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Tragische Heiligenlegende

In den 20er Jahren war Walter Braunfels ein viel gespielter Komponist. Weil er aber für die Nazis keine Hymne komponieren wollte und aus einem zur Hälfte jüdischen Elternhaus stammte, musste er in den 30er Jahren zurückgezogen am Bodensee leben. Seine letzte Oper über Jeanne d'Arc, zu der er auch selbst das Libretto schrieb, war bisher nur konzertant zu hören. Jetzt folgte in Berlin die szenische Uraufführung nach dem Konzept des schwer erkrankten Christoph Schlingensief.

Von Georg-Friedrich Kühn | 28.04.2008
    Auf dem Scheiterhaufen scheitert diese Johanna nicht. Sie verduftet eher in den Wunderkerzen einer riesigen Geburtstagstorte, der sie am Ende entsteigt. Allerdings Toten-Verbrennungs-Stätten sieht man in dieser Inszenierung zuhauf. Als Bühnennachbau oder in Filmclips aus dem Nepalesischen Pashupatinath, wo Regisseur Christoph Schlingensief Ende Dezember noch filmte, und wo Leben, Sterben, Kranksein, Dahinsiechen ganz alltäglich dicht nebeneinander Platz hat.

    Walter Braunfels dichtete und komponierte seine "Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna" zwischen 1938 und 1943; die Prozessakten waren eben erschienen. Für Braunfels war es in der Zeit der inneren Emigration ein Stück Schicksalsbewältigung, wie Braunfels Enkel Stephan, ein bekannter Architekt, sagt.

    "Er hat die 'Johanna' geschrieben, nachdem er die Uraufführung von 'Mathis der Maler' von Hindemith in Zürich gesehen hat. Da konnte er hin. Und das hat ihm den Ansporn gegeben, noch einmal auch in dieser schweren Zeit eine große historische Oper zu schreiben."

    Schon nach dem Ersten Weltkrieg war der Großvater zum Katholizismus übergetreten, widmete sich überwiegend religiösen Themen, politisch gleichwohl hellwach.

    Die szenische Uraufführung jetzt sollte Regisseur Christoph Schlingensief besorgen. Er ist schwer krank, konnte nur noch das Konzept erarbeiten. Ein Team um den Dramaturgen Carl Hegemann versuchte, es umzusetzen. Hegemann hatte Schlingensief schon bei 'Parsifal' und 'Holländer' beraten. Der Kontakt mit dem Kranken lief per Video, Telefon und SMS.

    Die filmische Arbeitsweise Schlingensiefs kommt dem entgegen: Es müssen vor allem Abläufe organisiert werden. Vorgänge werden kaum entwickelt, was auch eine gewisse Spannungslosigkeit bewirkt. Dicht an dicht reihen sich die Bilder, Videos flimmern vorn und hinten, die meist übervolle Drehbühne rotiert.

    Ein Pandämonium hinduistischer und christlicher Totenrituale lässt Schlingensief auferstehen, die unheilige Inquisition inbegriffen. Bischöfe gleiten im Elch-Test vorbei. Prozessionen kreisen im Raum. Eine Kuh, Schweine, Schafe und Ziegen sind aufgeboten. Vor Schreck hebt Jesus beim Abendmahl ab in den Himmel.
    Die gefangene, todgeweihte Johanna wird wie ein Praliné mit roter Brust-Schleife auf der Krankenbahre am Tropf präsentiert. Ihr unverbranntes Herz wird als Riesen-Monstranz zelebriert. Ein "Blaubart" genannter Satansbruder, Gilles de Rais, im schwarzen Biker-Outfit, begleitet sie bis zuletzt. Er hat es mit Kindlein.

    Die Musik von Braunfels changiert zwischen Strauss, Pfitzner und Schoeck. Auch Anklänge an Kurt Weill kann man entdecken und viel Liturgisches.

    Das Inszenierungsteam zeigt an dem Stück aber auch die politische Sub-Schicht, eine Metapher aufs Tausendjährige Reich. Schlüsselfigur zum einen: der Herzog von Trémouille, Feind Johannas, der sie manipuliert. Zum anderen: jener Gilles de Rais, ein Kinderschänder und –mörder - Vorbild für de Sade. Carl Hegemann:

    "Johanna kennt ihn. Für jeden Eingeweihten ist klar, hier ist eine Beziehung zwischen einem künftigen Massenmörder und der Johanna. Das ist auch historisch so. Gilles de Rais hat diesen Feldzug finanziert. Später hat er die Orgien auf seinem Schloss finanziert, als Johanna tot war. Im Grunde genommen hat es was von Dostojewski, wenn der Inquisitor sagt: Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt."

    Sich durch das personenreiche Stück und die verschlungene Inszenierung hindurch zu finden, ist schwer auf Anhieb. Die Musik lohnt es allemal. Eine wunderbar hellstimmige Johanna ist Marry Mills, Morten Frank Larsen ihr satanischer Begleiter Gilles. Paul McNamara gibt den strahlenden Verkünder himmlischen Heils, Saint Michel. Ulf Schirmer am Pult steuert sicher durch die oft düster-herben Klangmassen. Es gab am Ende anhaltenden Beifall wie lange nicht mehr in der Deutschen Oper Berlin.