Wer so umtriebig und ideenreich war wie Hans Magnus Enzensberger, ließ sich geradezu zwangsläufig auf Projekte ein, deren Erfolg nicht von vornherein gewährleistet war. Es ist allerdings charakteristisch für Enzensbergers Wesen, dass er Niederlagen nicht schamhaft verschwieg, sondern diese halb ironisch in einem Buch auflistete: „Meine Lieblings-Flops“ erschien im Jahr 2010, und auf einer der Listen mit Herzensprojekten, die Enzensberger als Misserfolge einstuft, steht auch die Zeitschrift „TransAtlantik“.
Ende der 1970er-Jahre schien Enzensberger zu spüren, wie so oft früher als andere, dass der Bundesrepublik eine intellektuelle Zeitenwende bevorstand. Gemeinsam mit dem aus Chile stammenden Schriftsteller Gaston Salvatore, der in der Studentenbewegung zu den engsten Freunden Rudi Dutschkes gezählt hatte, formulierte Enzensberger im Juni 1979 ein Konzeptpapier, in dem die Zielgruppe für die „TransAtlantik“ umrissen wurde. Es befindet sich heute im Marbacher Literaturarchiv und liest sich wie eine knapp gefasste Mentalitätsanalyse der Bonner Republik jener Jahre:
„Eine Nation von Aufsteigern sucht nach ihrer kulturellen Identität. Nach dreißig Jahren hört der nouveau riche allmählich auf, nouveau zu sein; er entdeckt neue, ‚höhere‘ Bedürfnisse. Er möchte seiner inneren Unsicherheit, der Lächerlichkeit, der Banalität, dem kleinkarierten Zuschnitt seines Lebens entrinnen.“
Überlegen, aber nicht arrogant
Und weiter listen Hans Magnus Enzensberger und Gaston Salvatore stichwortartig auf, wie sich das Publikum die neu zu gründende Zeitschrift in ihrer Haltung vorzustellen habe:
„Überlegen (aber nicht arrogant)
Intelligent (aber nicht akademisch)
Kritisch (aber ohne Besserwisserei)
Ironisch (aber nicht patzig)“
Intelligent (aber nicht akademisch)
Kritisch (aber ohne Besserwisserei)
Ironisch (aber nicht patzig)“
Der Literaturwissenschaftler Kai Sina rekonstruiert in seiner knappen, aber anschaulichen Darstellung zum einen die Entstehungs- und Publikationsgeschichte der „TransAtlantik“. Zum anderen liefert Sina eine Analyse ihres intellektuellen Anspruchs, der vor allem darin bestand, die seit den 1960er-Jahren entstandenen ideologischen Dichotomien aufzuweichen. Mit dem „New Yorker“ als Vorbild und einer Startauflage von 150 000 Exemplaren kam im Oktober 1980 zum stolzen Preis von acht Mark erstmals eine Zeitschrift in Deutschland auf den Markt, die sich schon auf dem Titelbild von der Epoche des heroischen Kampfes für die Utopie einer besseren Gesellschaft verabschiedete.
Blühende Konsumkultur
Minutiös und beispielhaft analysiert Kai Sina nicht nur die einzelnen Beiträge der ersten Ausgabe, sondern setzt sie darüber hinaus verblüffend einleuchtend ins Verhältnis zu den stilbewussten Werbeanzeigen. Der Leitartikel bestand aus einer Reportage von Ulrich Enzensberger, dem Bruder des Herausgebers, über Bunkeranlagen in Deutschland. Daneben blühte in bunten Anzeigen die Konsumkultur. „TransAtlantik“ präsentierte sich als ein postideologisches, auf Heterogenität setzendes Produkt, resümiert Sina:
„Eine betont zurückhaltend, dabei äußerst bedacht gestaltete Zeitschrift, deren Akzent nicht auf intellektueller Positionierung, sondern auf lebensweltlicher Kultivierung liegt.“
Dass der Aufschrei im linken Milieu groß war, versteht sich von selbst. „Kacke mit Glasur“, nannte im Kommentar der Zeitschrift „konkret“ ein enttäuschter wie wütender Hermann L. Gremliza die „TransAtlantik“. Als Provokation empfanden Enzensbergers und Salvatores neue Gegner bereits den Geldgeber, den Franz-Josef Strauß-Freund Heinz van Nouhuys. Der hatte sein Vermögen unter anderem als Verleger der Sexzeitschrift „Lui“ gemacht. Und auch der Name der „TransAtlantik“, der sich als ein Bekenntnis zur unbedingten Westbindung Deutschlands interpretieren ließ, stieß bei alten amerikaskeptischen Genossen auf Unverständnis.
Abschied von der Utopie
Kai Sina deutet das Projekt „TransAtlantik“ als konsequente Fortschreibung von Hans Magnus Enzensbergers berühmten Langgedicht „Der Untergang der Titanic“ aus dem Jahr 1978, in dem der von einem Kuba-Aufenthalt desillusionierte Enzensberger bereits Abschied von der sozialistischen Utopie genommen hatte. Insofern wäre die „TransAtlantik“ nicht nur ein ambitionierter verlegerischer Versuch, sondern auch Spiegel des sich wandelnden Bewusstseins eines der Protestphase entwachsenden Landes gewesen.
Eine Hinwendung zu mehr Leichtigkeit, mehr Eleganz. Ein leises, affirmatives Ja zum Ist-Zustand – anstelle des permanenten Widerstandes gegen ein System, das diesen Widerstand ohnehin antizipierte. Kai Sina betont den Einfluss von Luhmanns Systemtheorie auf Enzensbergers Denken in dieser Zeit. Der Paradigmenwechsel eröffnete neue Möglichkeiten:
„Die Verabschiedung vom ideologischen Dogmatismus geht mit dem Gewinn gedanklicher Freiheit einher, mit der ‚Freiheit, sich ungehindert zu bewegen, dem ‚Vergnügen der Phantasie‘.“
Christoph Ransmayr, Irene Dische, Jörg Fauser und Rainald Goetz, der für die „TransAtlantik“ eine ziemlich lustig zu lesende Tour durch die deutschen Feuilleton-Redaktionen unternahm, gehörten zu den Autoren der Zeitschrift. War sie ein Flop? Rein kommerziell ganz gewiss. Geschätzte zwei bis 3,5 Millionen Verlust erwirtschafteten die beiden Herausgeber in zwei Jahren – dann wurde ihr Vertrag nicht verlängert. Der Publizist Michael Rutschky, ebenfalls Redaktionsmitglied der „TransAtlantik“, merkte an, Enzensberger sei mit diesem Projekt dem Zeitgeist ein entscheidendes Stück zu weit vorausgeeilt. Es wäre nicht das erste Mal gewesen.
Kai Sina: „TransAtlantik“
Wallstein Verlag, Göttingen, 220 Seiten, 20 Euro.
Wallstein Verlag, Göttingen, 220 Seiten, 20 Euro.