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Tomer Gardi: "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück"
Fabulieren als Waffe

Der Schriftsteller Tomer Gardi führt in seinem Roman „Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück“ in einer rasanten Abfolge grotesker Geschichten durch den konfliktreichen israelischen Alltag. Schauplätze der fantastischen Reise sind Amtsstuben, ein Knast und eine Stierkampfarena.

Von Paul Stoop | 20.03.2019
Buchcover: Tomer Gardi: „Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück“
Buchcover: Tomer Gardi: „Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück“ (Buchcover: Literaturverlag Droschl, Foto: imago / Götz Schleser)
Über den Sinn seines Roman-Titels lässt Tomer Gardi seine Leser nicht lange rätseln. Kaldi ist Schriftsteller, und das ist selbst im Buchland Israel ein Problem. Deshalb geht er aufs Amt und beantragt Arbeitslosengeld. Welchen Beruf er denn ausübe, fragt der Beamte. Auf die Antwort des Antragstellers erwidert er, den Beruf des Schriftstellers gebe es doch gar nicht. Kaldi, der genau diesen Beruf ausübt, überrumpelt den Beamten mit einem Deal:
"Ich (...) erzähl Ihnen eine Geschichte. Und wenn Sie die gut finden, sagt er dem Beamten, und schön, und wenn Sie die mögen, dann stempeln Sie meine Karte. Arbeitslosengeld. Eine Art Bezahlung, sagt er. Ist ja Arbeit. Und wenn nicht, dann stempeln Sie eben nicht, sagt er, der arbeitslose Mann, wartet die Antwort nicht ab, fängt einfach an zu erzählen."
Das riskante Versprechen, gegebenenfalls das Geld zurückzuzahlen, treibt den Schriftsteller an, hinein in einen Wirbel von fantastischen Geschichten. Den Beamten spricht er bei den Sitzungen in der Amtsstube als "Großmächtigen König" an – und richtet seinen Blick fasziniert auf dessen Regal mit leeren Whisky-Flaschen, oder auch "die Skyline von Alkoholcity".
Schriftstellerin? Kein Beruf!
Die Sache mit dem Erzähler ist dabei nicht ganz so einfach. Denn die erzählende Person wechselt immer wieder. Der arbeitslose Autor ist ja mit seinem Problem nicht allein. Auch Tolli Grotesky sitzt dem Beamten gegenüber und bekommt zu hören, Schriftstellerin, das sei ja kein Beruf. Und so erzählt auch sie dem Beamten Geschichten, im Tausch gegen den Stempel für die Stütze.
Tomer Gardi springt eigenwillig zwischen Erzählstimmen und Schauplätzen hin und her, und baut Cliffhanger ein, die erst viel später aufgelöst werden. Was im ersten Moment wie Unordnung anmutet, sei nun mal die hohe Kunst, behauptet sein Erzähler keck:
"Es lässt sich leichter schreiben, wenn die Geschichte gut gegliedert ist, mit klar unterscheidbaren Teilen, fester Ordnung und fester Länge. (...) Ein Buch mit klarem Inhalt liest sich bequem, es verwirrt nicht, verwöhnt den Leser vielmehr und verkauft sich deshalb auch besser. Kommerzieller eben."
Von der Amtsbehinderung eines Fisches
Es ist tatsächlich manchmal unbequem, wenn die Geschichten ohne festes System aufeinander folgen, wie durcheinander laufende Folgen mehrerer Soap Operas. Aber Tomer Gardis Stories sind geschickt miteinander verbunden. Ein Geschichten-Strang handelt von Menschen, die nacheinander im Gefängnis landen: Der Palästinenser Abu Adwan wird zu Unrecht verdächtigt, Sabotage an einer Gasleitung in einem Wohnviertel verübt zu haben. Menachem Rokem hat am ersten Tag in der israelischen Armee in sturzbetrunkenem Zustand randaliert. Und die arbeitslose Lea Agunis, die dritte in der Gemeinschaftszelle, hat im Amt mit roher Gewalt versucht, einen Glück bringenden Fisch aus dem Aquarium zu befreien:
"Man beschuldigte sie vor Gericht der Behinderung eines öffentlichen Fisches bei der Ausübung seines Amtes und ebenso der öffentlichen Fischbeleidigung."
Eine andere Geschichte, die in mehrere Folgen aufgeteilt ist, scheint nicht weniger absurd. Es geht um die Zucht von Stieren und um Stierkämpfe – und zwar in Israel. Das klingt einigermaßen irrwitzig, bis bei der eindrücklichen Schilderung des Stierkampfs das Kernthema aller Geschichten erkennbar wird. Es geht um Macht: die Macht des Beamten, die Allmacht von Armee und Polizei und die ausbeuterische Macht des Menschen über das Tier.
In Israel kann niemand fliehen
Aus diesen Verhältnissen gibt es kein Entrinnen. Was das Aquarium für den Fisch ist, die Amtsstube für die Arbeitslosen, die Zelle für die Verhafteten, ist für Tomer Gardi sein Heimatland Israel, wie er seinen Erzähler verzweifelt sagen lässt:
"Hier ist alles so klein. Und eng, und alles ist umzäunt. Jeder kennt jeden. Wir sind nicht in Nevada. Nicht in der Mongolei. Wir haben keine Pampa, wohin sollen sie denn fliehen, großmächtiger König, nach Modiin? Nach Afula? Nach Beit Jann?"
Tomer Gardis Erzähler wissen, wohin sie fliehen können: in den Widerstand, nach Absurdistan. Das Fabulieren ist ihre Waffe. Und diese Waffe geben sie wiederum den Protagonisten ihrer Stories in die Hand.
Wie schon in seinem vorigen Roman "Broken German" erweist sich Tomer Gardi als guter Beobachter des Alltags, mit seinen Missverständnissen, folgenschweren menschlichen Fehlentscheidungen und unvorhergesehenen Wendungen. Ob dieser neue schmale Band wirklich ein Roman ist, steht dahin. Aber spielt das eigentlich eine Rolle?
Hoffnung für eine chaotische Welt
Schriftsteller ist offenbar tatsächlich ein Beruf. Dass Tomer Gardi diesen ausübt, dafür sollten wir Bewohner einer ungeordneten Welt dankbar sein. Sein Schreiben kann ein Hoffnungsschimmer im anstrengenden Alltag sein, zumal in seinem chronisch überspannten Heimatland. Gardis klangvoll von Anne Birkenhauer übersetzter, rhythmischer Stil und sein subversiver Humor helfen, diese Welt auszuhalten, zumindest für einen Moment.
Tomer Gardi: "Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück"
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer
Literaturverlag Droschl, Wien. 160 Seiten, 20 Euro.