Gerd Breker: Die europäischen Staats- und Regierungschefs beraten ab heute in Brüssel über den Reformvertrag von Lissabon und die neuen europäischen Spitzenposten, also darüber, wie die neuen Ämter besetzt werden sollen: zum einen der auf zweieinhalb Jahre ernannte Ratspräsident und der Hohe Repräsentant für die Außenpolitik. Als Ratspräsident ist unter anderem der frühere britische Premier Tony Blair im Gespräch. Weiteres Thema ist der Weltklimagipfel von Kopenhagen.
Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem FDP-Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis. Guten Tag, Herr Chatzimarkakis.
Jorgo Chatzimarkakis: Guten Tag, Herr Breker.
Breker: Der Lissabon-Vertrag ist zwar noch nicht in Kraft, aber die Debatte um Posten und Personen dafür, sie hat ihren eigenen Reiz und auch eine gewisse Bedeutung. Deshalb wollen wir damit mal beginnen, Herr Chatzimarkakis. Wenn die Sozialisten in Europa gegen Tony Blair sind, dann müssen nach der Parteienlehre die Liberalen für ihn sein?
Chatzimarkakis: Das hört sich gut an, ist aber nicht so, weil wir haben auch uns schon festgelegt und haben eine schriftliche Erklärung im Europäischen Parlament eingereicht – zwar angeführt von Herrn Robert Goebbels, ein Luxemburger Sozialist im Übrigen, aber viele Deutsche auch aus anderen Parteien haben unterschrieben -, dass wir eben Tony Blair nicht im Amte des europäischen Ratspräsidenten wollen. Für ihn wird das jetzt ganz schwer. Wenn nicht mal die Sozialisten, seine eigene Partei, ihn unterstützen, dann ist das sehr schwer. Es spricht gegen ihn, dass er Brite ist, um das mal ganz einfach zu sagen. Der erste EU-Ratspräsident sollte aus einem Land kommen, das aus dem Kerneuropa kommt, das also den Euro vertritt und auch das Schengen-Abkommen, sind doch die finanzielle und ökonomische Krise, aber auch die Migration, der Druck auf Europa Dinge, die man nur mit der Erfahrung aus Schengen und Euro-Raum regeln kann.
Breker: Sagen die Liberalen nur, gegen wen sie sind? Sagen sie auch, für wen sie sind?
Chatzimarkakis: Die Liberalen haben einen eigenen Kandidaten. Es ist ja so, dass es schon in gewisser Weise einen Parteienproporz gibt. Nun gibt es vier große Positionen in Europa, zwei davon sind schon besetzt, der Kommissionspräsident ist mit Herrn Barroso besetzt, ein Konservativer, der Parlamentspräsident mit Herrn Busek, das ist auch ein Konservativer, wenn auch ein hoch geschätzter. So bleibt es jetzt bei zwei Positionen, die an die Sozialisten und an die Liberalen fallen könnten. Die Liberalen setzen sich für Guy Verhofstadt ein. Guy Verhofstadt ist Vorsitzender der Liberalen-Fraktion im Europäischen Parlament, war aber neun Jahre lang Premierminister Belgiens, ist also mit den Dingen des Europäischen Rates bestens, wirklich bestens vertraut und ist ein hervorragender Kandidat.
Breker: Gerade, Herr Chatzimarkakis, bei der Erstbesetzung eines solchen Amtes – so ein Amt will ja auch interpretiert sein – ist es wichtig, wer denn der Erste sein wird, der dieses Amt ausfüllt. Was spricht aus Ihrer Sicht gegen Tony Blair?
Chatzimarkakis: Zunächst einmal ist die Europäische Union ja nicht nur eine Gemeinschaft großer Staaten, sondern auch kleiner Staaten. Deswegen ehrt es uns – und das war auch immer so ein wenig die Politik Deutschlands, angeführt von liberalen Außenministern; wir erinnern uns: Scheel, Genscher, Kinkel, jetzt Westerwelle -, kleine Länder zu berücksichtigen. Es macht also Sinn zu schauen, aus welch kleinerem oder mittlerem Land kommt ein Staats- oder Regierungschef, der die Erfahrung hat, der den Europäischen Rat leiten könnte. Ich habe ja gehört, dass der Kollege Bütikofer sich für Herrn Juncker ausgesprochen hat. In der Tat ist Juncker erfahren und ein guter Kandidat. Aber Guy Verhofstadt, der frühere belgische Ministerpräsident, der ja fast Kommissionspräsident vor wenigen Jahren, vor fünf Jahren geworden wäre, kommt aus Belgien. Belgien ist ein zutiefst kompliziertes Land, aber eben im Herzen Europas, und deswegen glauben wir, dass Guy Verhofstadt, aus diesem Kernland Europas stammend, ein idealer Kandidat ist. Und für den Außenminister, den Hohen Beauftragten, wie er heißt, wäre dann ein Sozialist zuständig. Da sind ja mehrere im Gespräch, ob das der französische Außenminister ist, interessanterweise konservative Regierung, aber Herr Kouchner gehört der Sozialistischen Partei Frankreichs an, oder Herr Miliband, oder vielleicht doch Tony Blair, denn Tony Blair wäre als Außenpolitiker mit seiner Erfahrung, die er jetzt auch gemacht hat als Nahost-Beauftragter, schon eine gute Wahl. Tony Blair ist ein guter Politiker, aber bitte nicht als Ratspräsident, denn da muss er das ganze Europa verkörpern und eben nicht nur einen Teil.
Breker: Sie sind für Verhofstadt, aber Jean-Claude Juncker wäre eine gute Alternative, ein Kompromiss, den die Liberalen mitgehen könnten?
Chatzimarkakis: Ich glaube, es ehrt alle Europäer, im Moment für Jean-Claude Juncker, oder zumindest nicht gegen ihn zu sein. Es spricht auch herzlich wenig gegen Jean-Claude Juncker. Es ist ein Mann, der den Maastrichter Gipfel erlebt hat. Wir wissen: das ist die Geburtsstunde des Euro. Er sagt immer ganz lustig, dass die einzigen Überlebenden von Maastricht der Euro und er selbst seien. Also ein Mann mit einer unheimlich großen Erfahrung, ein Mann, der auch durch die Wirren der Finanzkrise uns gesteuert hat als Vorsitzender der Euro-Gruppe. Aber da hat es schon aus Frankreich so manches Stirnrunzeln gegeben, denn Präsident Sarkozy war nicht immer glücklich über die Art und Weise, wie Jean-Claude Juncker an diese Finanzkrise rangegangen ist. Aus deutscher Sicht war das in Ordnung. Ich glaube, Jean-Claude Juncker hat eine sehr, sehr gute Chance. Er muss es nur selber auch wollen. Er macht das im Moment geschickt, macht sich nicht zum Kandidaten, aber alle vergessen, dass bei der Entscheidung man eine qualifizierte Mehrheit im Rat braucht nach neuen Lissabon-Regeln, also nach den neuen Regeln, die ja, wenn die Unterschrift von Herrn Klaus, dem tschechischen Präsidenten, unter dem Vertrag ist, auch gelten. Das heißt, qualifizierte Mehrheit plus doppelte Mehrheit bedeutet, dass man im Grunde am Ende vielleicht sogar einen Überraschungskandidaten hat, denn wenn sich zwei Gruppen blockieren – wir hören ja jetzt, dass Blair eben blockiert wird -, ist es gut möglich, dass am Ende wie vor fünf Jahren auch Herr Barroso ein Überraschungskandidat der Kandidat oder der neue Präsident der Europäischen Union sein könnte.
Breker: Warten wir das ab. – Herr Chatzimarkakis, lassen Sie uns über die deutsche Personalie für Brüssel reden. Günther Oettinger soll die deutschen Farben vertreten und man hat den Eindruck, er sollte weniger nach Brüssel als vielmehr weg aus Stuttgart.
Chatzimarkakis: Na ja, das ist eine CDU-interne Geschichte. Es war ja so, dass aufgrund der Kabinettsverteilung die FDP als Koalitionspartner hier raus war, und die CDU hat sich nun mal für einen Ministerpräsidenten entschieden. Ich will mal das Positive sagen. Das Positive ist, dass Herr Oettinger aus einem Bundesland stammt, das wirklich erfolgreich ist, in Brüssel bekannt ist. Herr Oettinger ist auch einer der Ministerpräsidenten, die in der Tat Brüssel sehr oft besucht haben. Das muss man sagen. Gleichwohl möchte ich nicht verhehlen, dass ich überrascht war über die Nominierung von Herrn Oettinger und dass es so ist, dass Herr Oettinger sich auch erst mal bewähren muss in diesen sogenannten Anhörungen, die ja das Europäische Parlament veranstaltet, wo alle Kommissarskandidaten auf Herz und Nieren geprüft werden, und wir wissen: vor fünf Jahren sind einige Kommissarsanwärter auch durchgefallen, manche schon im Vorfeld. Also da muss erst noch mal durch. Aber ich glaube, die Nominierung des deutschen Kommissars ist immer sehr aussichtsreich und Herr Oettinger wird sich da auch gut verkaufen können. Gleichwohl: ich war überrascht.
Breker: Im Deutschlandfunk war das der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis. Herr Chatzimarkakis, danke für dieses Gespräch.
Chatzimarkakis: Danke Ihnen, Herr Breker!
Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem FDP-Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis. Guten Tag, Herr Chatzimarkakis.
Jorgo Chatzimarkakis: Guten Tag, Herr Breker.
Breker: Der Lissabon-Vertrag ist zwar noch nicht in Kraft, aber die Debatte um Posten und Personen dafür, sie hat ihren eigenen Reiz und auch eine gewisse Bedeutung. Deshalb wollen wir damit mal beginnen, Herr Chatzimarkakis. Wenn die Sozialisten in Europa gegen Tony Blair sind, dann müssen nach der Parteienlehre die Liberalen für ihn sein?
Chatzimarkakis: Das hört sich gut an, ist aber nicht so, weil wir haben auch uns schon festgelegt und haben eine schriftliche Erklärung im Europäischen Parlament eingereicht – zwar angeführt von Herrn Robert Goebbels, ein Luxemburger Sozialist im Übrigen, aber viele Deutsche auch aus anderen Parteien haben unterschrieben -, dass wir eben Tony Blair nicht im Amte des europäischen Ratspräsidenten wollen. Für ihn wird das jetzt ganz schwer. Wenn nicht mal die Sozialisten, seine eigene Partei, ihn unterstützen, dann ist das sehr schwer. Es spricht gegen ihn, dass er Brite ist, um das mal ganz einfach zu sagen. Der erste EU-Ratspräsident sollte aus einem Land kommen, das aus dem Kerneuropa kommt, das also den Euro vertritt und auch das Schengen-Abkommen, sind doch die finanzielle und ökonomische Krise, aber auch die Migration, der Druck auf Europa Dinge, die man nur mit der Erfahrung aus Schengen und Euro-Raum regeln kann.
Breker: Sagen die Liberalen nur, gegen wen sie sind? Sagen sie auch, für wen sie sind?
Chatzimarkakis: Die Liberalen haben einen eigenen Kandidaten. Es ist ja so, dass es schon in gewisser Weise einen Parteienproporz gibt. Nun gibt es vier große Positionen in Europa, zwei davon sind schon besetzt, der Kommissionspräsident ist mit Herrn Barroso besetzt, ein Konservativer, der Parlamentspräsident mit Herrn Busek, das ist auch ein Konservativer, wenn auch ein hoch geschätzter. So bleibt es jetzt bei zwei Positionen, die an die Sozialisten und an die Liberalen fallen könnten. Die Liberalen setzen sich für Guy Verhofstadt ein. Guy Verhofstadt ist Vorsitzender der Liberalen-Fraktion im Europäischen Parlament, war aber neun Jahre lang Premierminister Belgiens, ist also mit den Dingen des Europäischen Rates bestens, wirklich bestens vertraut und ist ein hervorragender Kandidat.
Breker: Gerade, Herr Chatzimarkakis, bei der Erstbesetzung eines solchen Amtes – so ein Amt will ja auch interpretiert sein – ist es wichtig, wer denn der Erste sein wird, der dieses Amt ausfüllt. Was spricht aus Ihrer Sicht gegen Tony Blair?
Chatzimarkakis: Zunächst einmal ist die Europäische Union ja nicht nur eine Gemeinschaft großer Staaten, sondern auch kleiner Staaten. Deswegen ehrt es uns – und das war auch immer so ein wenig die Politik Deutschlands, angeführt von liberalen Außenministern; wir erinnern uns: Scheel, Genscher, Kinkel, jetzt Westerwelle -, kleine Länder zu berücksichtigen. Es macht also Sinn zu schauen, aus welch kleinerem oder mittlerem Land kommt ein Staats- oder Regierungschef, der die Erfahrung hat, der den Europäischen Rat leiten könnte. Ich habe ja gehört, dass der Kollege Bütikofer sich für Herrn Juncker ausgesprochen hat. In der Tat ist Juncker erfahren und ein guter Kandidat. Aber Guy Verhofstadt, der frühere belgische Ministerpräsident, der ja fast Kommissionspräsident vor wenigen Jahren, vor fünf Jahren geworden wäre, kommt aus Belgien. Belgien ist ein zutiefst kompliziertes Land, aber eben im Herzen Europas, und deswegen glauben wir, dass Guy Verhofstadt, aus diesem Kernland Europas stammend, ein idealer Kandidat ist. Und für den Außenminister, den Hohen Beauftragten, wie er heißt, wäre dann ein Sozialist zuständig. Da sind ja mehrere im Gespräch, ob das der französische Außenminister ist, interessanterweise konservative Regierung, aber Herr Kouchner gehört der Sozialistischen Partei Frankreichs an, oder Herr Miliband, oder vielleicht doch Tony Blair, denn Tony Blair wäre als Außenpolitiker mit seiner Erfahrung, die er jetzt auch gemacht hat als Nahost-Beauftragter, schon eine gute Wahl. Tony Blair ist ein guter Politiker, aber bitte nicht als Ratspräsident, denn da muss er das ganze Europa verkörpern und eben nicht nur einen Teil.
Breker: Sie sind für Verhofstadt, aber Jean-Claude Juncker wäre eine gute Alternative, ein Kompromiss, den die Liberalen mitgehen könnten?
Chatzimarkakis: Ich glaube, es ehrt alle Europäer, im Moment für Jean-Claude Juncker, oder zumindest nicht gegen ihn zu sein. Es spricht auch herzlich wenig gegen Jean-Claude Juncker. Es ist ein Mann, der den Maastrichter Gipfel erlebt hat. Wir wissen: das ist die Geburtsstunde des Euro. Er sagt immer ganz lustig, dass die einzigen Überlebenden von Maastricht der Euro und er selbst seien. Also ein Mann mit einer unheimlich großen Erfahrung, ein Mann, der auch durch die Wirren der Finanzkrise uns gesteuert hat als Vorsitzender der Euro-Gruppe. Aber da hat es schon aus Frankreich so manches Stirnrunzeln gegeben, denn Präsident Sarkozy war nicht immer glücklich über die Art und Weise, wie Jean-Claude Juncker an diese Finanzkrise rangegangen ist. Aus deutscher Sicht war das in Ordnung. Ich glaube, Jean-Claude Juncker hat eine sehr, sehr gute Chance. Er muss es nur selber auch wollen. Er macht das im Moment geschickt, macht sich nicht zum Kandidaten, aber alle vergessen, dass bei der Entscheidung man eine qualifizierte Mehrheit im Rat braucht nach neuen Lissabon-Regeln, also nach den neuen Regeln, die ja, wenn die Unterschrift von Herrn Klaus, dem tschechischen Präsidenten, unter dem Vertrag ist, auch gelten. Das heißt, qualifizierte Mehrheit plus doppelte Mehrheit bedeutet, dass man im Grunde am Ende vielleicht sogar einen Überraschungskandidaten hat, denn wenn sich zwei Gruppen blockieren – wir hören ja jetzt, dass Blair eben blockiert wird -, ist es gut möglich, dass am Ende wie vor fünf Jahren auch Herr Barroso ein Überraschungskandidat der Kandidat oder der neue Präsident der Europäischen Union sein könnte.
Breker: Warten wir das ab. – Herr Chatzimarkakis, lassen Sie uns über die deutsche Personalie für Brüssel reden. Günther Oettinger soll die deutschen Farben vertreten und man hat den Eindruck, er sollte weniger nach Brüssel als vielmehr weg aus Stuttgart.
Chatzimarkakis: Na ja, das ist eine CDU-interne Geschichte. Es war ja so, dass aufgrund der Kabinettsverteilung die FDP als Koalitionspartner hier raus war, und die CDU hat sich nun mal für einen Ministerpräsidenten entschieden. Ich will mal das Positive sagen. Das Positive ist, dass Herr Oettinger aus einem Bundesland stammt, das wirklich erfolgreich ist, in Brüssel bekannt ist. Herr Oettinger ist auch einer der Ministerpräsidenten, die in der Tat Brüssel sehr oft besucht haben. Das muss man sagen. Gleichwohl möchte ich nicht verhehlen, dass ich überrascht war über die Nominierung von Herrn Oettinger und dass es so ist, dass Herr Oettinger sich auch erst mal bewähren muss in diesen sogenannten Anhörungen, die ja das Europäische Parlament veranstaltet, wo alle Kommissarskandidaten auf Herz und Nieren geprüft werden, und wir wissen: vor fünf Jahren sind einige Kommissarsanwärter auch durchgefallen, manche schon im Vorfeld. Also da muss erst noch mal durch. Aber ich glaube, die Nominierung des deutschen Kommissars ist immer sehr aussichtsreich und Herr Oettinger wird sich da auch gut verkaufen können. Gleichwohl: ich war überrascht.
Breker: Im Deutschlandfunk war das der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis. Herr Chatzimarkakis, danke für dieses Gespräch.
Chatzimarkakis: Danke Ihnen, Herr Breker!