Heuer: Tony Blair steht in Treue fest zu George Bush. Der US-amerikanische Präsident ist offenbar entschlossen, den Irak anzugreifen, und von allen europäischen Regierungschefs ist bislang der britische Premierminister der einzige, der ohne wenn und aber bei einem solchen Angriff mitmachen möchte. Doch innenpolitisch gerät Blair deswegen unter immer stärkerem Druck. Das Militär warnt vor den Risiken einer Irak-Offensive. Führende Kirchenleute, unter Ihnen der designiert Erzbischof von Canterbury Rowan Williams, nennen einen Angriff auf den Irak unmoralisch und illegal, und nun wenden sich auch noch die Linken in der eigenen Partei von Tony Blair ab. Blairs Labour-Genosse, der Alterspräsident des britischen Unterhauses, Tam Dalyell, fordert, der Premierminister müsse das Parlament einbeziehen. Er habe die moralische Verpflichtung, dem Unterhaus noch im September in einer Sondersitzung über seine umstrittenen Irak-Pläne Rede und Antwort zu stehen. Das lehnt Tony Blair bisher ab. Am Telefon begrüße ich nun Anthony Glees, Politologe an der Londoner Brunel University. Professor Glees, ist denn die Zustimmung des britischen Parlaments zwingend, wenn die Regierung gegen den Irak zu Felde ziehen möchte?
Glees: Nein, keinesfalls. Verfassungspolitisch - wir haben keine schriftliche Verfassung als solche in Großbritannien - ist es nicht nötig, eine Mehrheit im Parlament zu besitzen, um einen Krieg auszurufen. Es wäre aber politisch nicht besonders klug, wenn Blair das ohne eine Mehrheit im Parlament machen würde.
Heuer: Aber der Premierminister hat diese Forderungen seines Parteikollegen ja auch schon zurückgewiesen. Ist es klug, das Parlament und die Linke in Labour so zu verprellen?
Glees: Wissen Sie, zur Zeit versucht man, Saddam Hussein so anzufassen, dass er nicht weiß, was als nächstes passieren soll. Wir sollen also diese verfassungspolitischen Fragen nicht so sehr aufspielen. Wenn es einen Angriff geben würde, dann könnte Blair ohne Parlament den Krieg zusammen mit Amerika erklären, und er würde bestimmt dafür eine Mehrheit bekommen. Aber, wie gesagt, es wäre vielleicht politisch ein bisschen unklug. Dagegen muss man sagen, dass es nur eine Ausnahme in der neueren britischen Geschichte gibt, wo ein Krieg mit einer Mehrheit im Parlament ausgerufen wurde. Das war 1982, als die Falkland-Inseln von Argentinien angegriffen wurden. Damals gab es eine Debatte, aber sonst nie. Also Blair könnte es machen.
Heuer: Sie sagen, im Falle eines Falles bekäme er die Unterhaus-Mehrheit. Aber es ist aus dem Parlament zu hören, dass es immer mehr Abgeordnete gibt, die sehr skeptisch sind und sich eigentlich gegen einen Krieg aussprechen.
Glees: Das ist richtig. Man darf nicht vergessen: Es sind immerhin schon 160 Labour- und Liberaldemokraten, die eine Gesetzesvorlage unterschrieben haben, die gegen einen Krieg ist. Und da Blairs Mehrheit ungefähr 170 im Parlament ist, sind schon 160, die dagegen sind, eine große Opposition. Auf der anderen Seite könnte man schon sagen, dass alle Tories, das heißt 166 Tories für Blair stimmen würden, denn die Tories sind sehr für einen Angriff zu haben, besonders deren Führer. Also sicher wäre es nicht, aber die Zahlen könnte man sozusagen auf beiden Seiten sehen. Aber für Blair persönlich, für seine Haltung in Großbritannien wäre es wahrscheinlich Selbstmord, ohne Parlament einen Krieg auszurufen. Denn es sind nicht nur die Abgeordneten, die zum Teil auf der linken Seite stehen, sondern vor allen Dingen auch andere führende Köpfe in unserer Gesellschaft, z.B. der frühere Außenminister Douglas Hurt, hat sich gegen einen solchen Angriff ausgesprochen.
Heuer: Und auch die Kirchenführer haben sich gegen einen solchen Angriff ausgesprochen. Das Militär warnt ebenfalls. Ihre Prognose: Wird Tony Blair sich dem Parlament stellen?
Glees: Ich glaube, er wird es tun. Aber es wird erst eine Sommerpause geben. Blair und Bush werden versuchen, Saddam unsicher zu machen, und darauf hoffen, dass jemand den irakischen Führer doch beseitigt. Aber wenn das nicht in der Sommerpause gelingt, dann wird es zu einer Debatte kommen. Und wird dürfen auch nicht vergessen, dass durch die Wahlen und das Gefühl, in Deutschland die Sache noch bitterer wird. Aber eines muss man hinzufügen: Eine Mehrheit der britischen Wähler, 52 Prozent, sind gegen einen britischen Angriff auf den Irak. Aber eine große Mehrheit, über 60 Prozent, wollen, dass Amerika Irak angreift. Da ist auch ein Spielraum für Blair, die Leute umzustimmen.
Heuer: Er hat einen Spielraum, aber er vollzieht gerade auch ein Drahtseilakt, indem er darauf pocht, dass er alleine über eine britische Beteiligung an einem Angriff auf den Irak entscheidet. Wie gefährlich ist denn dieses Verhalten Tony Blairs? Läuft er Gefahr, sich politisch zu isolieren?
Glees: Es besteht natürlich diese Gefahr, und keiner wird sich darüber mehr Gedanken machen als Tony Blair selber. Aber in den Meinungsumfragen steht er jetzt sehr stark da. Die Tories sind bei 30 Prozent; sie liegen um diesen Wert seit 1993 und können aus diesem niedrigen Prozentsatz nicht hochklettern. Es gibt keinen anderen Führer für die Briten. Und letzten Endes sind auch die Briten dafür, dass man einen konsequenten Krieg gegen den Terrorismus und Leute wie Saddam Hussein führen muss. Es gibt viele Briten, die meinen, das hätte der Vater von George Bush machen sollen, und vielleicht sollten wir jetzt damit anfangen.
Heuer: Kann Tony Blair auf eine gewisse Weise das Problem aussitzen?
Glees: Ich glaube nicht, dass man es aussitzen kann, denn wir dürfen nicht vergessen, dass die Geheimdienste tagtäglich darüber berichten, dass immer weitere Fortschritte im Irak gemacht werden, nicht nur für chemische, sondern auch für nukleare Waffen. Das ist ein Problem, das nicht verschwinden wird, wenn man einfach den Kopf in den Sand steckt. Und das ist natürlich auch die Antwort von Blair an die Kirche und die anderen Leute: Es wird nicht mit der Zeit besser. Es wird mit der Zeit schlimmer, es sei denn, dass es Leute im Irak gibt, die dann Saddam Hussein absetzen. Aber ohne diese Leute wird es so oder so zu einem Angriff kommen müssen.
Heuer: Und Sie glauben, dass der Premierminister mit der Zeit die Mehrheit der Briten, auch führender Intellektueller auf seine Seite ziehen kann?
Glees: Auf alle Fälle. Wir haben keinen Sonderweg in Großbritannien zu gehen. Wenn die Sache so schlimm ist, dass man von einem Krieg reden muss, dann kann Blair sich auf eine große Mehrheit der britischen Bevölkerung stützen. Daran zweifle ich überhaupt nicht.
Heuer: Vielen Dank für das Ges
Link: Interview als RealAudio
Glees: Nein, keinesfalls. Verfassungspolitisch - wir haben keine schriftliche Verfassung als solche in Großbritannien - ist es nicht nötig, eine Mehrheit im Parlament zu besitzen, um einen Krieg auszurufen. Es wäre aber politisch nicht besonders klug, wenn Blair das ohne eine Mehrheit im Parlament machen würde.
Heuer: Aber der Premierminister hat diese Forderungen seines Parteikollegen ja auch schon zurückgewiesen. Ist es klug, das Parlament und die Linke in Labour so zu verprellen?
Glees: Wissen Sie, zur Zeit versucht man, Saddam Hussein so anzufassen, dass er nicht weiß, was als nächstes passieren soll. Wir sollen also diese verfassungspolitischen Fragen nicht so sehr aufspielen. Wenn es einen Angriff geben würde, dann könnte Blair ohne Parlament den Krieg zusammen mit Amerika erklären, und er würde bestimmt dafür eine Mehrheit bekommen. Aber, wie gesagt, es wäre vielleicht politisch ein bisschen unklug. Dagegen muss man sagen, dass es nur eine Ausnahme in der neueren britischen Geschichte gibt, wo ein Krieg mit einer Mehrheit im Parlament ausgerufen wurde. Das war 1982, als die Falkland-Inseln von Argentinien angegriffen wurden. Damals gab es eine Debatte, aber sonst nie. Also Blair könnte es machen.
Heuer: Sie sagen, im Falle eines Falles bekäme er die Unterhaus-Mehrheit. Aber es ist aus dem Parlament zu hören, dass es immer mehr Abgeordnete gibt, die sehr skeptisch sind und sich eigentlich gegen einen Krieg aussprechen.
Glees: Das ist richtig. Man darf nicht vergessen: Es sind immerhin schon 160 Labour- und Liberaldemokraten, die eine Gesetzesvorlage unterschrieben haben, die gegen einen Krieg ist. Und da Blairs Mehrheit ungefähr 170 im Parlament ist, sind schon 160, die dagegen sind, eine große Opposition. Auf der anderen Seite könnte man schon sagen, dass alle Tories, das heißt 166 Tories für Blair stimmen würden, denn die Tories sind sehr für einen Angriff zu haben, besonders deren Führer. Also sicher wäre es nicht, aber die Zahlen könnte man sozusagen auf beiden Seiten sehen. Aber für Blair persönlich, für seine Haltung in Großbritannien wäre es wahrscheinlich Selbstmord, ohne Parlament einen Krieg auszurufen. Denn es sind nicht nur die Abgeordneten, die zum Teil auf der linken Seite stehen, sondern vor allen Dingen auch andere führende Köpfe in unserer Gesellschaft, z.B. der frühere Außenminister Douglas Hurt, hat sich gegen einen solchen Angriff ausgesprochen.
Heuer: Und auch die Kirchenführer haben sich gegen einen solchen Angriff ausgesprochen. Das Militär warnt ebenfalls. Ihre Prognose: Wird Tony Blair sich dem Parlament stellen?
Glees: Ich glaube, er wird es tun. Aber es wird erst eine Sommerpause geben. Blair und Bush werden versuchen, Saddam unsicher zu machen, und darauf hoffen, dass jemand den irakischen Führer doch beseitigt. Aber wenn das nicht in der Sommerpause gelingt, dann wird es zu einer Debatte kommen. Und wird dürfen auch nicht vergessen, dass durch die Wahlen und das Gefühl, in Deutschland die Sache noch bitterer wird. Aber eines muss man hinzufügen: Eine Mehrheit der britischen Wähler, 52 Prozent, sind gegen einen britischen Angriff auf den Irak. Aber eine große Mehrheit, über 60 Prozent, wollen, dass Amerika Irak angreift. Da ist auch ein Spielraum für Blair, die Leute umzustimmen.
Heuer: Er hat einen Spielraum, aber er vollzieht gerade auch ein Drahtseilakt, indem er darauf pocht, dass er alleine über eine britische Beteiligung an einem Angriff auf den Irak entscheidet. Wie gefährlich ist denn dieses Verhalten Tony Blairs? Läuft er Gefahr, sich politisch zu isolieren?
Glees: Es besteht natürlich diese Gefahr, und keiner wird sich darüber mehr Gedanken machen als Tony Blair selber. Aber in den Meinungsumfragen steht er jetzt sehr stark da. Die Tories sind bei 30 Prozent; sie liegen um diesen Wert seit 1993 und können aus diesem niedrigen Prozentsatz nicht hochklettern. Es gibt keinen anderen Führer für die Briten. Und letzten Endes sind auch die Briten dafür, dass man einen konsequenten Krieg gegen den Terrorismus und Leute wie Saddam Hussein führen muss. Es gibt viele Briten, die meinen, das hätte der Vater von George Bush machen sollen, und vielleicht sollten wir jetzt damit anfangen.
Heuer: Kann Tony Blair auf eine gewisse Weise das Problem aussitzen?
Glees: Ich glaube nicht, dass man es aussitzen kann, denn wir dürfen nicht vergessen, dass die Geheimdienste tagtäglich darüber berichten, dass immer weitere Fortschritte im Irak gemacht werden, nicht nur für chemische, sondern auch für nukleare Waffen. Das ist ein Problem, das nicht verschwinden wird, wenn man einfach den Kopf in den Sand steckt. Und das ist natürlich auch die Antwort von Blair an die Kirche und die anderen Leute: Es wird nicht mit der Zeit besser. Es wird mit der Zeit schlimmer, es sei denn, dass es Leute im Irak gibt, die dann Saddam Hussein absetzen. Aber ohne diese Leute wird es so oder so zu einem Angriff kommen müssen.
Heuer: Und Sie glauben, dass der Premierminister mit der Zeit die Mehrheit der Briten, auch führender Intellektueller auf seine Seite ziehen kann?
Glees: Auf alle Fälle. Wir haben keinen Sonderweg in Großbritannien zu gehen. Wenn die Sache so schlimm ist, dass man von einem Krieg reden muss, dann kann Blair sich auf eine große Mehrheit der britischen Bevölkerung stützen. Daran zweifle ich überhaupt nicht.
Heuer: Vielen Dank für das Ges
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