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Tonfilm "Anna Christie" vor 90 Jahren
Als Greta Garbo im US-Kino das erste Mal zu hören war

Greta Garbo schaffte den Sprung vom eleganten Stummfilm-Star zur preisgekrönten Schauspielerin im Tonfilm. Für ihre Rolle als Anna Christie im gleichnamigen Drama wurde sie 1930 für einen Oscar nominiert. Der Film war für Garbo auch der Versuch, das Rollenbild der unnahbaren Schönen abzulegen.

Von Christian Berndt | 14.03.2020
    Porträtaufnahme von Greta Garbo als Königin Christine in dem gleichnamigen Film aus dem Jahr 1933
    Greta Garbo wurde in Stockholm geboren und erlangte als Stummfilm-Star in Hollywood Berühmtheit (imago / Prod.DB)
    Eine Piepsstimme oder ein ausländischer Akzent, das bedeutete zu Beginn des Tonfilms für viele Hollywood-Stars das Karriereende. Und nicht wenige erwarteten auch ein Scheitern Greta Garbos. Das Filmstudio Metro-Goldwyn-Meyer, kurz MGM, hatte spät – am 14. März 1930 - den ersten Tonfilm mit seinem größten Star herausgebracht. "Anna Christie" wurde mit dem Slogan "Die Garbo spricht" beworben. Als sie im Film erstmals erscheint, betritt sie wankend eine Bar: "Give me a whiskey, and don’t be stingy, baby."
    Der Leiter des Filmarchivs der Deutschen Kinemathek in Berlin, Martin Koerber:
    "Das finde ich wieder interessant an dem Film, dass er dieses Glamourbild der Garbo aus den großen Stummfilmen sehr stark konterkariert. Sie ist ja hier eine sehr heruntergekommene Prostituierte, der es schlecht geht und die eben jetzt sozusagen ihren letzten Whiskey am Anfang des Films bestellt. Und das ist für die Garbo ein Versuch gewesen, dieses Rollenbild der unnahbaren Schönen, die auf irgendwelchen Diwanen angeschmachtet wird, abzulegen."
    Vom glamourösen Stummfilm-Star zur Leinwand-Prostituierten
    Für die gebürtige Schwedin war der Tonfilm ein Risiko, aber die Kritiken zu "Anna Christie" waren euphorisch. Die dunkle Altstimme der Garbo wirkte natürlich, ebenso wie ihr Akzent, denn sie spielte in Clarence Browns Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von Eugene O’Neill eine schwedische Einwanderin. "Anna Christie" wurde zum erfolgreichsten Film des Jahres, und man drehte deshalb auch eine deutschsprachige Fassung. Hier spielte sie auf Deutsch die Titelfigur abgeklärter und härter als im Original. Die junge Anna kommt nach New York, um ihren Vater - einen Seemann - zu finden. Sie war bei Verwandten aufgewachsen:
    "Als meine Mutter tot war, haben sie mich behandelt wie einen Hund. Und dann die schwedischen Burschen auf der Farm. Eines nachts war ich ganz allein zu Hause, da kam einer von den Söhnen zurück. Seitdem habe ich sie alle gehasst."
    Anna wurde als Jugendliche vergewaltigt, lief weg und arbeitete als Kindermädchen. Und auch von den Arbeitgebern wurde sie missbraucht, bis sie schließlich im Bordell landete. Jetzt sucht sie Zuflucht bei ihrem Vater, und der ist froh über die Gesellschaft. Aber als sich Anna in einen Seemann verliebt, entwickelt sich zwischen ihm und dem Vater ein Konkurrenzkampf um sie:
    "Meine Frau wirst du!" "Anna, du tust das nicht!" "Ihr denkt, ich gehöre einem von euch. Ich bin mein eigener Herr." "So war es doch nicht gemeint." "Quatsch mich nicht an!" "Was sind das für Reden für ein anständiges Mädel?" "Wer sagt euch, dass ich anständig bin?"
    Selbstbestimmt und widerständig
    Anna will sich einer männlichen Doppelmoral, die Frauen je nach Bedarf als Hausfrau oder Hure einteilt, nicht mehr beugen. Die Rolle passte zur Garbo, die sich den Zwängen des von mächtigen Studiobossen beherrschten Hollywood erfolgreich widersetzte.
    Den Erfolg hatte sich die 1905 in Stockholm geborene und in Armut aufgewachsene Greta Gustafson hart erkämpft. Als Verkäuferin wurde sie für Kaufhaus-Werbefilme eingesetzt, ging auf die Schauspielschule und wurde von Regisseur Mauritz Stiller entdeckt, der sie zu MGM brachte. Dort hatte man zunächst keine Verwendung für die großgewachsene, ungelenk wirkende Schauspielerin.
    Das änderte sich, als ein Fotograf raffiniert ausgeleuchtete Fotos von ihr aufnahm. Die Wirkung der Garbo entfaltete sich erst vor der Kamera: Der Hollywood-Stummfilm schuf mit seinen glamourösen Licht-Inszenierungen die Aura für Stars wie die Garbo. Sie verkörperte den zeittypischen Vamp, aber die ungekünstelte Art, mit der sie Empfindungen subtil ausdrückte, wirkte glaubwürdig. Sie avancierte zum bestbezahlten Star und trotzte MGM einzigartige Konditionen ab.
    Als sie in Streik trat, drohte ihr Studioboss Louis B. Mayer mit Ausweisung, aber sie setzte sich durch, musste zum Beispiel keine Interviews und Premierenbesuche mehr absolvieren. Aber die Glamourpose lief sich irgendwann tot:
    "Das 30er-Jahre-Kino, das Kino des New Deal, ist eben eine andere Zeit als diese völlige Traumwelt der 20er-Jahre. Die ist wirklich am Ende des Jahrzehnts ja vorbei mit der Wirtschaftskrise. Da sieht man aber eben auch, dass es nicht nur um den technischen Umbruch vom Ton- zum Stummfilm geht, sondern auch um einen ideologischen Umbruch, dass man handfestere Geschichten erzählen muss."
    So Martin Koerber.
    Filmtechnisch wirkte "Anna Christie" wie abgefilmtes Theater:
    "Zudem kam am Anfang des Tonfilms auch hinzu, dass alle Errungenschaften der Stummfilmzeit, also Montage, freie bewegliche Kamera und so weiter zunächst mal gar nicht mehr möglich schienen, weil man eben vor dem Mikrofon bleiben musste."
    Als dialogreiches Kammerspiel aus dem Proletariermilieu bildete der Film den größtmöglichen Kontrast zu den glanzvoll-bildgewaltigen Stummfilm-Melodramen der Garbo. Ironisch persiflierte sie ihr Vamp-Image:
    "Ich sehe aus, zum Kotzen! Ich muss noch einen trinken."

    Die Garbo blieb in den 30er-Jahren der größte weibliche US-Star. Ihre Unabhängigkeit wirkt bis heute einzigartig in Hollywood.