaften. Die Gegenstände, denen sich Schulz zuwendet, erscheinen in keinem gleißenden Licht. Er weiß seine Lichtquellen energiebewusst einzusetzen. In einigen Texten zeigt sich ein gewisser Hang zur Weitschweifigkeit, wobei dann im Wortreichtum verloren geht, was zum Ausdruck gebracht werden soll – "geschrieben habe ich eine leere Seite voll, sie war sehr weiß", heißt es beinahe selbstkritisch in dem Gedicht "About : blank". Wenn Tom Schulz in seinen Gedichten ins Reden kommt, dann klafft eine deutliche Leere auf. In Erinnerung aber bleiben wunderbar gearbeitete Verse, wie die letzte Strophe des Gedichts "An einem Wintertag mit Schneerosen", in der das Werden und das Vergehen als ein Meereswogen beschrieben wird:
    "Das ist beinah alles:
    das Leben, ein oder zwei
    Hebungen über dem Meer"
    Tom Schulz: "Lichtveränderung. Gedichte.", Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag, München 2015, 77 Seiten, 15,90 Euro