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Tophoven: Taliban werden weiter gezielt deutsche Soldaten angreifen

Der Terrorismus-Experte Rolf Tophoven bewertet die jüngsten Anschläge gegen deutsche Soldaten als konzertiertes, gezieltes Vorgehen von Taliban und El-Kaida. Beide Gruppen seien genauestens über die Patrouillenwege der Bundeswehr informiert. Man wolle langfristig die Einnahme von Kabul, so Tophoven.

    Jürgen Liminski: Die Gefährdung der Bundeswehrsoldaten in Afghanistan wächst. Die Einschläge kommen näher. Drei Anschläge in wenigen Tagen. Ein Hauptfeldwebel wurde getötet und bei einem weiteren Vorfall kamen eine Frau und zwei Kinder ums Leben. Ist das Zufall? Steht hinter der Häufung der Anschläge eine Strategie der Taliban? - Dazu begrüße ich den Leiter des Instituts für Terrorismusforschung in Essen, Rolf Tophoven. Guten Morgen, Herr Tophoven.

    Rolf Tophoven: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Tophoven, vor einigen Wochen haben Sie hier auf diesem Sender nach einer Reise in die Krisenregion davor gewarnt, dass die Bundeswehr im Visier der Taliban stehe. Das hat sich schrecklich bewahrheitet. Ist noch mehr zu erwarten?

    Tophoven: Wir müssen davon ausgehen, dass die strategischen Konzeptionen der Taliban und Al-Kaida-Kommandos, die eng verknüpft auf dem afghanischen Kriegsschauplatz zusammenarbeiten, weiter eskalieren. Es gibt eine klare Zielvorgabe, die heißt: Erstens Destabilisierung der Region Afghanistan, also Destabilisierung des ganzen Landes, und Isolierung der ISAF-Truppen von der örtlichen Bevölkerung, um zu signalisieren, die internationale Schutztruppe kann den Menschen in Afghanistan keinen Schutz bieten. Die Alternative, das ist die Konzeption, heißt Taliban.

    Liminski: Ist das die Strategie der Taliban? Gibt es eine solche Strategie, so ein Konzept? Sie haben eben zwei Elemente genannt: Isolieren und Destabilisieren. Was wären denn weitere Elemente einer solchen Konzeption?

    Tophoven: Wir müssen heute davon ausgehen - und das wird tagtäglich signifikanter -, dass der Modus Operandi der Taliban und islamistischen Al-Kaida-Kommandos zunächst einmal eine perfekte Guerilla-Strategie intendiert. Es ist eine Taliban-Guerilla. Das bedeutet, dass zunächst einmal der kommunikative nachrichtendienstliche Bereich der Taliban-Kämpfer in den letzten Jahren extrem ausgearbeitet wurde. Das heißt konkret: jede Bewegung von Bundeswehr-Patrouillen wird sofort bei Verlassen des Bundeswehr-Camps den Spähern gemeldet. Dann geht diese Informationskette weiter herunter an die jeweiligen Untergrundzellen und dann ist es am Ende nicht mehr allzu überraschend, wenn man den günstigsten Moment abwartet, eine Sprengfalle gegen die patrouillierenden deutschen Soldaten zu zünden.

    Liminski: Heißt das, dass die Deutschen nicht mehr aus dem Panzer aussteigen können, oder sich allenfalls in Kabul oder Kundus noch bewegen können?

    Tophoven: Das ist exakt, Herr Liminski, die Taktik. Man will die Deutschen zwingen, nicht mehr abzusitzen, per Fuß zu patrouillieren, und das ganze zielt ja im Norden in der Region um Kundus auf eine Umzingelung der Stadt auch aus dem Süden Afghanistan gen Norden einsickernder Taliban-Kommandos. Und dann: das ganze wird durch die überwölbende Strategie der Taliban gestützt. Man will langfristig die Einnahme von Kabul. So unwahrscheinlich das heute noch erscheinen mag, aber das gibt es ganz klar definiert in den Guerilla-Handbüchern der Taliban.

    Liminski: Haben Sie Ihre Informationen, die Sie nun gerade genannt haben, mit den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in Deutschland verglichen? Weiß man beim BND Ähnliches zu berichten?

    Tophoven: Der BND hat beispielsweise, um diese nachrichtendienstliche Institution Deutschlands zu nennen, seit langem davor gewarnt, dass die Eskalation des Terrors und der Gewalt gegen die deutschen Soldaten zunehmen wird. Ich habe aber auch bei meinem jüngsten Besuch im Nordwesten Pakistans, beispielsweise in der Grenzprovinz um Peschawar, beim Besuch von Koran-Schulen, wo ja massiv junge Taliban-Kämpfer indoktriniert und rekrutiert werden, hören müssen, dass es ganz klares Ziel und klare Absicht der Taliban ist, deutsche Soldaten expressis Verbis anzugreifen. Deutschland, so erzählte mir der Mufti einer Koran-Schule, ist neben der USA eine Besatzungsmacht und als Besatzungsmacht wird Deutschland heute von den Taliban, von der Guerilla definiert und das heißt: auch Deutschland wird Zug um Zug noch stärker ins Visier der terroristischen Kommandos kommen.

    Liminski: Gibt es eine Verbindung der Taliban zu Gruppen in Deutschland, so dass man vielleicht auch mit Anschlägen hierzulande rechnen muss?

    Tophoven: Die jüngste Schiene läuft nicht über die Taliban, sondern sie läuft über die Al-Kaida oder noch besser gesagt über die so genannte islamische Dschihad-Union. Das ist eine 100- bis 200köpfige Guerilla- und Terror-Gruppe, die sich neu formiert hat im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet. Zu dieser Gruppe zählten ja beispielsweise die drei Sauerland-Terroristen, um sie einmal so zu nennen, die im letzten September festgenommen wurden. Sie waren in Pakistan ausgebildet und trainiert worden, darunter zwei Deutsche, zum Islam konvertiert, und ein deutsch-türkischer Bürger. Die Gruppe wird ja in kommenden Tagen von der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe angeklagt werden. Was wir hier also befürchten müssen, sind Zellenstrukturen, die zum Teil aus dem afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet gesteuert werden, wie die bereits erwähnte Sauerland-Gruppe.

    Liminski: Die Strategie der Taliban in Afghanistan. Rolf Tophoven war das, Leiter des Instituts für Terrorismusforschung in Essen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Tophoven.

    Tophoven: Gerne.