
Oberhalb der Strandpromenade hält ein Kleintransporter am Straßenrand. Die Schiebetür geht auf und eine Gruppe kanadischer Touristen tritt auf den Bürgersteig. Christine Zalzal aus Toronto ist mit ihrer Familie für zwei Wochen in Portugal unterwegs.
Der Reiseleiter Nuno Leitão erklärt der Gruppe, wo man das beste Eis essen kann, und vereinbart dann einen Treffpunkt für die Rückfahrt nach Lissabon. Der 39-jährige studierte Stadtplaner hat 2012, mitten in der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise, sein Reiseunternehmen gegründet.
"Zu dem Zeitpunkt sind unheimlich viele meiner Freunde ausgewandert. Das war etwas ganz Neues für mich. Wir haben alle studiert und von einer besseren Zukunft geträumt, doch dann musste über die Hälfte meiner Kumpels im Ausland nach einem Job suchen. Ich habe mich mit ein paar Freunden zusammengetan: Wir wollten nicht aus Portugal weg, und jetzt machen wir das, was uns am meisten Spaß macht, und es läuft alles sehr gut."
Zu Beginn hatte Leitão seine Gäste noch mit einem Jeep durch Lissabon kutschiert. Mittlerweile besitzt seine Firma vier Kleintransporter und beschäftigt fünf weitere Mitarbeiter. Seine Stadtrundfahrten sind bis Oktober praktisch ausgebucht.
"Der Tourismus in Portugal hat sich gewandelt. Früher waren Sonne und Strand ganz wichtig für den Sektor, aber wir haben uns seitdem vielseitiger aufgestellt. Auch der Tourismus im Landesinneren, der Gourmetbereich, die Urlaube in der Natur und natürlich die Städtereisen sind stark am Wachsen, und das ist ganz wichtig für unsere Wirtschaft. Damit wächst der Sektor nicht nur allgemein, sondern wir sind auch viel weniger saisonabhängig."
Das sieht die Politik ganz ähnlich. Der Vize-Fraktionsvorsitzende der regierenden Sozialisten, João Galamba, ist der Überzeugung, dass die Zahl der Touristen in Portugal noch steigen und sich lange auf einem hohen Niveau halten werde.
"Es stimmt einfach nicht, dass Portugal jetzt nur deshalb beliebt ist, weil es hier keinen Terrorismus gibt und gleichzeitig in Syrien, Tunesien und Algerien schwere Krise herrschen. Die Regionen, in denen der Tourismus am stärksten gewachsen ist, sind nicht für Sonne und Strand bekannt: Zum einen Nordportugal und die Stadt Porto, zum anderen die Azoren-Inseln. Die Algarve-Küste und Madeira, die in direkter Konkurrenz zu anderen Strandurlaubzielen stehen, sind dagegen am geringsten gewachsen. Wenn also irgendwann deutsche oder englische Touristen zurück an die türkischen Strände gehen, dann heißt das nicht, dass sie nicht auch nach Porto wollen."
"Ich hoffe, dass geht jetzt nicht den Bach runter. Die größte Herausforderung für Portugal und insbesondere für Lissabon ist, dass das Leben hier authentisch bleibt. Wir Portugiesen haben noch einen natürlichen Umgang mit den Touristen. Wir suchen das Gespräch, möchten den Urlaubern helfen und ihnen einen schönen Aufenthalt ermöglichen. Und die Touristen mögen das, und deshalb fühlen sie sich hier wohl."

Viel mehr Touristen seien hier unterwegs, sagt er, und viele Häuser seien renoviert worden. Barbosa erinnert an Drogenprobleme und Kriminalität, die jahrelang das Leben in seinem Viertel beeinflusst hätten. Doch das sei jetzt besser geworden.
Die Häuser sind jedoch längst nicht mehr nur in der Hand von Portugiesen. Mit einer Reihe von Sonderbedingungen lockt der portugiesische Staat gut betuchte ausländische Investoren nach Portugal: Das so genannte "Goldene Visum" vergibt eine fünfjährige Aufenthaltsgenehmigung an Nicht-EU-Bürger, die eine Immobilie im Wert von mindestens 500.000 Euro kaufen; und Rentner aus anderen EU-Staaten zahlen 10 Jahre lang keine Steuern auf ihre Bezüge, wenn sie in Portugal ihren Hauptwohnsitz haben. Leonor Duarte vom Lissabonner Bürgerverein "Academia Cidadã" kritisiert diese Politik.
"Wir beobachten auf der ganze Welt eine Entwicklung, die von den Regierenden in Portugal sogar gefördert wird: Eine Wohnung zu haben, ist nicht mehr einfach nur ein Grundrecht, sondern vor allem eine Investitionsmöglichkeit. Die Bürger, die nur über ein geringes oder mittleres Einkommen verfügen, werden aus den Innenstädten ausgegrenzt. Und die Städte bevorzugen diejenigen, die hier gar nicht gewohnt haben. Mit Programmen wie dem 'Goldenen Visum' bemüht sich Portugal um gut betuchte Immobilienbesitzer, die hier gar nicht wohnen. Und dadurch steigen die Preise so hoch, dass die Familien die Mieten gar nicht mehr bezahlen können."
Die Zahlen geben der Bürgeraktivistin Recht: Im vergangenen Jahr stiegen die Mietpreise in Lissabon um 23 Prozent an. Gleichzeitig nahmen die Einnahmen aus der Vermietung von Touristenapartments in ganz Portugal um 18 Prozent zu.
Für die sozialistische Minderheitsregierung war der Tourismusboom im vergangenen Jahr auch ein Rettungsanker. Die Sozialisten setzten kurz nach ihrer Amtsübernahme im Herbst 2015 auf eine zügige Rücknahme der Gehalts- und Rentenkürzungen, die in den Krisenjahren vereinbart worden waren, und erhöhten zudem den Mindestlohn. Mehr Geld in den Taschen der Portugiesen sollte zu einem stärkeren Wirtschaftswachstum führen. Doch zunächst sah es nicht so aus, als ob die Regierung mit diesem Wandel in der Finanzpolitik die Defizitvorgaben aus Brüssel einhalten würde. Die konservativen Oppositionsparteien haben deshalb immer wieder behauptet, die Regierung hätte schließlich nur die Sparvorgaben erfüllen können, weil der Tourismus genügend Geld ins Land gespült hätte. Premierminister António Costa ist sich dieser Entwicklung natürlich bewusst:
"Der Tourismus ist ein ganz wichtiger Sektor unserer Wirtschaft und wir wollen das Wachstum im Tourismusbereich weiter fördern. Für die Regierung bedeutet das Investitionen in die Infrastrukturen, zum Beispiel in die neuen Kreuzfahrtschiffterminals in Porto oder Lissabon oder die neuen Verbindungen unserer Fluggesellschaft TAP, um neue Märkte zu erschließen. Der Tourismus hat einen entscheidenden Anteil am Wirtschaftswachstum und an der Schaffung neuer Arbeitsplätze."

"Wir überlassen den Gemeinden die Aufgabe, wie sie mit dem Tourismusboom auf lokaler Ebene umgehen. Wir setzen uns insgesamt dafür ein, dass in Zukunft mehr Entscheidungen auf der lokalen und nicht auf nationaler Ebene getroffen werden. Und dazu gehört unser Ansicht auch, das Mikromanagement des Tourismus."
Die Bürgeraktivistin Duarte fürchtet, dass durch die derzeitige Lokalpolitik die Städte bald an ihre Grenzen stoßen könnten.
"Die Investitionen, die Sanierungen und der Tourismus sind natürlich wichtig für die Städte. Und es wäre natürlich absurd, diese Entwicklung zu verteufeln. Wir wollen nur, dass die Städte den Markt besser regulieren, damit dieser Prozess nachhaltig weiter gehen kann. Wir wollen auch in 30 Jahren noch Touristen hier haben; aber wir wollen nicht, dass Lissabon zu einer Seifenblase wird, die irgendwann platzt, und die Stadt dann in die nächste Krise schlittert."
Auch im portugiesischen Parlament zeigt sich ein fehlender politischer Wille sensible Fragen zu lösen, die mit dem Tourismusboom zusammenhängen. Über ein neues Gesetz, das den Markt der Ferienwohnungen regulieren soll, wird in der Volksvertretung seit Monaten diskutiert, und es gilt als unwahrscheinlich, dass vor den Kommunalwahlen Anfang Oktober eine Lösung gefunden wird.
Im Ausgehviertelengagiert sich Luis Paisana in einem Anwohnerverein. Paisana hat mit seinen Kollegen eine Idee entwickelt, wie die Stadt die Interessen der Bürger besser schützen könnte.

Die Angst davor, dass Lissabon oder Porto sich in Themenparks für Touristen verwandeln könnten, spüren nicht nur die Anwohner, sondern auch Reiseveranstalter wie Nuno Leitão.
"Das alles klingt für uns Portugiesen sehr vertraut: Die Regierenden lassen erstmal alle das machen, was sie wollen, und erst wenn es lichterloh brennt, holen sie einen Eimer Wasser und versuchen damit die Flammen zu löschen. So geht das nicht. Wir brauchen jetzt eine öffentliche Hand, die eingreift. Denn wenn wir alles dem freien Spiel der Wirtschaftskräfte überlassen, dann wohnt vielleicht irgendwann kein gebürtiger Lissabonner mehr in Lissabon. Und genau das wollen die Touristen auch nicht sehen."
Der Wirtschaftswissenschaftler José Esteves hat mit seinem Beratungsunternehmen eine wichtige strategische Studie zum Tourismus vorgelegt. Er glaubt, dass die portugiesischen Entscheidungsträger Fehler gemacht und das Land nicht richtig auf den Touristenboom vorbereitet haben. Als Beispiel nennt er den Flugverkehr, über den 41 Prozent aller Touristen nach Portugal kommen.
"Vor 15 Jahren besuchten bereits 12 Millionen Touristen Portugal und der Lissabonner Flughafen platzte aus allen Nähten. Ein neuer Flughafen war notwendig, wurde aber nicht gebaut. Jetzt erwarten wir 20 Millionen Besucher im Jahr und müssen uns schnell eine Notlösung ausdenken. Deshalb will die Regierung nun einen Militärflughafen in Montijo zu einem zweiten zivilen Flughafen für Lissabon umwandeln. Doch damit stoßen wir in 10 Jahren wieder an unsere Grenze."
Für José Esteves wäre der Bau eines Großflughafens in Lissabon nicht nur ein wichtiges Infrastrukturprojekt für den Tourismus, sondern auch eine selbstbewusste Neudefinition der geopolitischen Rolle Portugals.
"Portugal könnte das Drehkreuz sein zwischen Afrika, Süd- und Nordamerika. Wir haben sehr gute kulturelle Beziehungen zu Brasilien und Angola, die auf dem südamerikanischen beziehungsweise afrikanischen Kontinent eine immer dominantere Rolle spielen. Portugal kann also ein Vermittler zwischen Europa und der atlantischen Welt sein, im kulturellen, aber auch im wirtschaftlichen Bereich. Ein neuer Großflughafen wäre das passende verkehrspolitische Instrument, damit Portugal diese Vermittlerrolle in Zukunft spielen kann."
Der Wirtschaftsberater José Esteves drängt trotzdem darauf, dass die Entscheidungsträger in Portugal eine langfristige Strategie für den Tourismus entwickeln, damit ein Mehrwert für die gesamte Wirtschaft generiert werden kann. Anstatt auf Kurzurlauber zu setzen, die über die Billigfluglinie ins Land geschwemmt werden, sollte Portugal ein nachhaltigeres Modell wählen, zum Beispiel durch die Verknüpfung von Tourismus und dem Gesundheitswesen.
"Die Bevölkerung in Europa wird allgemein immer älter. Es wird immer mehr Rentner geben. Sie suchen nach ruhigen, entspannten Orten, aber sie wollen auf ein erstklassiges Gesundheitssystem zurückgreifen können. Wenn wir also in das Gesundheitswesen investieren, dann locken wir so immer mehr ältere Menschen aus anderen europäischen Staaten an. Portugal könnte so zum Gesundheitsdienstleister für Europa werden. Diese Idee ist ein Beispiel, das zeigt, welches gesamtwirtschaftliches Potential im Tourismus steckt."